Dient die Endlagerstandortsuche dem Wiedereinstieg in die Atomkraftnutzung?

Atomausstieg nicht einmal im Grundgesetz

Die Nutzung der Atomkraft soll in Deutschland bis Ende 2022 beendet sein (§ 7 Abs. 1a AtG). Eine mögliche Festlegung des Atomausstiegs im Grundgesetz und damit ein Zweidrittel-Schutz vor einem Wiedereinstieg war bisher politisch nicht durchsetzbar – siehe auch Beitrag Atomausstieg ins Grundgesetz? Sieben Anwesende dafür, neun dagegen.

„Sicherheitsforschung“ als Trojanisches Pferd

Im Blog Nuclear Waste wurde jetzt ein umfangreicher Artikel mit dem Titel „Sicherheitsforschung“ als Trojanisches Pferd veröffentlicht, der insbesondere auch die Rolle Deutschlands bei der Entwicklung der vierten Generation von Atomkraftwerken schildert. Der Artikel kommt zu folgendem Resümee:

Es kann nicht sein, dass Deutschland sich durch Hintertüren, Tricksereien und unter dem intransparenten Schleier der Euratom-Finanzierung an atomaren Renaissance-Versuchen von Frankreich und anderen Staaten beteiligt. Was weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit mit der deutschen Unterstützung von AKW der dritten Generation (EPR) bereits möglich war, darf sich keinesfalls bei Reaktorkonzepten der vierten Generation wiederholen. Das trojanische Pferd der ´Sicherheitsforschung´ dient letztendlich dazu, weltweit atomare Export- und Rüstungsmärkte aufzubauen – sogar in Ländern, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben haben. Damit untergräbt diese Forschung das Vertrauen in die Politik und in die internationale Ordnung.

Wo bleibt die Technikfolgenabschätzung des KIT in eigener Sache?

Da das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) dabei eine wesentliche Rolle spielt und dort auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) angesiedelt ist, wird zu Recht die Frage gestellt Wo bleibt die Technikfolgenabschätzung des KIT in eigener Sache?

StandAG und Wiedereinstieg

Die Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt: Kann nach erfolgreicher Umsetzung des StandAG mit der Argumentation, die Endlagerfrage sei geklärt, ein Wiedereinstieg in die Atomkraftnutzung begründet werden?

Rechtfertigungsgrundsatz des Strahlenschutzes

Die Endlagerung ist eine Maßnahme des Strahlenschutzes. Es sind also die Grundsätze des Strahlenschutzes anzuwenden. Der erst Grundsatz ist die Rechtfertigung. Gegen diesen Grundsatz ist bei der Atomkraftnutzung bezüglich der radioaktiven Abfälle weltweit verstoßen werden. Es lagen keine Erfahrungen mit dem Verbleib der Abfälle vor, also war eine Rechtfertigung mit der Abwägung von Nutzen und Risiko unter Berücksichtigung von Alternativen nicht möglich.

Dänemark als Ausnahme

Allein in Dänemark wurde der Strahlenschutz in dieser Weise berücksichtigt. Denn vor der Entscheidung zum Einstieg in die Atomkraftnutzung wurden Endlagerstandorte gesucht. Sechs Salzstöcke wurden betrachtet. Wegen der negativen Untersuchungsergebnisse verzichteten die Dänen schließlich auf den Bau von Atomkraftwerken – siehe Beitrag Endlagersuche im internationalen Vergleich.

Sechs Phasen der Atomkraftnutzung in Deutschland

Mit der Produktion radioaktiver Abfälle bei der Elektrizitätserzeugung waren in Deutschland in verschiedenen Phasen unterschiedliche Nutzen und Alternativen zu bewerten.

  1. Kernenergie als akzeptierte Energieform im Mix in der BRD von 1961
    bis 1986
  2. Kernenergie als Energieform im Mix in der DDR von 1966 bis 1990
  3. Kernenergie als Übergangsenergie im Mix der BRD nach der
    Reaktorkatastrophe Tschernobyl 1986 bis 1998 bei gleichzeitiger
    Entwicklung von Alternativen (Parteiprogramme CDU/CSU, Parteitag
    SPD, Gesetzesentwurf Die Grünen)
  4. Beseitigung des Zwanges, Atomstrom zu nutzen, durch
    Energierechtsnovelle 1998; Deklarierungspflicht seit 01.12.2005
  5. Atomkompromiss über das Auslaufen der Stromproduktion aus
    Kernenergie unter Berücksichtigung der betriebswirtschaftlichen Vorteile
    für den Kernkraftwerke betreibenden Teil der Elektrizitätswirtschaft unter
    Verzicht auf den Sofortausstieg trotz zur Verfügung stehender
    Alternativen sowohl auf Angebots- als auch auf Nachfrageseite von
    2000 bis 2022
  6. eventuelle Kernenergienutzung nach 2022 oder außerhalb der im
    Atomkompromiss vereinbarten Restlaufzeiten vor 2022

Unterschiedliche Rechtfertigungen -> unterschiedliche Strahlenbelastungen

Für unterschiedliche Rechtfertigungen sind nach den Strahlenschutzgrundsätzen auch unterschiedliche Strahlenbelastungen üblich. So sind die zulässigen Belastungen bei einer medizinischen Anwendung in der Regel hoch, da hier von einem hohen Nutzen für den Betroffenen ausgegangen wird. Übertragen auf die Endlagerung radioaktiver Abfälle können die Anforderungen für die oben genannten sechs Phasen unterschiedlich angesetzt werden. Insbesondere ist zu fragen, ob für eine Phase 6 die Unabwägbarkeiten, die das StandAG beim heutigen Stand von Wissenschaft und Technik beinhaltet, noch tragbar sind. Muss nicht für die Phase 6 für eine geologische Tiefenlagerung zumindest eine vollständige Abdeckung der Prognosen durch geophysikalische Modelle gefordert werden?

Endlagerkommission – Committee on Radioactive Waste Management (CoRWM)

Solche Diskussionen sind in der Endlagerkommission nicht geführt worden, da Strahlenschutzexpertise nicht vertreten war. Allein bei der Endlagerdiskussion in Großbritannien im Rahmen der Arbeit des Committee on Radioactive Waste Management (CoRWM) spielt die Unterscheidung von alten und neuen Abfällen eine Rolle – siehe CORWM.(2006). Managing our Radioactive Waste Safely – CoRWM´s recommendations to Government, S. 42.

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Dient die Endlagerstandortsuche dem Wiedereinstieg in die Atomkraftnutzung?

  1. „Es lagen keine Erfahrungen mit dem Verbleib der Abfälle vor, also war eine Rechtfertigung mit der Abwägung von Nutzen und Risiko unter Berücksichtigung von Alternativen nicht möglich.“
    Diese Aussage empfinde ich als ausgemachten Blödsinn. Auch wenn keinerlei Erfahrungen vorhanden waren, hätten sich die beteiligten Wissenschaftler (Physiker, Chemiker, Ingenieure) doch Gedanken machen müssen, wie sie mit den Abfallprodukten aus diesen Prozessen umzugehen haben.
    Dies war jedoch nicht gewollt – weder von den Betreibern der AKWs noch von der Politik. Doch in der Politik sind ja auch nur Amateure tätig, zumindest in diesem sehr speziellen Bereich.

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