Der sogenannte „Langzeitsicherheitsnachweis“ zum ERAM ist – vorerst? – gescheitert

langz_ERM_gestrHintergrund

Die Sicherheitskriterien von 1983 sind nicht mehr Stand von Wissenschaft und Technik. Deshalb wurden für hochradioaktive Abfälle die Sicherheitsanforderungen von 2010 erstellt. Offensichtlich wurde auf die hochradioaktiven Abfälle eingeengt, um nicht die Projekte ERAM, Konrad und Asse insgesamt betrachten und eventuell revidieren zu müssen.

Zur Klärung der radiologischen Anforderungen beim ERAM wurde von der Strahlenschutzkommission 2010 Stellung genommen. Dies wurde bereits in den Beiträgen Verwendete Grenzwerte und deren Beliebigkeit und in Erörterung zur Stilllegung im Punkt 11 behandelt.

Offensichtlich aufgrund der fundierten Kritik am sogenannten Langzeitsicherheitsnachweis auf dem Erörterungstermin im Herbst 2011 hat das BMU die Entsorgungskommission danach  im Dezember 2011 beauftragt, diesen bezüglich des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik zu prüfen. Diese Aufgabe fällt eigentlich grundsätzlich der Genehmigungsbehörde zu, also dem Umweltministerium des Landes-Sachsen-Anhalt. Das BMU wollte dem aber wohl zuvorkommen. Das Ergebnis wurde nach gut einem Jahr Bearbeitungszeit am 31.01.2013 vorgelegt.

 Grundlegendes Defizit der ESK-Stellungnahme

Die ESK untersucht nicht die Endlagerung weiterer radioaktiver Abfälle, die im ERAM zurzeit zwischengelagert sind. Siehe dazu den Beitrag Entsorgungskommission liefert nach einem Jahr nur halbe Arbeit. Jedoch kommt die Kommission sinngemäß auf Seite 9 zu dem Schluss, dass das Prinzip des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs für das ERAM nicht umgesetzt werden kann. Nicht die Einschließwirkung, sondern das Verdünnungsprinzip verhindert eine hohe Strahlenbelastung. Die Schlussfolgerung müsste lauten: Die Endlagerung der zwischengelagerten Abfälle entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik und würde somit das Atomgesetz verletzen. Vor dieser Aussage drückt sich die ESK.

Dosisbegrenzung

Bereits die SSK hat zur Dosisbegrenzung Stellung genommen. Sie postuliert für das ERAM zehnmal höhere Richtwerte, als in den Sicherheitsanforderungen von 2010 festgeschrieben sind. Für wahrscheinliche Entwicklungen werden 0,1 mSv/a und für weniger wahrscheinliche 1 mSv/a angesetzt.

Die ESK kritisiert, diese Vorgabe werde vom BfS nicht geprüft. Nach Ansicht der ESK müssen 95 % der Ergebnisse mit einem Vertrauensgrad von 95 % unter den entsprechenden Werten liegen.

Bei 2.000 Rechenläufe gab es folgende Überschreitungen:

  • 0,300 mSv/Jahr- Marke 4-mal,
  • 0,100 mSv/Jahr-Marke 11-mal,
  • 0,010 mSv/Jahr-Marke 191-mal,
  • 0,003 mSv/Jahr-Marke 568-mal,
  • 0,001 mSv/Jahr-Marke 1201-mal.

Berücksichtigt man nicht den 95%-Vertrauensgrad und die Einstufung der Freisetzungsszenarien durch das BfS als weniger wahrscheinlich, so darf der 0,1 mSv/a-Wert von 5% überschritten werden. Das heißt bei 2.000 Rechenläufen wären 100 Überschreitungen akzeptabel. Bei 11-mal – siehe oben –  ist also nichts zu beanstanden. Weiterhin ist unverständlich, wie das BfS die SSK-Stellungnahme aus dem Jahr 2010 im Jahr 2009 in die Planunterlagen hätte einbringen könnten.

