Endlagerkommission: Wissenschaftsverbrämt statt wissenschaftsbasiert

to_28Keine Transparenz beim Problembereich Deckgebirge

In der 28./29. Sitzung der Endlagerkommission wurden endlich die geowissenschaftlichen Kriterien und die Methodik der vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen in erster Lesung behandelt. Diese sind eigentlich die wesentliche Grundlage einer wissenschaftsbasierten Endlagersuche, wie sie in §1 Abs.1 Satz 1 des StandAG gefordert wird. Die Vorlagen der AG 3 waren da etwas enttäuschend, was aber nach Verfolgung der AG-Arbeit nicht überraschend war. Leider kann ein wesentlicher Punkt – Problembereich Deckgebirge – nicht im Einzelnen verfolgt werden, da dieser in eine nichtöffentlich tagende und auch im Nachhinein nicht dokumentierte Kleinarbeitsgruppe Appel/Fischer/Kanitz/Wenzel verlagert wurde.

Vorläufige Sicherheitsuntersuchungen – integrativ?

Die vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen stellen nach Sailer eine Neuerung gegenüber den AkEnd-Vorstellungen dar. Wenn die vom AkEnd präferierten Kriterien sich im Wesentlichen auf die Langzeitrisiken beziehen, benutzt die vorläufige Sicherheitsuntersuchung eine integrale Sichtweise sowohl auf Langzeitrisiken als auch auf Probleme während der Betriebsphase des Lagers. Sieht man sich aber die einschlägige K-Drs. 211 und darin das Kapitel Bewertung der Sicherheitsuntersuchungen an, so ist zu befürchten, dass die Dosisabschätzungen einen hohen Stellenwert erhalten und so den angeblich integrativen Charakter zunichtemachen werden.

Dosisabschätzung verschwindet im Nirwana

Unerwähnt blieb sowohl in der AG 3 als auch in der Kommission,  dass es keine halbwegs wissenschaftlich fundierte Methode zur Dosisabschätzung gibt. Zwar wird national und international viel gerechnet und es werden Zahlenwerte damit kreiert, die Methodiken sind aber zweifelhaft. Der Versuch des BMU von 2009, hier Abhilfe zu schaffen, endete jüngst nach Büroversehen etc. im Nirwana – siehe Beitrag Endlagerkommission verhindert Dosisabschätzung. Offensichtlicher kann ein Zirkelschluss nicht sein.

Diversität und Redundanz – die Erste

Herr Brunsmeier wies auf die sicherheitstechnischen Grundsätze Diversität und Redundanz hin. Diese hätten in einer systematischen und damit eher wissenschaftlich rationalen Herangehensweise Grundlage von Sicherheitsuntersuchungen sein müssen. Die Anmerkungen von Herrn Brunsmeier verhallten aber ohne Konsequenz: Die eingehende Prüfung sowohl auf Redundanz als auch Diversität hat bei der Kommission wie auch in den bisher national und international üblichen Sicherheitsuntersuchungen keine Chance.

Rechtfertigung und Optimierung durch Nachhaltigkeit verdrängt

Auch spielt die systematische Abarbeitung der Strahlenschutzgrundsätze Rechtfertigung und Optimierung keine Rolle. Das wurde mal wieder klar in der Diskussion zur K-Drs. 240 zu bestmöglicher Standort, obwohl hier der zweite Strahlenschutzgrundsatz eindeutig die Begründung liefern könnte. Stattdessen wird die sogenannte  Nachhaltigkeit bemüht. Wissenschaftliche Systematik sieht anders aus.

Das wiederholte sich kurz vor Ende der Sitzung bei der Behandlung von K-Drs. 224. Hier versuchte Herr Jäger zwar zwei Änderungen einzubringen, die offensichtlich Ansagen der Rechtsbeistände des RWE-Konzerns waren. Er gab sich schließlich mit dem Festhalten im Protokoll zufrieden.Die Optimierung nach Strahlenschutzverordnung fand jedoch keinerlei Erwähnung.

