Neue „wissenschaftliche“ Studie bringt nur Altbekanntes

Seit Oktober 2008 arbeitet an der Europäischen Akademie eine Projektgruppe „Radioaktive Abfälle. Technische und normative Aspekte ihrer Entsorgung“.
Die Mitglieder der Projektgruppe sind:

  • Professor em. Dr. rer. nat. Dr. med. h. c. Christian Streffer, Vorsitzender (Universität Duisburg-Essen, Institut für Wissenschaft und Ethik)
  • Professor Dr. phil. Dr. phil. h. c. Carl Friedrich Gethmann (Universität Duisburg Essen, Institut für Philosophie; Europäische Akademie Bad Neuenahr GmbH)
  • Professor Dr.-Ing. Wolfgang Kröger (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Energietechnik)
  • Professor em. Dr. jur. Eckard Rehbinder (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Rechtswissenschaft)
  • Professor Dr. rer. pol. Dr. sc. tech. h. c. Ortwin Renn (Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften)
  • Professor Dr. rer. nat. Klaus-Jürgen Röhlig (Technische Universität Clausthal, Institut für Endlagerforschung)
  • Dr. phil. Georg Kamp, Projekt-Koordinator (Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH)

Am 10.10.2011 wird der Endbericht vorgestellt. Eine Kurzfassung ist aber schon verfügbar.

Leider ist dieser Kurzfassung keine neue Idee zu entnehmen. Alle Ansätze sind schon breit des Öfteren gerade von politischer Ebene propagiert worden. Auffallend ist die Reduzierung auf hochradioaktive Abfälle, die dem Titel widerspricht. Weiterhin wird zugrunde gelegt, dass der Standort Gorleben weiter erkundet wird. Das Ergebnis der Studie ist identisch mit den Vorstellungen, die seit Ende 2009 vom Bundesumweltministerium geäußert werden.

Auffallend ist das Defizit im Strahlenschutz. Er wird reduziert auf die Dosisbegrenzung, weder Rechtfertigung noch Minimierungsgebot werden instrumentalisiert.  Das geht so weit, dass ein diskutiertes Schutzziel von 10 µSv/a als nicht sinnvoll erachtet wird, obwohl dieses in der Strahlenschutzverordnung für die Entlassung aus der kerntechnischen Aufsicht vorgeschrieben ist (StrlSchV § 29 Abs. 2 Satz 1). Und ein Endlager soll ja nach Abschluss keine kerntechnische Anlage mehr sein. Weiterhin werden ethische Überlegungen ohne Bezug auf die historisch gewachsenen ethischen Ansätze des Strahlenschutzes angestellt.

Offensichtlich befindet sich  unter den Projektgruppenmitgliedern kein Fachmann für Strahlenschutz. Weiterhin fällt bei der Durchsicht der Beteiligten auf, dass die Endlagerung wohl eine rein männliche Domäne ist.

Zwar wird die Ungewissheit beim Problem der Endlagerung geäußert, es findet sich aber keine systematische Berücksichtigung dieses Aspekts, obwohl dieser inzwischen in vielen Bereichen wie z. B. den Umweltwissenschaften strategisch eingebunden wird. Wissenschaftsforschung und die Betrachtung von Wissens- und Nichtwissenskulturen finden keinerlei Niederschlag.

Zwar wird oft das Wort Dialog benutzt, es ist aber immer ein sog. Dialog zwischen Experten und anderen gemeint. Es darf bezweifelt werden, dass hier eine symmetrische Kommunikation nach z. B. Grunig/Hunt verfolgt wird, die eine wesentliche Voraussetzung einer effektiven Risikokommunikation darstellt. Herausgestellt wird fälschlicherweise die Freiwilligkeit im Falle der Endlagersuche in Schweden, obwohl genau diese Freiwilligkeit 1997 dort scheiterte. Erst ein zweiter Aufguss mit Scheinfreiwilligkeit führte unter weiteren wesentlichen Rahmenbedingungen zu dem heutigen schwedischen Ergebnis.

Bei der auffallenden Identität zwischen dieser Studie mit wissenschaftlichem Anspruch und den vom Bundesumweltministerium verlautbarten Ansichten ist es erstaunlich, dass die Arbeit durch die VGB (Verband der Großkessel-Besitzer) PowerTech Service GmbH  und nicht durch das BMU gefördert wurde.

Ein wissenschaftlich solider Ansatz ist jedenfalls in der Kurzfassung nicht zu finden. Vielleicht kann ja noch etwas Interessantes in der Langfassung wenigstens zwischen den Zeilen gelesen werden. Der Preis von 106,95 EUR ist jedoch wegen der aus der Kurzfassung hochgerechneten geringen Erfolgsaussicht eine hohe Hürde.

