Die Erörterung der Einwendungen im Planfeststellungsverfahren zur Schließung des Endlagers Morsleben fand an neun Verhandlungstagen vom 13. bis 25. Oktober 2011 statt. Die Genehmigungsbehörde hat zur zielgerichteten Erörterung alle Einwendungspunkte thematisch sortiert zur Verfügung gestellt und abschnittsweise verlesen. Eine PDF-Zusammenstellung ist hier zu finden.
Der Verlauf der Erörterung wurde von der Genehmigungsbehörde in kurzen Tagesberichten zusammengefasst. Eine Zusammenstellung in einer PDF-Datei ist hier zu finden.
Der BUND e. V. stellte als Ergebnis des Erörterungstermins folgende Forderungen auf:
- Einen „Bürgerdialog“ (Runden Tisch) Morsleben
- Das Recht als Vertreter der Bürgergesellschaft, an allen Fach- und Abstimmungsgesprächen zwischen Genehmigungsbehörde und Antragsteller teilzunehmen.
- Die Trennung von Endlagerbetreiber, wissenschaftliche Strahlenschutzbehörde und Endlagerüberwachungsbehörde (bisher alles im BfS gebündelt)
- Die Abkehr von der Praxis der bundesrechtlichen Weisungen der Bundesregierung an Betreiber und Genehmigungsbehörde
Die Kritik am Stilllegungsvorhaben wurde am Schluss der Erörterung in folgenden zwölf Punkten zusammengefasst:
1. Die ursprüngliche Konzeption von Endlagern für Atommüll in der Bundesrepublik bestand aus drei Konzeptteilen: Isolation von der Biosphäre, Priorität der geologischen Barrieren und Lagerung in großen Tiefen. Bei der Genehmigung des Endlagers Konrad wurde bereits das Isolationsprinzip aufgegeben, beim ERAM soll zusätzlich die Priorität der geologischen Barrieren zugunsten von technischen Abdichtbauwerken gestrichen werden. Damit werden für das Endlager Morsleben und für das weitere notwendige Endlager Fakten geschaffen, die nicht akzeptabel sind.
Auch die Art und Weise wie dies geschieht ist bezeichnend. So wird einfach der Begriff „Isolation“ umdefiniert. Transparente und Vertrauen schaffende Vorgehensweise sieht anders aus. Weiterhin wird Biosphäre in einem Sinne benutzt, die dem heutigen Wissen nicht mehr entspricht. Die Biosphäre ist nicht beschränkt auf die übertägige Anthroposphäre.
2. Mit dem Argument, die Langzeitsicherheit sei ja vom BfS nachgewiesen, wird vom BfS jede fachlich akzeptable Alternativenprüfung abgelehnt. Damit wird ein wesentlicher Punkt der gesetzlich vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfung ad absurdum geführt, und dies bei einem so wichtigen Projekt wie der Endlagerung von radioaktiven Abfällen.
3. Mit der gleichen fragwürdigen Argumentation einer angeblich nachgewiesenen Langzeitsicherheit sollen im Zuge der Stilllegung noch schnell die nur zwischengelagerten Abfälle in Morsleben endgelagert werden. Diese Abfälle stellen etwa die Hälfte der im ERAM befindlichen Radioaktivität dar. Diese sind nicht endgelagert, da die Betriebsgenehmigung dies nicht erlaubt. Die Verquickung des Aufweichens der Betriebsgenehmigung zwecks Endlagerung mit der Stilllegung des Endlagers widerspricht dem vom BfS öffentlich propagierten Transparenzanspruch. Die transportgeeigneten zwischengelagerten Abfälle müssen vor der Stilllegung aus dem Endlager entfernt werden. Weiterhin ist der Verbleib der im Ostfeld nach Gerichtsbeschluss illegal endgelagerten Abfälle nicht akzeptabel.
4. Das Stilllegungskonzept basiert im Wesentlichen auf der Abdichtung durch Dammbauwerke. Die Herstellung dieser Dammbauwerke mit der erforderlichen Qualität befindet sich erst in der Versuchsphase, was ein fehlgeschlagener Großversuch eindrucksvoll verdeutlicht hat. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Dammbauwerke nach Rechenmodell des BfS auch noch für mindestens 40 Tausend Jahre halten müssen, ist eine verantwortungsvolle Stilllegung vor dem erfolgreichen Abschluss der Versuchsphase inklusive einer nach menschlichem Ermessen vertretbaren Prüfung der Langfristanforderungen nicht möglich.
5. Die Abfalldeklaration stellte sich in der Vergangenheit teilweise als falsch heraus. Es ist unklar geblieben, ob hier alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um dies nach menschlichem Ermessen vollständig zu bereinigen. Im Unklaren blieb weiterhin, wie hoch der angebliche Sicherheitszuschlag wirklich gewählt worden ist.
