Endlagerkommission: Die Wiedererschleichung des Stimmrechts

Drei Gruppen von Stimmberechtigten

Quelle: Deutscher Bundestag

Quelle: Deutscher Bundestag

Über eine Stunde ging es in der 2. Sitzung der Endlagerkommission um die Frage des Stimmrechts, siehe Video 1:03:45 bis 2:12:50. Es lag ein Vorschlag des Kommissionsvorsitzes vor, zu dem Herr Jäger einen Änderungsantrag eingebracht hat. Beide Varianten führen zu zwei Gruppen von Stimmberechtigten ein, genauer eigentlich zu drei:

  1. die WissenschaftlerInnen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen,
  2. die politischen Vertreter aus Bundestag und den Ländern und
  3. der Vorsitz.

Die Genese des Stimmrechts


Quelle. Deutscher Bundestag

Quelle. Deutscher Bundestag

Wie entwickelte sich das Stimmrecht im Gesetzgebungsverfahren? Der letzte Entwurf des Gesetzes mit Datum 14.05.2013 (Drucksache 17/13471) sagt dazu:

§ 3

(5) Die Kommission beschließt bis zum 31. Dezember 2015 den Bericht zum Standortauswahlverfahren möglichst im Konsens, mindestens aber mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder. Sie ist berechtigt, diese Frist einmalig um sechs Kalendermonate zu verlängern. Diese Entscheidung bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder der Kommission.
(6) Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie entscheidet über Geschäftsordnungsfragen mit einfacher Mehrheit.

Die Begründung zu diesem Teil des Gesetzentwurfs gibt keine weiteren Hinweise. Der Vorsitz ist nicht geregelt, alle Mitglieder haben gleiches Stimmrecht. Es werden lediglich die Mehrheitsanforderungen für die drei Abstimmungskategorien

  1. Bericht,
  2. Verlängerung und
  3. Geschäftsordnung

festgelegt.

Der Umweltausschuss hat dann folgende Änderung vorgeschlagen, die vom Bundestag unverändert angenommen wurde (Drucksache 17/14181):

cc) Dem Absatz 5 werden die folgenden Sätze angefügt:
„Stimmberechtigt sind die Mitglieder der Kommission nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 [8 VertreterInnen der Wissenschaft, 8 VertreterInnen gesellschaftlicher Gruppen]. Jedes Mitglied der Kommission kann eine eigene Stellungnahme abgeben. Stellungnahmen sind dem Bericht beizufügen.“

Eine Begründung zur Empfehlung des Umweltausschusses ist nicht veröffentlicht worden.

Im verabschiedeten Gesetz steht entsprechend nun folgende Formulierung:

§ 3

(5) Die Kommission beschließt bis zum 31. Dezember 2015 den Bericht zum Standortauswahlverfahren möglichst im Konsens, mindestens aber mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder. Sie ist berechtigt, diese Frist einmalig um sechs Kalendermonate zu verlängern. Diese Entscheidung bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder der Kommission. Stimmberechtigt sind die Mitglieder der Kommission nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 2. Jedes Mitglied der Kommission kann eine eigene Stellungnahme abgeben. Stellungnahmen sind dem Bericht beizufügen.
(6) Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie entscheidet über Geschäftsordnungsfragen mit einfacher Mehrheit.

Subjekt und Objekt durcheinandergebracht?

Daraus werden in der Kommission die obengenannten drei Gruppen von Stimmberechtigten konstruiert. Ist es nicht eher so, dass der Absatz 6 aus dem alten Entwurf übrig geblieben ist und nicht eine Gruppe von Stimmberechtigten konstruieren sollte? Werden von der Kommission nicht Subjekt =  Gruppe und Objekt = Abstimmungskategorien munter durcheinandergebracht?

Wie gesagt: Die Empfehlung des Umweltausschusses ist nicht begründet und insbesondere wird nicht dargelegt, warum die Stimmberechtigung in Absatz 5 und nicht in Absatz 1 des Paragrafen 3 geregelt wird. Auch ist nicht dargelegt, warum die Empfehlung lautet:

Stimmberechtigt sind die Mitglieder der Kommission nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 2.

und nicht

Stimmberechtigt dabei sind die Mitglieder der Kommission nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 2.

Klärung durch Drucksache 18/1068?

