ERAM-Planfeststellungsantrag: Wie weiter?

Wirbel um den Planfeststellungsantrag acht Jahre nach Antragstellung

Der Planfeststellungantrag zur Stilllegung des Endlager Morsleben sorgt nun – acht Jahre nach Auslegung der Antragsunterlagen und sechs Jahre nach dem Erörterungstermin – für einigen Wirbel, insbesondere weil eine fachlich durchaus gebotene Rücknahme nach § 58 Abs. 7 AtG zu einem Wechsel der Genehmigungsbehörde führen würde. Zuständig wäre dann das BfE mit dem Fachgebiet FA 4 und nicht mehr das Umweltministerium des Landes Sachsen-Anhalt.

Das NBG wird sich auf seiner nächsten Sitzung am 10.11.2017 unter TOP 1 mit dieser Problematik befassen.

Auftrag des BMUB oder im Rahmen der Betreiberverantwortung der BGE?

Seitens des Landesumweltministeriums wurde mitgeteilt, die BGE wird mit Auftrag vom BMUB bis Anfang 2018 ein Konzept dazu vorlegen. Seitens des BMUB wird dagegen dargestellt, dass die BGE von sich aus im Rahmen ihrer Betreiberverantwortung Überlegungen zu einer effizienten Verfahrensgestaltung anstelle.

Verschwiegen wird: Es gibt schon zwei Konzepte und eine Stellungnahme

Von keiner Seite wird mitgeteilt, dass dieses Konzept bereits dann das dritte Konzept des Betreibers zu dieser Frage sein wird – Transparenz war wohl gestern. Schon im Schreiben des BMUB an das Landesumweltministerium vom 19.04.2017 wird ein erstes Konzept angesprochen:

Auf meinen Wunsch hin hat das BfS darüber hinaus auch eine Alternativenbetrachtung zum weiteren Vorgehen im Planfeststellungsverfahren zur Stilllegung des ERAM vorgenommen, einschließlich der Möglichkeit, den Antrag auf Planfeststellung bei Ihrem Hause ebenfalls zurückzuziehen.

Diese Alternativenbetrachtung ging als Bericht des BfS an das BMUB-RS III 4 (Datum 02.01.2017, Aktenzeichen SE/9M/830200/BA/AA/0109/00). Die BGE hat dem BMUB dann – mit Datum 14.07.2017 – ein zweites Strategiekonzept Stilllegungsverfahren ERAM vorgelegt. Zu diesem Konzept wurde dem BMUB – mit Datum 27.07.2017 – eine Stellungnahme des BfE übermittelt.

Konzepte kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen

Offensichtlich kommt das erste Konzept zum dem Schluss, dass eine Rücknahme des Antrags angezeigt ist, was dann am 15.02.2017 zur entsprechenden Ankündigung im Landesumweltministerium geführt hat – siehe Protokoll. Das nun vorliegende Konzept vom 14.07.2017 kommt zum entgegengesetzten Ergebnis.

Abgesehen von diesem Ergebnis enthalten das zweite Konzept und die Stellungnahme interessante Details zum Projekt Morsleben.

Personalkapazität beim Antragsteller

Im Konzept aus Seite 4 ist ausgeführt:

Parallel hierzu wurde durch Einbindung des Bundesverwaltungsamtes (BVA) eine Organisationsuntersuchung von SE 5 durchgeführt. Diese führte im Kern zu dem Ergebnis, dass SE 5 mit 15 zusätzlichen Stellen und entsprechend qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszustatten ist, da bei der unterstellten langen Projektlaufzeit bis zur Vorlage der vollständigen und konsistenten Antragsunterlagen ansonsten allein schon durch die fortlaufenden Entwicklungen in Wissenschaft und Technik die Chancen auf Erteilung eines Planfeststellungsbeschlusses (PFB) zur
Stilllegung des ERAM äußerst gering sind. Der Organisationsgutachter führt weiter aus, dass durch Einbindung dieser qualifizierten Mitarbeiterressourcen durch Parallelisierung der Aufgaben die Projektlaufzeit des Genehmigungsverfahrens bis zur Vorlage der konsistenten Antragsunterlagen beim MULE von ca. 22 bis 25 Jahre auf ca. 10 bis 12 Jahre verkürzt werden kann und nur dadurch überhaupt eine realistische Chance zur Erlangung eines PFB besteht.