6. Die Geologie der direkt über dem Salz liegenden geologischen Schichten, dem sogenannten Hutgestein, ist nicht genau genug bekannt, um Argumente zur Langzeitsicherheit wirklich fundiert entwickeln zu können.
7. Die Szenarien werden in „wahrscheinlich“, „weniger wahrscheinlich“ und „unwahrscheinlich“ eingeteilt und an unterschiedlichen Höhen des verwendeten Indikators gemessen. Die Unterscheidung zwischen „wahrscheinlich“ und „weniger wahrscheinlich“ ist eher spekulativ und allein auf der Grundlage von sogenannten Expertenmeinungen normierbar. Dies ist als unwissenschaftlich abzulehnen. Alle „möglichen“ Szenarien sind eingehend zu untersuchen und nach gleichen Maßstab zu beurteilen.
8. Das Endlagersystem Morsleben ist geprägt durch eine enorme Gasbildung und dem möglichen Eindringen von Wasser. Die numerische Modellierung der Szenarien verdeckt die großen Unsicherheiten und Ungewissheiten, die bei Prognosen dieses komplexen Endlagersystems über die nächsten Millionen Jahre auftreten. Die Grenzen der angewendeten Naturwissenschaften und Techniken werden nicht eingehend berücksichtigt. Der Stand von Wissenschaft und Technik beim Endlagerproblem sieht neben der numerischen Modellierung eine gestufte Sicherheitsargumentation vor, die die Wissenskulturen der beteiligten Wissenschaften offenlegen. Das Nichtwissen muss entsprechend den Erkenntnissen der Wissenschaftsforschung durch Strategien wie zum Beispiel Revidierbarkeit und Monitoring berücksichtigt werden.
9. Die entwickelten numerischen Modelle sind nicht nur statistisch nach den Regeln der Probabilistik auszuwerten, sondern auch zur Erhöhung des Systemverständnisses auf den Prüfstand zu stellen. Der Optimierungsgrundsatz des Strahlenschutzes erfordert es, Extremsituation gezielt zu suchen. Diese sind darauf hin zu analysieren, ob sie mit vertretbaren Mitteln verhindert werden können.
10.Die „effektive Strahlendosis“ und Organdosen, die zur Beurteilung von in Betrieb befindlichen kerntechnischen Anlagen herangezogen werden und für die Abschätzungsmethoden entwickelt wurden, sind für Endlager als Indikatorgrößen bei Weitem nicht ausreichend. Es ist eine umfassende Langzeitsicherheitsargumentation zu entwickeln. Das BfS vergisst hier schon die Klimaauswirkungen, zu der bereits seit 2003 eine ausführliche Veröffentlichung des BMU vorliegt. Weitere Größen werden zwar erwähnt, aber es fehlen Vergleichswerte, an denen man die Qualität des Endlagers Morsleben mit denen anderer Endlagerprojekte vergleichen kann. Weiterhin gehen die im BfS-Plan erwähnten Beurteilungsgrößen auf dieselben numerischen Berechnungen zurück. Angebracht ist die Anwendung und zusätzliche Entwicklung weiterer Indikatoren wie zum Beispiel die notwendige Isolationszeit bis zu einer Totalfreisetzung der gesamten Radioaktivität.
11. Die Stellungnahme der SSK zu der beim ERAM anzuwendenden Indikatorgröße „effektive Strahlendosis“ ist als vollkommen unbegründet zurückzuweisen. Es stellt eine Provokation der sich besorgenden und betroffenen Bevölkerung dar. Stattdessen sind die Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung vom BMU aus dem Jahr 2010 darauf hin zu untersuchen, welche der Regelungen sinnvoll auf das ERAM-Problem angewendet werden können. Vorher sind die Sicherheitsanforderungen des BMU abschnittsweise dahin gehend zu untersuchen, wo sie naturwissenschaftliche, wissenschaftstheoretische, politische und ideologische Setzungen enthalten. Näheres siehe Verwendete Grenzwerte und deren Beliebigkeit.
12. Die oben genannte SSK-Stellungnahme im Auftrag des BMU zeigt deutlich Abhängigkeitsverhältnisse auf. Sowohl das BfS als auch die Genehmigungsbehörde können durch Weisungen des BMU gebunden werden. Dies ist sowohl beim Endlager Konrad als auch in der Vergangenheit beim Endlager Morsleben ausgiebig geschehen. Weiterhin hat das BfS bei der Endlagerung drei Rollen inne: Endlagerbetreiber, Endlagerüberwachungsbehörde und wissenschaftliche Strahlenschutzbehörde. Diese Abhängigkeitsstruktur verletzt sowohl internationale Empfehlungen der Joint Convention sowie der IAEA als auch wesentliche Regelungen der EU-Richtlinie zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Wenigstens die Rolle der Überwachungsbehörde ist von der Rolle des Endlagerbetreibers strikt zu trennen, und alle eventuell notwendigen Weisungen des BMU sind entsprechend dem Transparenzgebot der EU-Richtlinie öffentlich zu erteilen.