Mehr Aufschluss bringt der Antrag zur Bildung der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ (Drucksache 18/1068). In diesem finden sich –  insbesondere zwecks Werbung für die Teilnahme von Umweltverbänden – folgende Formulierungen:

Die „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ soll u. a. das Standortauswahlgesetz evaluieren und gesellschaftspolitische sowie wissenschaftlichtechnische Fragestellungen zur Endlagersuche erörtern. Bewusst haben sich Bundestag und Bundesrat dafür entschieden, Vertreter der Wissenschaft, der Umweltverbände, der Religionsgemeinschaften, der Wirtschaft sowie der Gewerkschaften in dieser Kommission mit Stimmrecht auszustatten, während die Mitglieder aus Bundestag und Bundesrat ohne Stimmrecht an der Kommission teilnehmen.
….
Der Mitwirkung aller stimmberechtigten Mitglieder an der Kommissionsarbeit kommt eine maßgebliche Bedeutung zu. Deshalb appelliert der Deutsche Bundestag an die Verbände und Initiativen, die für sie vorgesehenen beiden Plätze in der Kommission einzunehmen.

Der Deutsche Bundestag appelliert, durch prozessuale Regelungen das Konsensprinzip in der Kommission zu stärken. Das Konsensprinzip sollte gerade bei Geschäftsordnungsfragen, so z. B. bei der Frage der Anzahl und der Terminierung der Sitzungen eine wichtige Leitlinie sein. Um im Fall unüberbrückbarer Differenzen das Recht der Minderheit zu wahren, sollte die Geschäftsordnung auch Regelungen enthalten, die beispielsweise das Aufsetzen von Tagesordnungspunkten oder die Bestellung von externen Gutachten auch durch eine Minderheit ermöglichen. Das sollte für Kommissionsmitglieder mit und ohne Stimmrecht gelten.

Dieses Papier spricht eine deutliche Sprache. Es gibt lediglich stimmberechtigte und nichtstimmberechtigte Kommissionsmitglieder. Von einem abgestuften Stimmrecht wird nicht gesprochen.

Die trickreiche Politik

Offensichtlich ist die Konstruktion von abgestuften Stimmrechten ein Trick, mit dem sich die Politik das Stimmrecht mittels Kommissions-Geschäftsordnung wieder erschlichen hat. Positiv kann man den BundespolitikerInnen anrechnen, dass sich sechs von ihnen wenigstens bei der Entscheidung zu § 7 Abs. 3 neu der Geschäftsordnung enthalten haben.

Umweltverband und Umweltstiftung reingefallen

Der Vertreter eines Umweltverbandes und der Vertreter einer Umweltstiftung (Ist eine Umweltstiftung eigentlich ein Umweltverband?) spielte die Frage keine Rolle. Sie sind auf den Schmu im Antrag zur Bildung der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“  reingefallen. Sie sitzen jetzt in der Kommission, ohne dass sie auf die Umsetzung der gemachten Versprechen pochen. Sie haben sogar für die Version des Vorsitzes gestimmt, die das Stimmrecht der PolitikerInnen weiter greift als der Gegenvorschlag von Herrn Jäger.

Versagen des Vorsitzenden

Anzumerken ist noch, dass es nur durch eine Bemerkung von Herrn Gaßner zur Diskussion dieses Punktes gekommen ist. Er machte Herrn Jäger darauf aufmerksam, dass er zu § 7 Abs. 3 neu der Geschäftsordnung einen schriftlichen Änderungsantrag gestellt hatte. Der Vorsitzende wollte schon die Beratung zu § 7 beenden. Es wäre seine Aufgabe gewesen, Herrn Jäger darauf aufmerksam zu machen.

Nur durch Zufall transparent

Weiterhin wäre ohne die Diskussion über den Antrag von Herrn Jäger nicht öffentlich klar geworden, dass sich die Politik das Stimmrecht wieder erschlichen hat, da die Geschäftsordnungsentwürfe geheim gehalten wurden und die verabschiedete Geschäftsordnung wohl frühestens nach der nächsten Sitzung am 8. September veröffentlicht werden soll.

Alltagspolitisch und nicht wissenschaftsbasiert

Daneben zeigt dieser Teil des Geschäftsordnungsentwurfs der Vorsitzenden, dass hier nur in alltagspolitischen Kategorien gedacht wird. Es wird wohl kaum möglich sein, in diesem Umfeld ein wissenschaftsbasiertes Verfahren zu entwickeln.

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