STANDORTCHARAKTERISIERUNG – SALZBARRIERE

Beim sogenannten Kalilager H befindet sich eine Schwachstelle in der Salzbarriere. Hier wurde durch selektive Subrosion eine Rinne im Kalisalz gebildet.

Die ESK kritisiert zum einen, dass der Integritätsnachweis für die Zukunft allein mit dem Dilatanzkriterium geführt wird. Denn in Punkt 7.2.1 der Sicherheitsanforderungen wird die Einhaltung sowohl des Dilatanzkriteriums als auch des Laugendruckkriteriums gefordert. Zum anderen wird bemängelt, dass keine systematische Erfassung durch selektive Subrosion entstandener potenzieller Schwachstellen erfolgt.

STANDORTCHARAKTERISIERUNG – HUTGESTEIN

Im Hutgestein gibt es die Schwächezone DGL (Deckanhydrit, Grauer Salzton, Leine-Karbonat).

Die ESK kritisiert: Diese Art Schwächezone wird nicht systematisch erfasst. Es wird lediglich eine beliebige Stelle dieser Schwächezone unterstellt. Es fehlt der Nachweis, dass diese Betrachtung abdeckend ist.

STANDORTCHARAKTERISIERUNG – DECKGEBIRGE

Bei den Aufstiegswegen im Deckgebirge bemängelt die ESK: Es fehlt der ausdrückliche Umgang mit der Ungewissheit von möglichen Aufstiegswegen von tiefem Grundwasser in den randlichen Störungszonen

  • zwischen Allertalzone und Weferlinger Triasplatte sowie
  • zwischen Allertalzone und Lappwaldscholle.
Randstörungen      Quelle: BfS 2009 - Plan ERAM

Randstörungen
Quelle: BfS 2009 – Plan ERAM

 

MODELLIERUNG – GEOMETRISCHE MODELLSTRUKTUREN

Die sehr komplexe geometrische Struktur des Endlagers Morsleben wird notwendigerweise vereinfacht. Es werden zwei Rechenmodelle entwickelt, das PROSA – Modell

Modell nach PROSA      Quelle: ESK 2010 - Stellungnahme ERAM

Modell nach PROSA
Quelle: ESK 2010 – Stellungnahme ERAM

und das EMOS-Modell.

Modell nach EMOS      Quelle: ESK 2010 - Stellungnahme ERAM

Modell nach EMOS
Quelle: ESK 2010 – Stellungnahme ERAM

Diese Modelle sollen die Realität abbilden.

Reales Grubengebäude      Quelle: BfS 2009 - Plan ERAM

Reales Grubengebäude
Quelle: BfS 2009 – Plan ERAM

Die ESK bemängelt: Es wird nicht der Nachweis erbracht, dass dies konservativ ist. Werden damit zum Beispiel

  • gasgetriebene Ringströmungen über mehrere Sohlen,
  • Ausbildung von konzentrierten Schadstofffahnen statt homogener Durchmischung,
  • der Einfluss möglicher nicht entdeckter Verbindungen/Bohrungen und
  • das 2-Phasenflussproblem von Gas und Flüssigkeit (siehe Wortprotokoll Seite 4-30 und 6-4, Studie von 2003 dazu ist nicht Verfahrensunterlage)

wirklich abgedeckt?

MODELLIERUNG – KORROSION DER ABDICHTUNGEN

Statt Parallelschaltung von Abdichtungen zum West-Südfeld wird die kürzeste Abdichtung als abdeckend betrachtet.
Die ESK bemängelt: Der Nachweis des abdeckenden Charakters dieser Vereinfachung wird nicht geführt.

SZENARIENENTWICKLUNG

Systematik mit FEP (features, events, processes = Merkmale, Ereignisse, Prozesse) ist für das unverfüllte Bergwerk gelungen, jedoch nicht für das durch weitgehende Verfüllung stillgelegte Bergwerk.
Die ESK fordert: Es ist eine vollständige FEP-Liste vorzulegen, in welcher für die relevanten Szenarien (und ggf. FEPs) entsprechende Wahrscheinlichkeitsklassifizierungen ausgewiesen werden und dargelegt wird, dass die Rechenfälle für die aufgezeigten Szenarien abdeckend sind.

