Endlagerkommission: Wie kann die Arbeit doch noch zu einem Erfolg führen?

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Quelle: Deutscher Bundestag

Frustration über die Arbeit der Endlagerkommission

Wer die Diskussionen der Endlagerkommission und der dazugehörigen Arbeitsgruppen verfolgt, kann sehr enttäuscht sein über die geringe Informationsdichte und mangelhafte fachliche Tiefe der Diskussionsbeiträge. Von einer Kommissionsarbeit im eigentlichen Sinne kann nicht gesprochen werden, da kaum wirklich fundierte Argumentationen gegeneinandergestellt und zusammengeführt werden.

Das Hauruckverfahren in der AG 3 am 17.12.2015 ab 14 Uhr

So sind zur Kernaufgabe der Kommission, der Entwicklung von wissenschaftsbasierten Kriterien für eine komparative Suche nach dem bestmöglichen Standort, zwar viele Papiere vorgelegt worden aber in keiner Weise zum Beispiel von der dafür zuständigen Geschäftsstelle der Kommission zusammengeführt  worden. Nun soll am 17.12.2015 ab 14 Uhr in einem Hauruckverfahren ein erster Gesamtentwurf der Kriterien in der AG 3 verabschiedet werden. Das mag zwar formal gelingen, die Qualität wird aufgrund der mangelnden fachlichen Argumentationen und Reflexionen aber gering sein. Das ist umso erstaunlicher, weil als Grundlage die AkEnd-Empfehlungen von nicht geringer Qualität vorlagen und als Ausgangsbasis konsensual akzeptiert wurden.

Geodidaktik hat keinen Platz

Weiterhin findet keinerlei Aufarbeitung der Kommissionsdiskussionen in verständlicher und wissenschaftsgeprägter Form statt. Wissenschaftsjournalistischer und insbesondere geodidaktischer Sachverstand werden nicht einbezogen. Somit bleibt jeglicher Transparenzgrundsatz unbeachtet. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass die Medien die Endlagerkommission für kaum erwähnenswert halten.  Denn welcher Journalist kann es sich leisten, eine Achtstundensitzung zu verfolgen, um danach drei interessante Sätze auf seinem Notizblock zu haben?

Voluminöses Schriftwerk zu erwarten

Extrapoliert man diese Vorgehensweise bis zum Ende der Kommissionsarbeit Mitte nächsten Jahres, mag ein voluminöses Schriftwerk herauskommen. Dies wird aber wenig Qualität zeigen und das Allgemeinverständnis gerade für die Kernaussagen, die wissenschaftsbasierten Kriterien, wird gering sein, da die geodidaktischen Grundlagen nie vermittelt wurden. Deshalb ist die Frage, ob es noch irgendeine Hoffnung gibt, durchaus berechtigt.

Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt! Meist sind es kleine Nebenbemerkungen in den Diskussionen, die Anlass zur Hoffnung geben. So ist das Zugeständnis, dass die AkEnd-Kriterien lediglich für Salz und Ton als Wirtsgesteine taugen, durchaus bemerkenswert. Das AkEnd-Modell des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs scheitert bei Kristallingestein weitgehend. Weiterhin wird klar, dass selbst für Salz und Ton die Kriterien bzw. Erfüllungsfunktionen weiter nach den Wirtsgesteinen differenziert werden müssen. Es stellt sich also die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, von Anfang an Standorte in unterschiedlichen Wirtsgesteinen miteinander zu vergleichen. Ist es nicht sinnvoller, mit der Suche nach den drei besten Standorten in Salz, Ton und Kristallin zu beginnen?

 Der Pluralismus auch unter administrativen Fesseln nimmt zu

Bemerkenswert ist auch, dass sich die geowissenschaftlichen Aktivitäten seit etwa Mitte des Jahres 2015 auffallend verbreitert haben. So werden jetzt von der BGR, DBEtec und GRS auch die seit gut fünf Jahren schon in Fachkreisen diskutierten flachen Salzlagerungen betrachtet, so in den die Projekten BASAL und KOSINA. Zu Kristallin wurde eine Vorstudie CHRISTA abgeschlossen und ein Folgeprojekt läuft. Zu Ton wird das Projekt AnSichT  durchgeführt. Hier ist das für diese Forschungsprojekte zuständige BMWi offensichtlich aus dem Salzstocktiefschlaf aufgewacht oder aufgeweckt worden.

