Interview im Deutschlandradio Kultur
In einem Interview des Deutschlandradios Kultur mit Prof. Dr. Thomas Fanghänel, stellvertretender Vorsitzender der Entsorgungskommission, wird klar: In Deutschland herrscht auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie Analphabetismus. Es gibt kein Verständnis, welche wissenschaftliche Methode bei welchen realen Problemen eingesetzt werden sollte, um zu einem rationalen Ergebnis zu kommen.
Es fehlt die Begründung einer komparativen Suche
Das reale Problem ist die Suche nach einem Endlager in Deutschland. In dem gesamten Interview vermisst man eine Begründung für eine komparative Endlagersuche. Allgemein ist eine komparative Methodik immer dann angezeigt, wenn eine absolute Methode mit hohen Unsicherheiten behaftet ist.
Ein Beispiel aus den Kommunikationswissenschaften
Ein Beispiel aus den Kommunikationswissenschaften ist die Definition von Public Relations. Bei den vielfältigen Versuchen der absoluten Definition unterscheidet man zwischen solchen nach Ausgangs- und nach Zielperspektiven. Zu Ersterer gehören Alltagsdefinition, Praktikerdefinition, standespolitische Definition und Außensichtdefinition; zu denen aus Zielperspektive sind zu unterscheiden Tätigkeitsperspektive, Organisationsperspektive und Gesellschaftsperspektive.
Wesentlicher übersichtlicher wird eine komparative Definition in Abgrenzung der Public Relations von einerseits Werbung und andererseits Propaganda (Fröhlich, R. (2008). Die Problematik der PR-Definition(en), in: G. Bentele, R. Fröhlich und P. Szyszka (Hrsg.), Handbuch der Public Relations. S. 95-109).
Die zwei Gründe für eine komparative Endlagersuche
Doch zurück zur Endlagerung. Die absolute Methode zur Aussage, ein Endlager sei sicher, ist von enormen Unsicherheiten – wenn nicht sogar Nichtwissen – behaftet. Wer hier das Gegenteil behauptet, sollte in die Welt der Geologen eintauchen. Prognosen über eine Million Jahre und mehr aufzustellen, ist gewagt und keineswegs gesichert.
Bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle kommt noch ein zusätzlicher Aspekt zum Tragen. Es ist der Strahlenschutzgrundsatz der Optimierung, wie er in § 6 der Strahlenschutzverordnung festgelegt ist:
Wer eine Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 plant oder ausübt, ist verpflichtet, jede Strahlenexposition oder Kontamination von Mensch und Umwelt unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auch unterhalb der Grenzwerte so gering wie möglich zu halten.
Da ein Endlager in tiefen geologischen Schichten auf die Wirksamkeit der geologischen Barrieren abzielt, ist diese natürliche geologische Barriere zu optimieren. Dies kann nur durch Vergleich konkreter geologischer Situationen an unterschiedlichen Orten geschehen. Deshalb muss es das Ziel sein, den bestmöglichen Standort zu finden. Ein Absolutverfahren verstößt gegen § 6 Strahlenschutzverordnung.
Als wissenschaftliche Aufgabe bei der Entsorgungskommission noch nicht angekommen
Im Interview wird an vielen Stellen klar, dass die Problematik der Endlagersuche als wissenschaftliche Aufgabe auch bei der Entsorgungskommission und speziell bei Herrn Prof. Dr. Thomas Fanghänel noch nicht angekommen ist. So wird gesagt:
Ja, also ich glaube, dass die fachliche Entscheidung ganz klar so sein müsste, dass nichts gegen Gorleben spricht, also alle Dinge, die bisher bekannt wurden von Gorleben, zeigen, dass das ein geeigneter Endlagerstandort wäre.
Von Gorleben als geeigneten Standort zu sprechen, ist bei einem komparativen Ansatz unsinnig. Ein solches Verfahren kann nicht die Eignung feststellen. Dies ist systematisch aufgrund der Unsicherheiten nicht möglich. Beim Vergleich mehrerer Standorte kann die Aussage nur eine Rangfolge von Langzeitrisiken an den verschiedenen Standorten sein. Ein geeignetes und ein sicheres Endlager gibt es nicht, es gibt nur ein Bestmögliches.