Diversität und Redundanz – die Zweite

Zur K-Drs. 209b mit den geowissenschaftlichen Kriterien wiederholte Herr Brunsmeier seine Anmerkung zu Redundanz und Diversität. Auch hier wurden diese Grundprinzipien von Sicherheitsphilosophien nicht systematisch aufgegriffen. Sie wurde – wie es bereits mit Onlinekommentar ID 1085 (siehe K-Drs. / AG3-90) in der AG 3 geschah – lediglich dem strittigen Punkt Deckgebirge zugeordnet. Erinnert sei auch an den Onlinekommentar ID 1001, der bei der Arbeit der AG 3 ohne Diskussion verschwand:

Leider hat die AG 3 nicht über das diesen Kriterien zugrunde liegende Modell diskutiert. Es wurde nicht die Frage behandelt, ob das Modell des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs eine passende Grundlage für die Suche nach einem Endlagerstandort mit dem geringstmöglichen Risiko für Mensch und Umwelt darstellt. Das ewG-Modell geht zurück auf den AkEnd, der damit den Forderungen des Wasserhaushaltsgesetzes entsprochen hat. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht weitere wesentliche Normen gibt, die es zu erfüllen gilt? Bei einem Endlager für radioaktive Abfälle handelt es sich um eine kerntechnische Anlage, bei der insbesondere auch die weitgehenden sicherheitsphilosophischen Ansätze für diese Anlagen berücksichtigen werden sollten, auch wenn sie – oder gerade weil sie – gemessen an dem zurzeit vorgeschriebenen Nachweiszeitraum von 1 Mio. Jahren nach kurzer Zeit aus der Atomaufsicht entlassen wird/werden muss. Für kerntechnische Anlagen ist das Konzept der gestaffelten Abwehrmaßnahmen entwickelt worden. Zu wesentlichen Auslegungsmerkmalen gehören auf dieser Grundlage das Prinzip der Redundanz (mehrfach vorhandene gleichartige Schutzsysteme) und das Prinzip der Diversität (unterschiedliche Schutzsysteme zur Beherrschung gleicher oder ähnlicher Störungen). Bei einem tiefengeologischen Endlager bestehen die Abwehrmaßnahmen nach Ablauf des möglichen Rückholzeitraums nur noch in der möglichen Bergung und schließlich in den geologischen Barrieregesteinen mit entsprechend ausgeprägten Sicherheitsfunktionen wie mechanischer Einschluss und Absorption der Radionuklide sowie der Abschirmung der Direktstrahlung. Bei der Suche nach dem Standort mit geringstem Risiko für Mensch und Umwelt sollte ein Modell eingesetzt werden, das Kriterien erlaubt, die sowohl Redundanzen als auch Diversitäten bewerten und diese Bewertungen sich positiv in der schließlichen Rangfolge auswirken. Das ewG-Modell des AkEnd erfüllt dies durchaus im Hinblick auf Redundanzen.

So ist zum Beispiel im Kriterium „Der einschlusswirksame Gebirgsbereich muss über eine räumliche Ausdehnung verfügen, die größer ist als das für das Endlager rechnerisch erforderliche Volumen.“ siehe 5.1.2, Seite 24 dieses bisher nur mit flexibler Endlagerauslegung und Rückholkonzepten begründet. Eine wesentliche Begründung sollte darin liegen, dass über den im Nachweiszeitraum unbedingt notwendigen Einschlussbereich hinaus einschlusswirksame Gesteinsbereiche vorhanden sind, die Redundanzen zum notwendigen Einschlussbereich darstellen. Diese sind aber aufgrund dieser Rolle von der Flexibilisierung auszunehmen.