UNSICHERHEITEN – UNGEWISSHEITEN

In der Erörterung war dies ein wesentlicher Kritikpunkt – siehe Wortprotokoll Seite 7-48. Die ESK bezieht sich bei diesem Aspekt auf Punkt 7.2 und 7.3 der Sicherheitsanforderungen. Der dort benutzte Begriff Unsicherheiten wird in der Stellungnahme der ESK zum Begriff Ungewissheiten erweitert. Notwendig ist eine systematische Strategie zur Behandlung von Ungewissheiten auf der Grundlage folgender Fragestellungen:

  • Sind die Ungewissheiten umfassend identifiziert?
  • Sind die erkannten Ungewissheiten richtig beurteilt?
  • Kann die Ungewissheit quantifiziert werden, kann der Einfluss auf die Sicherheitsaussage, z. B. in der radiologischen Langzeitaussage quantifiziert werden?
  • Wurden Ungewissheiten identifiziert, deren Ausmaß sich reduzieren lässt?
  • Wurden Ungewissheiten identifiziert, die vermeidbar sind?

Die ESK vermisst eine systematische Dokumentation des Umgangs mit Ungewissheiten.
Am Beispiel der Sicherheitsanalysen als wesentliche Bestandteile des Sicherheitsnachweises müssten folgende Ungewissheiten systematisch behandelt und dokumentiert werden:

  • Ungewissheiten aus der Standortcharakterisierung (Hydrogeologisches Modell),
  • Ungewissheiten bezüglich der zukünftigen Entwicklung (FEP und Szenarien),
  • Ungewissheiten aus nicht prognostizierbaren zukünftigen Entwicklungen (Permafrost und Eiszeiten),
  • Ungewissheiten bei der Modellierung der Standortgegebenheiten (vereinfachte Geometrie),
  • Ungewissheiten bei der modellhaften Beschreibung von am Standort ablaufenden Prozessen (einphasige und eindimensionale Modelle) und
  • Ungewissheiten bzgl. der Daten und der Parameter

SCHLUSSFOLGERUNG DER ESK

Die ESK formuliert schließlich sechs Empfehlungen an das BMU, wie das BfS die Unterlagen nachbessern solle, und schließt mit dem Statement:

Abschließend kommt die ESK zu der Überzeugung, dass der Langzeitsicherheitsnachweis für das ERAM nach dem Stand von Wissenschaft und Technik und mit überschaubarem Aufwand machbar ist. Des Weiteren zeigen die Empfehlungen der ESK konkret die ergänzenden Maßnahmen und Nachweise auf, die erforderlich sind, um den vorliegenden Langzeitsicherheitsnachweis des Antragstellers so zu vervollständigen, dass er dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht.

BEWERTUNG

Die von der ESK postulierte Machbarkeit ist sehr fraglich. Einen Langzeitsicherheitsnachweis wird es nicht geben. Wenn es gut geht, kann eine solide Langzeitrisikoanalyse erstellt werden, auf deren Grundlage eine halbwegs verantwortungsvolle Abwägungsentscheidung getroffen werden kann.

Wird man sich dieses Abwägungscharakters bewusst, stellen sich unweigerlich zumindest folgende Fragen:

  • Ist es sinnvoll, eine Strategie der Maximalforderungen zu verfolgen?
  • Wie viel Belastung kommt durch Freimessung zustande?
  • Sollte man die gesamte Kraft in die Endlagerung der schwach- und mittelaktiven Abfälle stecken?
  • Bleibt dann noch Kraft für die wichtigste Aufgabe – für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle?
  • Ist eine systematisch vergleichende Betrachtung der bisherigen Endlagerprojekte ERAM, Asse, Konrad und der entsprechenden Langzeitrisikoanalysen nicht zielführender?
  • Gilt es nicht primär, für die Endlagerung der hochaktiven Abfälle zu lernen?

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