BGE geht junge Wege

Dritte Veranstaltung in Berlin

Am 28.11.2018 fand die dritte Veranstaltung mit dem Titel Standortauswahl – Wie die BGE ein sicheres Endlager für Atommüll sucht statt. Nach Peine und Wolfenbüttel war jetzt Berlin an der Reihe. Passender wäre es gewesen, diese Veranstaltung an den Orten der derzeitigen Endlagerdiskussion wie Lathen und Sögel, Herzlake, Krone, Meppen, Bayerischen Wald oder flächendeckend in ganz Bayern (Koalitionsvereinbarung, S. 31) anzubieten. Weitere wichtige Veranstaltungsorte können der BMU-Presseschau vom 19.05.1994 entnommen werden.

Solidarität mit dem Geologischen Dienst Bayern notwendig?

Entgegen diversen Meldungen in der Presse- und Informationslandschaft hat nach wiederholter Feststellung der BGE das Land Bayern die angefragten Geodaten des Landes ohne Weiteres geliefert. Man kann nur hoffen, dass das Bayerische Landesamt für Umwelt Abt. 10: Geologischer Dienst weiterhin den jetzt massiven Einflüssen der Landespolitik widersteht.

Erstaunlich viele TeilnehmerInnen

In Berlin kamen erstaunliche viele TeilnehmerInnen zusammen. Unter den ca. 70 Personen waren viele ehemalige Mitglieder der Endlagerkommission, stark vertreten war das Nationale Begleitgremium. Auch die BGZ wurde von der BGE als Schwestergesellschaft begrüßt, mit der man ein Stück weit zusammenarbeiten müsse. In der GeschäftsführerInnen-Reihe nahm auch die ab Anfang 2019 bei der BGE als kaufmännische Geschäftsführerin tätige Frau Beate Kallenbach-Herbert Platz.

Aber es gab eine positive Überraschung

Für jemand, der Endlagerveranstaltungen regelmäßig besucht, war zu erwarten, dass es nichts Neues in der Sache geben wird. So lag die Statuskonferenz des BfE nur knappe drei Wochen zurück, wo die BGE bereits zu Wort kam. Aber es gab eine positive Überraschung: Das vorgesehene Standortauswahlverfahren wurde von Frau Dr. Dorothea Reyer vorgetragen, die erst seit August 2018 bei der BGE arbeitet.

Keine Sprachregelungen, mit Beispielen aufgepeppt

Sie benutzte nicht die bisherigen Sprachregelungen, sondern schilderte das Vorgehen von den Ausschlusskriterien über die Mindestanforderungen bis zu den geologischen Abwägungskriterien in recht anschaulicher Weise. Dies gelang zum Beispiel durch Nennung von Beispielen. Zur Gebirgsdurchlässigkeit von unter 10-10 m/s nannte sie die Durchlässigkeiten von Grundwasserleitern von 10-2 m/s bis 10-5 m/s, in der Werkstoffkunde gelte 10-9 m/s als praktisch als undurchlässig.

Herausforderungen und Lücken im Wissen

Zum Ende nannte sie vier Herausforderungen:

  1. Heterogene Datenbasis,
  2. Rechte Dritter,
  3. Prognosen und
  4. Vorgehen mit schlecht erkundeten Gebieten

Auch gab sie Lücken in ihrem Wissen offen preis, so auf die Frage, ob nicht bei sehr alten Bohrungen keine Daten bekannt seien: Weiß ich nicht so genau, da muss man Bohrexperten befragen.

Sicherheitsabstände

Die zurzeit auf der Grundlage von Expertenmeinungen vorerst angesetzten Sicherheitsabstände von aktiven Störungen, Vulkangebieten bzw. Bohrungen wurden mit 1 km, 10 km bzw. 1,5 m angegeben. Diese Ausschlussgründe wie lokale Beben außerhalb der Erdbebenzonen < 1 werden aber bei späteren Sicherheitsanalysen beim Vergleich mehrerer Standorte zu berücksichtigen sein.

Veröffentlichung von Ausschlussgebieten

Die mehrfach angekündigte Veröffentlichung von Ausschlussgebieten – siehe dazu Veröffentlichung der Zwischenergebnisse nach Anwendung der Ausschlusskriterien umstritten – stößt an diverse Detailprobleme und wird wohl nicht mehr vor dem Zwischenbericht zu den Teilgebieten nach § 13 StandAG stattfinden.

Rechte Dritter und Enteignung

Zu den Rechten Dritter gibt es auch Gespräche mit entsprechenden Explorationsverbänden. Diese sind durchaus zur Mitarbeit bereit, wollen aber Mitspracherechte bei jeder konkreten Veröffentlichung. Selbst nach einer diesbezüglichen Publikumsfrage wurde dies nicht mit der juristischen Problematik der Enteignung zusammengebracht.