Bei der Diversität ist solch ein Ansatz nicht gegeben, wenn nicht das ewG-Modell verlassen wird. Es wird ein erweitertes Modell vorgeschlagen, in dem mehrere gestaffelten ewGs (dewG-Modell) abgebildet werden können, die auf unterschiedlichen einschlusswirksamen Gesteinen mit unterschiedlichen Sicherheitsfunktionen beruhen. Die Zähligkeit dieser gestaffelten ewGs ist dann als Abwägungskriterium „Diversität“ in die Gewichtungsgruppe 1 aufzunehmen (>2 „günstig“, 2 „bedingt günstig“, 1 „weniger günstig“).

Kristallin immer wieder diskutiert und jeweils unter den Teppich gekehrt

Weiterhin wurde – wie auch schon in der AG 3 – in der Kommission das Defizit in der systematischen und damit wissenschaftlichen Behandlung der Auswahlkriterien  offensichtlich. Frühzeitig wurde klargestellt, dass der AkEnd die Kriterien nicht auf Kristallingesteine anwenden wollte, obwohl dies nirgends deutlich in seinen Empfehlungen gesagt wurde. Trotz dieses Wissens hat die AG 3 vor der Diskussion der einzelnen Kriterien dieses nicht systematisch aufgearbeitet, sondern in jeder Sitzung über Kriterien lange darüber diskutiert, um es dann jeweils unter den Teppich zu kehren.

Wissenschaftliche Arbeitsweise – Alternativen entwickeln

Ein möglicher wissenschaftlicher Ansatz wäre es gewesen, zwei Alternativen auszuarbeiten: eine mit möglichst gesteinsübergreifenden Kriterien und eine andere  mit streng gesteinsspezifischen Kriterien systematisch getrennt nach Wirtsgestein und einschlusswirksamen Gebirgsbereich. Am Anfang hätte auf jeden Fall stehen müssen die möglichen Endlagerkonfigurationen in Deutschland: Salz in steiler Lagerung, Salz in flacher Lagerung, Tonstein, Kristallin, Salz unter Ton, Kristallin unter Salz, Kristallin unter Ton etc. Die zu entwickelnden oder vom AkEnd zu übernehmenden Kriterien hätten systematisch an diesen Konfigurationen getestet werden müssen.

Statt wissenschaftsbasiert nur wissenschaftsverbrämt

Dies alles geschah nicht. Man kann also nicht davon sprechen, dass das jetzt in K-Drs. 209b vorgestellte Kriterienraster wissenschaftsbasiert ist. Es greift an einigen Stellen auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurück, es ist also eher als wissenschaftsverbrämt zu bezeichnen.

Wenig Wert auf Wissenschaftlichkeit gelegt

Wie wenig auf Wissenschaftlichkeit Wert gelegt wurde, wird an dem Beispiel der Mindestanforderung zur Mächtigkeit des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs klar. Hier wird jedenfalls im Konsens für Salz und Ton 100 m angegeben. Es wurde in diesem Zusammenhang beteuert, das diese 100 m nicht aus der Luft gegriffen sei, sondern quantitativ begründet werden kann. Dies ist aber in den Kommissionsunterlagen bisher an keiner Stelle geschehen, auch nicht durch ein Literaturzitat auf eine öffentlich zugängliche Quelle. Weiterhin erscheint es auf Basis der Definition des ewG unsinnig, eine Mindestmächtigkeit von 100 m zu fordern. Da die Radionuklidausbreitung möglichst gering sein soll, sollte die Mächtigkeit der Rechengröße ewG ebenfalls möglichst gering sein. Gemeint ist hier wohl eher die Mächtigkeit der Gesteinsart, aus dem der ewG bestehen soll.

Öffentliche Nachvollziehbarkeit?

Hier kommt man zwangsläufig zu dem Punkt der öffentlichen Nachvollziehbarkeit. Diese ist in vielen Fällen selbst für interessierte Laien nicht gegeben. Sehr schnell kommt die Antwort, das Problem sei zu komplex – siehe 3. Regionalworkshop. Wissenschaftsjournalistische Aufarbeitung oder gar didaktische Aufklärungsansätze sind in den gut zwei Jahren Kommissionsarbeit nicht versucht worden. Dies ist nicht nur in Hinblick auf die Öffentlichkeit bedauerlich, sondern auch kommissionsintern. Man gewinnt als Zuschauer schon oft den Eindruck, dass zumindest einige Kommissionsmitglieder abstimmen, obwohl sie nicht wissen, worüber sie abstimmen.