Fraglich ist, ob die zwei von der BGE öffentlich ausgeschriebenen Stellen

  1. Geologe / Geophysiker (m/w): BGE-1040 und
  2. Dipl.-Ing. Geotechnik / Bauingenieurwesen (m/w): BGE-1050

nicht im krassen Widerspruch zu den vom BVA vorgeschlagenen Stellen steht?

Ist die Rücknahme des Antrags notwendig?

Im Konzept steht auf Seite 5:

Eine Neustrukturierung des Antragsverfahrens auf Stilllegung ist auch mit dem MULE machbar. Es können einzelne Antragsunterlagen auf verschiedenen Ebenen (Nachweise, Zwischenauswertungen, Basisdaten etc.) zurückgezogen werden. Es kann sogar bis zur weitgehenden Rücknahme aller Unterlagen kommen, ohne dass es der Rücknahme des Antrages auf Stilllegung selbst bedarf. Dies ist grundsätzlich in § 73 Abs. 8 VwVfG angelegt.

Im Gegensatz dazu wird in der Stellungnahme auf Seite 2 von hohen Risiken bei Nichtrücknahme gesprochen:

Ein Festhalten an dem derzeitigen Antrag ist demnach mit sehr hohen Risiken hinsichtlich einer rechtsbeständigen Genehmigung verbunden und führt zu unkalkulierbaren zeitlichen Abläufen mit hohen finanziellen Belastungen des Bundeshaushalts –  einhergehend mit einem mit der Dauer des Betriebs der Anlage voranschreitenden Sicherheitsverzehr.

Weiterhin auf Seite 3:

Unerwähnt bleiben dagegen in dem Bericht an das BMUB erhebliche rechtliche Hürden im Falle des Festhaltens am bisherigen Stilllegungsantrag, wie z. B. die ungelöste Genehmigungssituation für das Ostfeld und die Frage der bisher nicht vorgesehenen gehobenen wasserrechtlichen Erlaubnis.

So darf die Planfeststellungsbehörde zum ERAM immer noch nicht prüfen, ob die Einlagerung von Atommüll aus der alten BRD im Ostfeld rechtmäßig war (Bundesweisung vom 26.06.1996). War die Entsorgung ins ERAM-Ostfeld und die damit verbundene ersehnte Räumung der Landessammelstellen – nach der Wende als Ersatz für die 1978 gestoppte Asse-Entsorgung – womöglich illegal?

Doch was ist mit der gehobenen wasserrechtlichen Erlaubnis gemeint?

Endlagerung der zwischengelagerten Abfälle

Im Konzept geht es auf Seite 3 um die zwischengelagerten Abfälle:

Oberstes Projektziel ist damit die sichere Schließung der Anlage unter Einhaltung der gesetzlichen Schutzziele. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zur Stilllegung soll zudem die Endlagerung der bisher zwischengelagerten radioaktiven Abfälle genehmigt werden, so dass auf eine Auslagerung und Übergabe an die zuständige Stelle des Landes Sachsen-Anhalt verzichtet werden kann.

Warum müssen die vom Bund zwischengelagerten Abfälle an das Land Sachsen-Anhalt übergeben werden? Eine Rechtsgrundlage wird leider nicht angegeben. Ist es nicht Aufgabe des Bundes für seine Abfälle einen neuen Zwischenlagerstandort zu suchen – siehe auch Rossendorfabfälle. An keiner Stelle wird betrachtet, ob die technisch einfache Rückholung der zwischengelagerten Abfälle – insbesondere des Radiumfasses – zu einer Vereinfachung des Plans und damit Verkürzung des Verwaltungsverfahrens führen kann.