10 Gedanken zu „Neue „wissenschaftliche“ Studie bringt nur Altbekanntes

    • Hallo,
      vielen Dank für die Anmerkung. Habe jetzt mal Internet Explorer 6 und 9 ausprobiert. Da sieht es ganz normal aus. Was sieht denn unter Internet Explorer 7 komisch aus?
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  1. In den VDI nachrichten vom 14.10.2011 erschien ein Artikel mit der Überschrift „Das Endlagerprojekt steht ganz am Anfang“. Neben der oben erwähnten Studie wurde hier mitgeteilt, daß Niedersachens Ministerpräsident David McAllister die Bedenken des Landes gegen das bisher verfolgte Konzept der nicht rückholbaren Einlagerung in Gorleben dem BMU mitgeteilt hat. Norbert Röttgen antwortete ihm jedoch, daß es bei der bisherigen Erkundung Gorlebens bleibe.
    Der Umweltminister Baden-Württembergs Franz Untersteller stellte fast zeitgleich ein vierphasiges Konzept mit konkretem Zeitplan zur Suche nach einem Endlager vor. Das Konzept ist vom Öko-Institut erstellt worden und lehnt sich an das AkEnd-Konzept an.
    Die oben erwähnte Studie sieht neben der Erkundung Gorlebens ja auch eine Zweigleisigkeit zur Erkundung weiterer Standorte vor.
    Letztendlich muß sich aber die Bundesregierung bewegen, zumal die Europäische Kommission einen „Nationalen Entsorgungsplan“ gefordert hat und dies in absehbarer Zeit.

  2. Die EU-Richtlinie zeigt ihre Wirksamkeit.

    Ab gestern gibt es ja wohl einen Neubeginn bei der Endlagersuche. Endlich sind auch die süddeutschen Länder mit im Boot, die sich bislang gesperrt hatten, eine Suche in ihren Ländern vorzunehmen.

    Für das neu zu erschaffende Endlagergesetz gilt es, breite Kreise der Gesellschaft mit einzubeziehen. Nur ein Miteinander kann zu einer befriedigenden Lösung führen. Willkür und Gutsherrenmentalität wie in Gorleben ist „Schnee von gestern“.

    Im übrigen bedeutet es nicht sehr viel Arbeit: das AkEnd-Papier, das in der Schweiz weitestgehend angewendet wird, ist ja noch vorhanden und muß nur auf die neuesten, wissenschaftlichen Erkenntnisse angepaßt werden.

  3. Gleich vorweg: eine schöne Seite, die werde ich in Zukunft weiter verfolgen. Dieses ist ein wichtiges Thema und es kann nicht genug Aufklärung geben. Kurz aber nachgefragt: in welcher Branche sind Sie tätig? [1]

    Eine Anmerkung habe ich aber: unter dem Punkt about schreiben Sie: „Man begibt sich in Prognosezeiträume, die auch die Vorstellungen der Geologen sprengen. Deshalb wird hier schon einmal – klammheimlich – der notwendige Prognosezeitraum auf einen Betrachtungszeitraum von 1 Million Jahre verkürzt.“

    Das stimmt so aber nicht. Zum einen beschreiben Geologen teilweise Zeiträume, die wesentlich größere Zeiten umfassen. Es wird halt die Wahrscheinlichkeit mit zunehmender Spanne geringer. Zum anderen aber wurde der Isolationszeitraum nicht klammheimlich auf eine Mio Jahre verkürzt sondern im vom AkEnd vorgestellten Bericht in 2002 von vormals 100.000 Jahre auf eben diese eine Mio Jahre erhöht. Diese Erhöhung fand vor allem deswegen statt, da bis dahin die Aktivität des eingelagerten Inventars unter das natürlich Niveau gefallen ist. Daher ist auch ein Zeitraum von, sagen wir mal, zehn Mio Jahre unnötig. [2]

    Ein letzter Tip: da es mit Akismet in der Tat zu diesen Datenspeicherungen kam die man sich bestätigen lassen muss, bin ich mit meinem Blog vor einiger Zeit auf das Programm AntispamBee von Sergej Müller umgestiegen und kann das vorbehaltlos empfehlen. [3]