Gesteinsübergreifender Ansatz sehr ambitioniert

Der Ansatz, möglichst mit gesteinsunabhängigen Kriterien ein Standauswahlverfahren durchzuführen, mag wissenschaftlich nicht unmöglich sein, stellt sich aber als sehr ambitioniert heraus. Ein in der Öffentlichkeit besser nachvollziehbarer Ansatz wäre es, wenn wenigstens in der ersten Auswahlphase der gesteinsübergreifende zugunsten eines gesteinsspezifischen Ansatzes verlassen würde. D. h. es werden vorerst die drei bestmöglichen Standorte jeweils in Salz, Ton und Kristallin ausgewählt.

Wissenschaftsstand bezüglich Standortauswahlverfahren

Doch wo stehen wir mit der Wissenschaft bezüglich eines Standortauswahlverfahrens? Da der geologische Untergrund Deutschlands so vielfältig ist, ist das Auswahlverfahren schließlich und endlich gesteinsübergreifend zu gestalten. Andere Länder haben es oder machen es sich einfacher, indem sie sich auf ein Gestein konzentrieren. Historisch war Deutschland ja auch 40 Jahre lang auf diesem Weg. Darauf wurde die Forschung konzentriert, was in K-Drs./AG3-120 zum Ausdruck gebracht wird. Auch wenn die Einschätzung von Herrn Sailer zu diesem Papier, hier würden Wissenschaftler als Kriminelle dargestellt, überzogen ist, wird doch eines deutlich. Das Wissenschaftssystem in diesem Bereich hat dazu geführt, dass kaum eine WissenschaftlerIn einen aufrechten Gang versucht hat. Die Bereitschaft, womöglich aus dem Erwerbsleben auszuscheiden oder zumindest sich beruflich vollkommen neu zu orientieren, war die Ausnahme. Wie ist es sonst zu erklären, dass seit gut fünf Jahren selbst in staatlich-administrative Gremien über flache Salzlagerungen als Endlagermedium geredet wird, aber erst jetzt Forschungsprojekte dazu wie BASAL und KOSINA bearbeitet werden?

Inter- und transdisziplinäre Ansätze

Auch wenn in K-Drs. 231a unter Punkt inter- und transdisziplinäre Ansätze auf das Forschungsprojekt ENTRIA beispielhaft verwiesen werden soll, sieht die Realität leider anders aus. Sieht man das Buch Ewigkeitslasten als ein Ergebnis von ENTRIA an, so zeigt dieses weder inter- noch transdisziplinäre Arbeitsweisen – siehe Beitrag ENTRIA: Eine Einführung mit dem Titel „Ewigkeitslasten“.

Ein Gedanke zu „Endlagerkommission: Wissenschaftsverbrämt statt wissenschaftsbasiert

  1. Wissenschaftsjournalistische Aufarbeitung oder gar didaktische Aufklärungsansätze

    Die fehlende wissenschaftsjournalistische Aufarbeitung und die nicht vorhandenen didaktische Aufklärungsansätze wurden in der Kommissionssitzung am 02.06.2016 peinlich deutlich. Es ging um die Grafiken in K-Drs. 241, die bereits Bestandteil der geologischen Kriterien waren, höre Audiomitschnitt ab 3:08:14. Hier kann nur wiederholt werden:

    Man gewinnt als Zuschauer schon oft den Eindruck, dass zumindest einige Kommissionsmitglieder abstimmen, obwohl sie nicht wissen, worüber sie abstimmen.

    Leider kann deshalb nicht von einem robust rationalen Ergebnis der Kommissionsarbeit ausgegangen werden. Wissenschaftsbasiert sieht anders aus.

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