Zusätzlich, wohl ohne administrative Fördermittel und damit Auflagen und deshalb um so bemerkenswerter, werden Gesteinskombinationen betrachtet, so Kristallin unter Salz. Der Pluralismus nimmt offensichtlich zu.

Enttäuschend sind die bisher spärlich veröffentlichten Zwischenergebnisse der Projekte unter ENTRIA. Da ist bisher nichts Neues zu finden. Zum Beispiel stellt ENTRIA-Arbeitsbericht 2015-01 lediglich Altbekanntes nochmals vor. Oder als Vergleichsstudie titulierte Arbeiten stellen sich lediglich als erste grobe Datensammlungen heraus, siehe Beitrag dazu. Es wird hier offensichtlich die Tradition des Projekts Radioactive Waste – Technical and Normative Aspects of its Disposal fortgesetzt, siehe Beitrag dazu.

Ausblendung der Deckgebirgsdiskussion im AkEnd

Weiterhin wurde mehrfach dargestellt, dass die Deckgebirgsdiskussion zu Gorleben im AkEnd dadurch bereinigt wurde, dass der Nachweiszeitraum auf 1 Mio. Jahre und das Modell des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs festgelegt wurden. Zur Sprache kam nicht, dass es keinen Erkenntnisgewinn oder Fortschritt bedeutet, den Nachweiszeitraum gegenüber der RSK/SSK Stellungnahme von 1988 von 10.000 auf 1 Mio. Jahre zu erhöhen. Es ist schlicht die Ausblendung der hydrogeologischen Vorgänge, die Grundlage des RSK/SSK- Ansatzes waren. Damit ergeben sich aber nach Aussage von Herrn Mönig (Kommissionssitzung am 19.11.2015) erhebliche Schwierigkeiten. Offensichtlich ist das Modell des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs auch deshalb zu erweitern.

Einkompartimentmodell zu Mehrkompartimentmodell erweitern

Dazu gab Frau Reichert in der gleichen Sitzung einen interessanten Hinweis. Offensichtlich wird in der ESK bereits intensiv an der Erweiterung des Einkompartimentmodells einschlusswirksamer Gebirgsbereich zu einem Mehrkompartimentmodell gearbeitet. In der Kommission ist dies in der dafür zuständigen AG 3 bisher noch nicht zur Sprache gekommen.

Deckgebirgsdiskussion noch nicht vom Tisch

Die Deckgebirgsdiskussion ist mit diesem Hinweis aber nicht vom Tisch. Schließlich steht selbst im AkEnd-Bericht dazu noch (Seite 43):

Das Wirtsgestein muss gegenüber geodynamischen Einwirkungen (z. B. Erdbeben/neotektonische Bewegungen) stabil sein. Wirtsgestein, Nebengestein und Deckgebirge sollen die Funktion natürlicher Barrieren in einem Mehrbarrierensystem übernehmen.

Die direkte Umsetzung des Mehrbarrierensystem-Gedankens in Form von Kriterien und Erfüllungsfunktionen sucht man im AKEnd-Bericht vergeblich. Deshalb wurden speziell zum Deckgebirge über Salzstöcken in der AG 3 ein Abwägungskriterium in der Gewichtungsklasse 1 und eines in der Gewichtungsklasse 3 vorgeschlagen (K-Drs. AG3-43). Eine fachliche Diskussion dazu steht noch aus.

Realistische Beispiele für Mehrbarrierensysteme

Welche Mehrbarrierensysteme sind denn vorstellbar und könnten als realistische Beispielsysteme verwendet werden? Solche Beispielsysteme sollten dann in der Regel  in dem zu entwickelnden Kriterienraster besser abschneiden als Monobarrierensysteme.

Ein solches Testsystem könnte die Salzlagerung unter Ton sein.

Ton als Barriere in der Tonstudie

Ton als Barriere ist intensiv in der Tonstudie behandelt worden. Anbei zwei wichtige Stellen (S. 93 und 100)

Die Tertiär-Tone Norddeutschlands stellen zwar wichtige hydrogeologische Barrieren des Untergrundes dar, ihre Wirtsgesteinseignung ist auf Grund des geringen Verfestigungsgrades im Vergleich mit den Tonsteinen der Unterkreide und des Jura jedoch als sehr eingeschränkt zu beurteilen (siehe Kapitel 3.6.3 und 4.1.3). Sie werden daher für die hier zu betrachtenden Wirtsgesteinsoptionen nicht berücksichtigt und in der Karte nicht dargestellt (Abbildung 4.30).