    Mit besten Gruß
    Jan

    • zu [1]
      Ich war bis Ende April beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) tätig, wo mir wegen interner Kritik an der Wissenschaftlichkeit und der nicht eingelösten Zusicherung „Transparenz und Offenheit“ fristlos gekündigt wurde. Jetzt kann ich – bei strikter Wahrung der Verschwiegenheitspflicht nach § 3 Abs. 1 TVöD – extern Kritik am Endlagermanagement üben ( siehe Gorleben und Morsleben). Promoviert habe ich in Physikalischer Chemie, letzte Zusatzausbildung war Journalismus/Public Relations.

      zu [2]
      Die Geologie ist eine beschreibende Wissenschaft, die sich mit der Vergangenheit befasst. Prognosen sind die Ausnahmen. Bei der Endlagerproblematik trauen sich die Geologen inzwischen 1 Mio. Jahre zu (siehe AkEnd). Dies ist jedoch reine Spekulation, fundierte wissenschaftliche Literatur konnte mir bisher noch nicht genannte werden. Andererseits ist die zeitliche Entwicklung der Radiotoxizität der Abfälle vom Nuklidvektor abhängig und ziemlich exakt vorhersagbar. So kommt Kirchner nach Umweltgutachten 2000 Rd.-Nr. 1324 beim KONRAD-Inventar auf eine notwendige Isolationszeit von 10 Mio. Jahre. Damit ist die geologische Endlagerung nach wissenschaftlichen Maßstäben selbst beim KONRAD-Inventar nicht möglich. Siehe dazu auch hier.

      zu [3]
      Danke für den Hinweis! Akismet wurde mir mehrfach empfohlen. Erst nach der Installation habe ich von dem fragwürdigen Datenmanagement erfahren und dies juristisch durch den Zusatz im Impressum nachgebessert. Wohl ist mir dabei nicht, aber der Antispam-Effekt ist groß. Ich werde mich über AntispamBee informieren.

  4. Durch persönliche Erfahrung in der geologischen Erkundung von Erdöl- Erdgaslagestätten musste ich feststellen, dass Geologen nicht in der Lage waren, eine exakte Prognose über die Tieflage von Gesteinsgrenzen abzuliefern. Hierbei wurden systematische Fehler gemacht, die dazu führten, dass bei zunehmender Anzahl von Tiefbohrungen der Erkenntnisstand über den Bau der geologischen Struktur immer schlechter wurde.
    Die Erkenntnis über den geologischen Bau wurde schließlich nicht durch die Anzahl der Tiefbohrungen entschieden, sondern durch die Anwendung mathematisch begründerter Methoden, die von Geologen noch keine Anerkennung als nützliches methodisches Inventar gefunden haben.
    Die Geologie verfügt gegenwärtig nicht über die notwendigen praktischen und viel mehr noch theoretischen Grundlagen solche Prognosen hinreichend sicher zu begründen.
    Können wir erwarten, dass unter solchen Bedingungen eine sichere Prognose über 1 Millionen Jahre machbar ist?
    Jede geologische Aussage, die technische Zeiträume übersteigt, kann man eigentlich nur als Etikette oder als Beruhigungspille bezeichnen.
    Im Falle des negativen Ausgangs des Unternehmens wird man sich immer auf einen ungenügenden Stand der Erkenntnis berufen.
    Dafür gibt es in der Geschichte des Bergbaus und der Technik viele Beispiele.

    Freundliche Grüße!

    Hans Eckhard

  5. „Jede geologische Aussage, die technische Zeiträume übersteigt, kann man eigentlich nur als Etikette oder als Beruhigungspille bezeichnen.
    Im Falle des negativen Ausgangs des Unternehmens wird man sich immer auf einen ungenügenden Stand der Erkenntnis berufen.“

    Hallo Herr Eckard, so ist es. Und schlimmer, wenn Wissenschaftliches hinter Lobbyistisches zurücktritt, so dass sich die Prognosen schon in Bruchteilen der technischen Zeiträume falsifizieren, wie im Fall Asse geschehen.
    Aber auch wenn die nicht unbefangenen Vorort-Experten authentischer referierten, scheint mir, dass jedes „Endlager“-Konzept im Vergleich zu Zwischenlagerkonzepten nur die (technische) Beherrschbarkeit erschwert, die Projekte verteuert, wie auch die etwaige Rückholung.

    MfG Rabanus

    • Insofern ist „Endlager“ in Bezug auf radioaktive Abfälle mit langer Halbwertszeit ebenfalls ein Euphemismus, siehe Der doppelte Euphemismus…. Richtiger wäre „Langzeitlager“.

      Das Motto der Site lautet deshalb auch

      endlagerdialog.de
      Wie und wo soll ein Atommülllager gesucht werden?

      und nicht

      endlagerdialog.de
      Wie und wo soll ein Endlager gesucht werden?

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