BfE und lernendes Gesetz

Das BfE betont in der Stellungnahme immer wieder die gesetzlichen Regelungen. So auf Seite 2.

Die im Bericht der BGE ins Zentrum gerückte Frage der
Zuständigkeit für das Planfeststellungsverfahren ist nachrangig. Sie ist gesetzlich geregelt und jüngst vom Bundestag und Bundesrat breit getragen bestätigt worden.

und auf Seite 3:

…derartige Feststellung der Endlagerkommission nicht bekannt. Empfohlen wurde vielmehr das Festhalten an den Übergangsregelungen, die schon im StandAG 2013 für die laufenden Projekte festgelegt wurden. Wenn das laufende Planfeststellungsverfahren Stilllegung abgeschlossen ist, geht die Verantwortung für die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren auf das BfE über, wie es der Bundestag und der Bundesrat mit Zustimmung des Landes Sachsen-Anhalts beschlossen haben.

Wo bleibt da das Standortauswahl-Artikelgesetz  als angeblich lernendes Gesetz, was doch signalisieren soll, dass die Novellierungsschwelle niedrig gehalten werden soll?

Streckenabdichtungen als zeitbestimmender Faktor?

Interessant für den fachlich interessierten Betrachter ist, dass bei der Diskussion zur Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens nicht die erheblichen Probleme bei den geplanten Streckenabdichtungen erwähnt werden. Auf Verlangen der Genehmigungsbehörde wurden in-situ Versuche durchgeführt, die im Salz und insbesondere im Anhydrit nicht zu dem gewünschten Ergebnis führten  – siehe Ergebnisbericht zum Stand der Quelldruckentwicklung des DBM 2 in dem Versuchsbauwerk im Anhydrit der Grube Bleicherode (kann zur privaten Nutzung von endlagerdialog.de bezogen werden). Trotz intensiver Akteneinsicht bei der Genehmigungsbehörde konnte keine Planung für einen notwendigen neuen Versuch im Anhydrit entdeckt werden. Diese ist aber für eine zügige Planfeststellung notwendig und unter Umständen für das Verfahren zeitbestimmend.

Oder sollen die Streckenabdichtungen nach Ansicht der BGE nicht mehr in einem in-situ Versuch getestet werden? Soll nicht eine realistische Planung, sondern eine eher vage Konzeptplanung genehmigt werden? Soll dann die Einhaltung des kf-Wertes von 10-18 m/s allein von der Atomaufsicht (BfE, Fachgebiet KE 5) hinter verschlossenen Türen eingefordert werden?

Beteiligung der BürgerInnen

Die Beteiligung der Öffentlichkeit, die landläufig als Zeitfaktor ins Gespräch gebracht wird, spielt im Konzept und in der Stellungnahme keine Rolle. Bei den zu erwartenden notwendigen erheblichen Planänderungen ist ein neues Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig – sowohl bei Neuantrag als auch bei Verfolgung des bisherigen Antrags. Erinnert seien dazu die Ausführungen der Initiativen beim Erörterungstermin (Niederschrift über den Erörterungstermin, Seite 9-52):

Es ist zu erwarten, dass das BfS als Antragsteller diesen Plan noch in wesentlichen Punkten ergänzen und modifizieren wird und dass auch zum laufenden Betrieb weitere Genehmigungen eingeholt werden müssen.

Nach der Öffentlichkeitsbeteiligung im Planfeststellungsverfahren ist es jetzt erforderlich, dass zu den Fach- und Abstimmungsgesprächen zwischen Genehmigungsbehörde und Antragsteller/Betreiber regelmäßig ein Vertreter der einwendenden Verbände mit einem wissenschaftlichen Beistand hinzugezogen wird.