Die 1 Mio. Jahre

Der Risikobetrachtungszeitraum von 1 Mio. Jahre wurde damit begründet, dass dann die radioaktiven Stoffe so weit abgeklungen seien, dass sie keine Schädigung mehr hervorrufen könnten. Das widerspricht dem LNT-Strahlenschutzmodell und  selbst bei Ansatz eines Dosisgrenzwerts sind bisher dazu keine Abschätzungen gemacht worden.

AVV nicht mehr Stand von W&T

Dies ist schon deshalb nicht möglich, da die AVV seit 2009 für Langzeitbetrachtungen bei Endlagern nicht mehr als Stand von Wissenschaft und Technik ist – siehe Abschätzung effektiver Dosen bei Freisetzungen aus einem Endlager. Hier wäre bei dem wegen des Ausstiegs aus der Atomkernenergienutzung in etwa bekannten Nuklidvektor eine Abschätzung für den notwendigen Isolationszeitraum notwendig.

Notwendiger Isolationszeitraum

Solche Abschätzungen sind in Kirchner, G. (1985). Ein neuer Toxizitätsindex zur Ermittlung des Gefährdungspotentials endgelagerter radioaktiver Abfälle. Bremen gemacht worden, siehe auch Umweltgutachten 2000:

1324. Die Langzeitsicherheit wird für verschiedene Szenarien bewertet, die die zukünftigen Entwicklungen eines Endlagers berücksichtigen. Die Szenarien werden identifiziert und die Stofffreisetzungen hinsichtlich ihrer potentiellen Auswirkungen auf zukünftige Generationen bewertet. Freisetzungen aus einem Endlager können je nach geologischer Formation schon bei ungestörter Entwicklung eines Endlagers oder erst bei gestörter Entwicklung auftreten. Aus solchen Untersuchungen werden die grundsätzlichen Eignungskriterien für Endlager in verschiedenen Wirtsgesteinen abgeleitet sowie konkrete Endlagerprojekte danach bewertet. Dabei können verschiedene Isolationszeiträume gefordert werden. KIRCHNER (1995) [Kirchner, G. (1995). Isolationszeiträume für die Endlagerung radioaktiver Abfälle., in: IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War/Internationale Ärzte für die Verhinderung des Atomkriege; Deutsche Sektion) (Hrsg.), Die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Leipzig, S. Hirzel: S. 85-97.] schätzt, dass 10 000 Jahre keineswegs ausreichten, sondern Zeiträume von etwa 10 Millionen Jahren anzustreben wären…

Erörterungstermin Zwischen- und Endlager Morsleben

Eine entsprechende Forderung wurde auf dem Erörterungstermin Zwischen- und Endlager Morsleben (ZERAM) aufgestellt – siehe Wortprotokoll S. 9-50 und Auswertung dazu S. A3/208:

Es wurde eingewendet, dass die Heranziehung von effektiver Strahlendosis und Organdosen als Indikatorgrößen für ein Endlager bei weitem nicht ausreichend sei. Es sei eine umfassende Langzeitsicherheitsargumentation zu entwickeln. Angebracht sei die Anwendung und zusätzliche Entwicklung weiterer Indikatoren wie z. B. die notwendige Isolationszeit bis zu einer Totalfreisetzung der gesamten Radioaktivität. M/{9-50a}

Nicht „notwendige Isolationsdauer“, sondern „Grenze des geologischen Wissens“

Zu dieser Problematik wurde zum GAiA-Schwerpunkt Endlagerung ausgeführt:

Angeführt wird der durch das StandAG vorgegebene Nachweiszeitraum von 1 Million Jahre und dieser als unvorhersehbarer Zeitraum in Hinblick auf Politiker, Technikern und der Gesellschaft bezeichnet. Verzichtet wird darauf darzustellen, dass die Physik die Lebensdauer der radioaktiven Nuklide recht gut vorhersagen kann. Aus dieser Aussage zu den Halbwertszeiten, die leicht 1 Million Jahre überschreiten, ist es naheliegend, zur Behandlung des Problems die Geologie, die mit solch langen Zeiträumen arbeitet, heranzuziehen. Die Geologie kann aber nicht so exakte Prognosen liefern wie die Physik. Wenn man die großen Unsicherheiten betont, wie es in dem Beitrag getan wird, sollte man diesen Aspekt auch zur Sprache bringen. So stellen sich die 1 Million Jahre nicht als notwendige Isolationsdauer dar, sondern sie wurden als Grenze des geologischen Wissens auf der Grundlage der Geologie Deutschlands festgelegt – siehe AkEnd-Empfehlungen S. 28 – 30:

Der AkEnd ist der Auffassung, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen praktisch vernünftige Prognosen über die geologische Standortentwicklung in günstigen Gebieten, wie sie auch in Deutschland existieren, über einen Zeitraum in der Größenordnung von einer Million Jahren erstellt werden können.

