Editorial in der Mitgliederzeitschrift des Öko-Instituts e. V
In der Ausgabe Juni 2015 von eco@work, der Mitgliederzeitschrift des Öko-Instituts e. V., steht das Editorial ganz im Zeichen der Endlagersuche. Unter der Überschrift Eine Million Jahre kommt Michael Sailer zu folgendem Statement:
Kein von Menschenhand errichtetes Gebäude, keine Anlage, keine Technik kann eine sichere Verwahrung über solch lange Zeiträume gewährleisten, zu stark nagen die Kräfte der Natur. Nur geologische Formationen haben die nötige Stabilität, die Lasten der vergangenen rund 50 Jahre nuklearer Energiegeschichte zu bergen. Die Geowissenschaften können mit ihren heutigen Methoden Prognosen mit sehr hohen Wahrscheinlichkeiten über die nächste eine Million Jahre abgeben.
Stabilität von geologischen Formationen
Sicherlich ist richtig, dass Gebäude und andere Techniken ohne Instandhaltungsmaßnahmen nicht über längere Zeiträume Bestand haben. Doch schon die Aussage, geologische Formationen hätten die nötige Stabilität, gilt selbstverständlich nur mit Einschränkungen. Es sollte besser formuliert werden, geologische Formationen könnten die nötige Stabilität haben. Dies gilt auch nur, wenn die Formationen sorgfältig ausgesucht werden.
Erdbeben und Vulkanismus
Es gibt auch in der Tiefengeologie schnelle Prozesse. Das sind nach heutigem Wissen zumindest Erdbeben und Vulkanismus, die sich bezüglich Eintrittszeitpunkt bisher praktisch jeder Prognose entziehen. Erdbeben – wenn man nicht nur die Ereignisse mit oberirdischen Schäden betrachtet – gehören auch in Deutschland fast zum täglichen Geschäft, siehe Seismische Ereignisse in Deutschland. Das letzte vulkanische Ereignis in Deutschland liegt nach heutigen Erkenntnissen gut 10.000 Jahre zurück. Wenn diese Prozesse zwar zeitlich nicht prognostizierbar sind, lässt sich jedoch ihr räumliches Auftreten eingrenzen. Deshalb sind wenigstens Gebiete, in denen Vulkanismus und größere Erdbeben in den letzten Millionen Jahre auftraten, zu meiden. Ob man dann aber sicher ist vor solchen Ereignissen für die nächsten Millionen Jahre, sei dahin gestellt.
Prognoseunsicherheit nicht messbar
Schwieriger wird es bei anderen langsameren Prozessen, die zu einer Freisetzung von radioaktiven Abfällen führen könnten. Dass Geologen Prognosen über die nächste eine Million Jahre mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit abgeben können, kann jedoch schlechterdings nicht nachgeprüft werden. Das ist eben der Unterschied zur Meteorologie. Hier sind die Prozesse wesentlich schneller und die Prognoseunsicherheit lässt sich zum Beispiel bei Dreitagesprognosen messen, indem man das Wetter drei Tage später zurate zieht. Die Prognosemodelle können so weiter verbessert werden. Das lassen langsame geologische Prozesse nicht zu, da muss zu lange gewartet werden.
Geologie macht kaum zeitliche Prognosen
Die Geologie ist eine beschreibende Wissenschaft, die sich mit der Vergangenheit befasst. Zeitliche Prognosen sind die Ausnahmen. Bei der Endlagerproblematik trauen sich die Geologen inzwischen 1 Mio. Jahre zu (siehe AkEnd). Dies ist jedoch reine Spekulation, fundierte wissenschaftliche Literatur wurde dazu noch nicht präsentiert – siehe INTERNET-Forum Sicherheitsanforderungen 2008/2009 Punkt 5 Seite 6. Andererseits hängt die zeitliche Entwicklung der Radiotoxizität der Abfälle von deren Zusammensetzung ab und ist ziemlich exakt vorhersagbar. Es ist zu erwarten, dass bei den deutschen hoch radioaktiven Abfällen die notwendige Isolationszeit wesentlich über eine Million Jahre liegen wird.
Ist die Geologie eine gefestigte Wissenschaft?
Mit der Wahl von tiefen geologischen Schichten als Langzeitlagerstandort ist man voll und ganz auf das Wissen der Geologie angewiesen. Damit stellt sich die Frage, wie der Zustand der geologischen Wissenschaften ist. Sind deren Erkenntnisse erst neueren Datums und können auch schnell wieder revidiert werden, oder sind die notwendigen Aussagen in den letzten 200 Jahren stabil geblieben?
Plattentektonik erst vor 50 Jahren bestätigt
Erinnert sei daran, dass eine wesentliche Grundlage der modernen Geologie – die Plattentektonik – aus dem Jahre 1912 stammt, also erst gut hundert Jahre alt ist. Doch durchgesetzt hat sich diese weitreichende Theorie von Alfred Wegener erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Endgültige Bestätigung fand sie in den 1960-er Jahren, also vor fünfzig Jahren. Hier war der Paradigmenwechsel – im Sinne von Thomas S. Kuhn – sehr langwierig. Eine berechtigte Frage ist also: Wie unsicher sind geologische Aussagen? Sind geologische Aussagen so stabil, dass eine Langzeitlagerung auf der Grundlage geologischer Aussagen vertretbar ist? Siehe auch Beitrag Wie unsicher sind geologische Aussagen?