Zur Begleitung des Betriebes und der Stilllegungsarbeiten ist im Sinne eines Runden Tisches eine Begleitgruppe einzurichten, an der Betreiber und Genehmigungsbehörden sowie Kommunen, Umweltbehörde und Bürger aus der Umgebung mit ihren wissenschaftlichen Beiständen beteiligt werden. Diese Begleitgruppe soll fallweise und mindestens zweimonatlich im Wechsel in Magdeburg und in Morsleben zusammenkommen.

Eine Beteiligung von Verbänden an Abstimmungsgesprächen gab es bisher nicht, eine Begleitgruppe wurde nicht eingerichtet.

Endlager Morsleben und Safety Case

In den Unterlagen wird immer wieder von einem sogenannten Langzeitsicherheitsnachweis gesprochen. Dieser alte Sprachgebrauch sollte durch den international gebräuchlichen Begriff Safety Case – besser noch Risk Case – ersetzt werden.

Im Rahmen des Projekts ENTRIA wurden interessante Ansätze zur Erarbeitung des Safety Cases entwickelt (siehe GAiA-Artikel: Klaus-Jürgen Röhlig, Anne Eckhardt: Primat der Sicherheit – Ja, aber welche Sicherheit ist gemeint?, Seite 105):

Die Vermutung, dass mangelndes Vertrauen oder unterschiedliche Risikoansichten zu Diskrepanzen führen, spricht für eine aktivere Beteiligung von Stakeholdern an der Erstellung des Safety Case. Ein solches Vorgehen böte verschiedene Vorteile: Die Akzeptanz für den Safety Case könnte verbessert werden und ein breiteres Spektrum an unterschiedlichen Argumenten ginge in den Safety Case ein, was die Basis für Sicherheitsbeurteilungen verbreitern und die Gefahr von „unknown knowns“ verringern könnte. Saltelli und Funtowicz (2014) plädieren daher aus der Motivation eines adäquaten Umgangs mit Ungewissheiten heraus für die Einbeziehung von „stakeholder viewpoints“….

Ob und wie der Safety Case an die Bedürfnisse der Stakeholder angepasst werden soll – dazu ist in den kommenden Jahren eine konzentrierte transdisziplinäre Forschung erforderlich. Wichtige Forschungsfragen lauten unter anderem: Welche Aspekte (Paradigmen, Gegenstände und Ergebnisse) des Safety Case sind in der Wahrnehmung der interessierten Öffentlichkeit im Standortauswahlprozess von besonderer Bedeutung? Welche Anforderungen stellt die interessierte Öffentlichkeit an die Kommunikation des Safety Case? Inwieweit ist es sinnvoll und möglich, ein breites Spektrum an Stakeholdern in die Erstellung des Safety Case einzubinden?

Durch Beteiligung der Öffentlichkeit sind die WissenschaftlerInnen gezwungen, verständliche Erklärungen bereitzustellen und Rede und Antwort zu stehen. Wie in der Forschung über Nichtwissen bereits ausgiebigst diskutiert, lassen sich damit auch Expertenirrtümer reduzieren. Dass dazu eine konzentrierte transdisziplinäre Forschung erforderlich ist, ist wohl überzogen. Hilfreich wäre es aber, die schon lange vorliegenden Forschungsergebnisse aus den verschiedensten Bereichen endlich zusammenzutragen. Diese sollten dann in dem zu Morsleben neu zu erstellenden Risk Case getestet werden.

Mit dieser beispielhaften Vorgehensweise würde im Sinne des Schlussabsatzes der Stellungnahme gehandelt werden:

Das Endlager Morsleben läuft von Beginn an zwar im Schatten der öffentlichkeitswirksamen Projekte Asse und Gorleben. Der Umgang mit den Herausforderungen und die Form der Zusammenarbeit der Akteure können aber erhebliche Signalwirkungen auf die Glaubwürdigkeit in die Ernsthaftigkeit des Neubeginns der Lösung des Endlagerproblems und in seine neuen lnstitutionen entfalten.

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