 

Die Studie liefert als Ergebnis keine Darstellung von Endlagerstandorten. Die Untersuchungen zeigen jedoch, dass mächtige und homogene Tonsteine, welche die Anforderungen an Wirtsgesteine erfüllen, in der Unterkreide sowie in Gesteinsformationen des Unter- und Mitteljura Norddeutschlands vorkommen. In Süddeutschland werden stärker regional begrenzte Gesteine des Mitteljura als untersuchungswürdig ausgewiesen. Die Tonformationen des Tertiär werden wegen ihrer ungünstigen mechanischen Eigenschaften in dieser Studie nicht weiter betrachtet.

Die angesprochenen Formationen sind auf dem folgenden Ausschnitt der stratigraphischen Tabelle von Deutschland kenntlich gemacht.

strati_detail_ausDie Tonaussage in der Salzstudie

Nimmt man nun die Salzstudie von 1995 zu Hilfe (S. 18),

2.1.11 Quartäre Rinnen und Permafrost-Problematik
Große Aufmerksamkeit wurde – in Abweichung von den zitierten Studien aus den 80er Jahren – der Barriere-Funktion des Deckgebirges gewidmet. Eine flächenhafte Überdeckung des Caprock einer Salzstruktur mit wasserhemmenden Unterkreidetonen und einer ungestörten Decke aus Sedimenten der Oberkreide und des Alttertiärs (z. B. Rupel-Tone) würde ein optimales geologisches Barriere-System darstellen. Dies ist aufgrund der für das Bergwerkskonzept geforderten geringen Tiefenlage des Caprock im allgemeinen nicht gegeben. Jedoch erscheint auch eine unverritzte und möglichst ungestörte Überdeckung allein durch die Tone des Alttertiär (Eozän, Rupel) akzeptabel.
Verschiedentlich durchschneiden jedoch quartäre Rinnen, die sich in Ausnahmefällen über 500 m in die quartären und präquartären, insbesondere die tertiären Sedimente eintiefen können, die Dachregion der Diapire und verletzen diese geologischen Barrieren.

so stellt sich der fett markierte Satz aus dem Blickwinkel der Tonstudie als sehr ambitioniert dar. Der Rupelton (Alttertiär), der über dem Salzstock Gorleben von der Eiszeit ausgeräumt wurde, hätte nicht wirkliche als zweite Barriere wirken können.

Barrierewirksame Tone über Salz?

Es stellt sich aber die Frage ob die anderen Tonformationen, die in der Tonstudie als barrierewirksam dargestellt werden, über Salz vorkommen? Dazu ein Auszug aus der Tabelle 8 in der Salzstudie:

tab8_bearb_ausDie Tabelle zeigt bei der Auswertung der zweiten und dritten Spalte, dass nach Datenlage von 1995 bei 15 betrachteten Salzvorkommen eine vollständige Überdeckung mit Unterkreide oder Oberkreide vermutet wurde. Damit ist das Beispielsystem Salz unter Tonbarriere als durchaus realistisch anzunehmen. Im Kriterienraster zur Suche nach dem bestmöglichen Standort unter der Modellvorstellung Mehrkompartimentsystem sollte es also eine realistische Aussicht geben, dass ein besserer Standort als ein nur mit Rupelton überdecktes Salzvorkommen und erst recht ein besserer als Gorleben zu finden ist.

Administratives Denkverbot zur Sicherheitskultur

Eine weitere interessante Bemerkung fiel in der Kommissionssitzung am 19.11.2015 zum Sicherheitsmanagement und insbesondere zur Sicherheitskultur der Behörden. So wurde dargestellt, dass in Deutschland jahrelang ein administratives Denkverbot zur Sicherheitskultur in den Endlagerbehörden herrschte und – so die Erfahrungen am BfS – auch strikt eingehalten wurde, obwohl dies aufgrund Remonstrationsrecht und -pflicht mit § 63 Bundesbeamtengesetz und einschlägigen Geschäftsordnungen öffentlicher Institutionen unvereinbar ist. Frau Eckhardt stellte dagegen dar, dass die Diskussion genau dieser Sicherheitskultur in den Behörden der Schweiz sehr hilfreich war.

Weitere Denkverbote?