2 Gedanken zu „BGE geht junge Wege

  1. Den Nachweiszeitraum (bei Ihnen semantisch einwandfrei auch als „Risikobetrachtungszeitraum“ bezeichnet), der in Deutschland z.Zt. 1 Mio. Jahre beträgt, als „notwendigen Isolationszeitraum“ zu bezeichnen, ist zwar verständlich (um politisch einfach verständlich zu sprechen), aber nichtsdestotrotz semantisch irreführend und für die öffentliche Diskussion nicht hilfreich. Leider ist selbst vielen Experten in den Behörden, die für die Pflege des Regelwerkes zuständig sind, und in anderen befassten Organisationen eine linguistische Unterscheidung zu anspruchsvoll, so dass sich in immer mehr quasi-offiziellen Dokumenten der Begriff „notwendiger Isolationszeitraum“ tatsächlich als Synonym für „Nachweiszeitraum“ etabliert – mit den entsprechenden negativen Folgen. Es ist schlicht falsch, einen „Nachweiszeitraum“ (ein gesellschaftlich festzulegender Wert) mit einem „notwendigen Isolationszeitraum“ (im Sinne eines physikalisch/medizinwissenschaftlich errechenbaren Wertes) zu identifizieren. Dabei sind beides legitime Begriffe, die diskutiert werden können/sollen und natürlich bestehen Zusammenhänge. Nur ihre Verwechslung macht eine effiziente Diskussion unmöglich.

    Diese Thematik aufzugreifen bzw. dieser allgemein üblichen Verwechslung entgegenzuarbeiten, ist extrem wichtig. Danke dafür!

    Eigentlich würde ich entsprechende Aufklärungsarbeiten auch vom NBG erwarten. Dieses sollte sich bewusst sein, dass solche – aus unterschiedlichen Gründen – weder vom BfE noch von der BGE zu erwarten sind. Hoffentlich nutzt das NBG endlagerdialog.de als Informationsquelle.

    • Sehr geehrte klausel,

      vielen Dank für Ihren Diskussionsbeitrag.

      Die Verwechslung von Nachweiszeitraum und notwendiger Isolationszeitraum durch Behörden und Politik zeigt mir exemplarisch schon seit Jahren, wo wir beim Problem der Endlagerung stehen: ganz am Anfang. Und dabei hat der AkEnd dazu klare Ausführungen gemacht (AkEnd 2002, Seite 28-30). Offensichtlich haben Behörden und Politik das nicht verstanden.

      Für mich ist das ein interessanter erkenntnistheoretischer Aspekt. Der Nachweiszeitraum von 1 Mio. Jahre stellt nach AkEnd die Zeitgrenze des geologischen Wissens dar. Dahinter liegt das geologische Nichtwissen im Sinne von Wehling 2006. Sollte der notwendige Isolationszeitraum größer als 1 Mio. Jahre sein – Kirchner (SRU 2000, Abs. 1324 – im Namen der heruntergeladene Datei muss .pdf ergänzt werden) hat selbst für das bescheidene Konrad-Inventar schon 10 Mio. Jahre errechnet – dann liegt das Endlager im Nichtwissensraum. Selbstverständlich ist ein Endlager trotzdem notwendig, aber erkenntnistheoretisch muss man zugeben, dass das die heutige wissenschaftliche Kenntnis dafür nicht ausreicht und auch deshalb hier eine gesellschaftliche Entscheidung unter Nichtwissen getroffen werden muss.

      Nun kann man argumentieren, diese Feinheit begreife die interessierte Öffentlichkeit sowieso nicht. Vor solch einer Haltung muss man warnen. Wehling 2006 hat deutlich gemacht, dass solche Erkenntnisgrenzen eher von Laien als von Fachleuten erkannt werden. An ähnlichen Einstellungen sind auch schon Projekte gescheitert, siehe zum Beipiel Deep River, Ontario (Huitema 2002, Seite 356ff.).

      Anzumerken ist aber, dass selbst die Bestimmung eines notwendigen Isolationszeitraums nicht rein wissenschaftlich möglich ist. Da wir es hier mit Strahlenschutz zu tun haben, in dem das LNT-Modell angewendet wird, müssen Grenzbelastungen formuliert werden, die wiederum in einem gesellschaftlichen Verfahren festzulegen sind.

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