Es stellt sich die Frage, welche weiteren Denkverbote im Bereich der Endlagerung von der Administration ausgesprochen wurden und werden? Wird in den Staatlichen Geologischen Diensten  Geologie betrieben – oder doch nur administrative Geologie? Können bei der Fachkonferenz am 29.01.2016 und im  Online-Workspace ab 18.01.2016 zu den geologischen Kriterien, die im Auftrag der Kommission von Zebralog durchgeführt werden, wissenschaftlich oder doch nur administrativ geprägte Beiträge erwartet werden? Wie gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt! Zu betonen ist, dass der Online-Workspace wohl auch anonyme Beiträge ermöglichen wird, und so die Karrierewirksamkeit der Beiträge begrenzt werden kann. Nur Mut! Kommen Sie der gesellschaftlichen Verpflichtung als Wissenschaftler nach!

Der noch mögliche Erfolg der Kommissionsarbeit

Der noch mögliche Erfolg der Arbeit der Endlagerkommission wird sich wohl nicht in dem Kommissionsbericht nach § 4 StandAG darstellen. Aber vielleicht wird die Kommissionsarbeit den Nebeneffekt haben, dass die fachlichen Endlagerdiskussionen endlich auf eine pluralistische Basis gestellt und die administrativen Fesseln gelockert werden. Wenn es dann noch gelingt, diese wissenschaftlichen Diskussionen fachdidaktisch aufzubereiten, kann auch mit einer Toleranz zur Langzeitlagerung von radioaktiven Abfällen in der Gesellschaft gerechnet werden.

Modernisierung der Geowissenschaften

Dazu müssen aber die Geowissenschaften sich zu einer modernen Wissenschaft entwickeln, wie sie Joachim Schummer skizziert (S. 99):

Neues unerwartetes  oder provozierendes Wissen führt nach dem bisher Gesagten notwendigerweise zu Veränderungen des Begriffsystems oder Erwartungshorizonts. Während das in einer starren monolithischen Wissenschaft nach Thomas Kuhn (1922-1996) zu Krisen oder sogar zu „Revolutionen“ führen würde, können die pluralistisch aufgestellten Wissenschaften dies in der Regel leicht integrieren. Das Wissen und die begrifflichen Strukturen wachsen dann beide in Wechselwirkung miteinander, indem sie jeweils durch Neubildung reicher und differenzierter werden. Wissenschaftlicher Fortschritt wird so zu einem evolutionären Prozess, wie es schon vor langer Zeit Stephen Toulmin (1922-2009) formuliert hat.

Die Story Alfred Wegener zeigt, dass die Geologie zumindest von 1912 bis etwa 1960 noch monolithisch geprägt war. In der Hochenergiephysik hat Karin Knorr Cetina solche pluralistische Wissenskulturen jedoch schon finden können.

4 Gedanken zu „Endlagerkommission: Wie kann die Arbeit doch noch zu einem Erfolg führen?

  1. Fachtagung und Online-Konsultation „Kriterien für die Standortauswahl“
    Die Einladung zur Fachtagung und Online-Konsultation wurde jetzt veröffentlicht. Die Fachtagung findet am 29./30.01.2016 in Berlin statt.

    Einladung siehe hier.

  2. Es kann keinen (echten) „Erfolg“ der Endlagersuche geben,
    weil der in den Sicherheitskriterien zentrale Begriff der Strahlendosis (Millisievert, mSv) tatsächlich substanzlos ist. Man konnte das auch den gewundenen Einlassungen der „Sicherheitskriterienexperten“ entnehmen (17. Sitzung, 19.11.2015). Siehe auch die drei folgenden Strahlentelex-Artikel:

    1. Atommüll – Die Anforderungen an die Endlagersicherheit beruhen auf vier Jahrzehnte alten Risikoschätzungen und sollen im Wesentlichen beibehalten werden

    2. Immer stramm auf Atomkurs

    3. „Ich denke nicht, dass Ihre erneute Studie die Einschätzung der SSK ändern wird“

      • Hallo Frau/Herr Erdinger,
        Diese sehr gute Frage kann ich nicht beantworten, aber problematisieren, siehe
        http://www.strahlentelex.de/Stx_16_696-697_S03-05.pdf. Mein Leserbrief an die Endlagerkommission wurde in der Sitzung am 22. 1. 2016 kurz angesprochen. Die Kommission hält sich für Radiologie und Strahlenrisiken nicht zuständig. Ich halte das für grotesk angesichts des „radioaktiven Alleinstellungsmerkmals“ von Atommüll aller Art. Die Güte eines Zwischen- oder Endlagers hängt davon ab welche Wirkung auf die Biosphäre davon ausgeht oder in Zukunft ausgehen wird.
        Beste Grüße,
        Hagen Scherb

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