Die Politik wird im Stich gelassen
Weiter unten folgt:
Wir können da relativ wenig tun, denn Sie haben es ja eingangs schon gesagt, das ist eine rein politische Entscheidung. Also fachlich ist das sicherlich nicht begründet, und die Entsorgungskommission ist ja ein fachliches Beratungsgremium.
Die Frage, welche Methodik angewendet werden soll und welche Grundgesamtheit beim Auswahlprozess notwendig ist, ist keine rein politische Entscheidung. Hier braucht es Expertisen von Leuten, die sich mit Wissenschaftsmethodik auskennen und solche Suchverfahren bei Unsicherheiten konzipieren können. Es ist bedauerlich, dass die Entsorgungskommission sich da zurückzieht und die Politik im Stich lässt.
Isolation von der Biosphäre?
Das mangelnde wissenschaftliche Niveau wird deutlich an der folgenden Aussage:
Also das Wichtigste ist, dass er die radioaktiven Abfälle – wir sprechen ja hier von hochradioaktiven Abfällen – für eine sehr lange Zeit sicher isolieren kann von der Biosphäre. Das ist die Grundanforderung. Wenn wir über sehr lange Zeit sprechen, dann sprechen wir hier über einen Zeitraum von einer Million Jahren.
Auch in tiefen geologischen Schichten gibt es eine Biosphäre, die regelmäßig Ärger bei der geothermischen Nutzung macht und der wir mit einiger Sicherheit das Erdöl zu verdanken haben. Das Wort Biosphäre sollte also tunlichst durch Anthroposphäre ersetzt werden.
Der Zeitraum von einer Million Jahren
Der Zeitraum von einer Million Jahren wird falsch gedeutet, wenn im Folgenden gesagt wird:
Wenn Sie sich anschauen, wie lang die Radiotoxizitätskurve braucht von abgebranntem Brennstoff, bis sie den Wert erreicht von Natururan zum Beispiel, dann vergehen da 170.000 Jahre. Insofern sind die eine Million Jahre wohl gerechtfertigt.
Der Zeitraum von einer Million Jahren ist der mögliche, nicht der notwendige Betrachtungszeitraum für Risiken, die aus einem solchen Endlager resultieren könnten. Ein längerer Prognosezeitraum wäre durchaus angebracht, überfordert aber die geologische Wissenschaft. So ist der mögliche Betrachtungszeitraum von einer Million Jahre jedenfalls im AkEnd-Bericht begründet.
Überschätzung der Technik
Und gegen Ende des Interviews gibt es noch eine Überschätzung der Rolle der Technik:
Das würde ich keinesfalls unterstützen, denn ich glaube, man sollte es schon dort entsorgen, wo man es produziert hat, insbesondere wenn es dafür auch technische Lösungen gibt. Man muss ja immer sehen, dass die Schwierigkeiten bisher ja nicht technisch begründet sind, sondern die Schwierigkeiten sind rein politisch oder gesellschaftspolitisch begründet.
Es gibt eben keine technische Lösung für das Problem der Endlagerung. Die Prognoseunsicherheiten über ein bis zehn Millionen Jahre sind enorm. Insofern braucht es eine wissenschaftsmethodisch saubere Herangehensweise an das Problem. Das bedeutet, dass zur schließlichen Entscheidung auch die Politik gebraucht wird, denn allein wissenschaftlich – und erst recht nicht rein technisch – lässt sich das Problem bewältigen.
Die Zivilgesellschaft hat sich das nicht bieten lassen – zu Recht
Es ist nur von Glück zu sprechen, dass die Gesellschaft bei den bisher verfolgten Endlagersuchkonzepten auf die Barrikaden gegangen ist. Offensichtlich haben die BürgerInnen kein Vertrauen zum bisherigen Suchverfahren, und sie liegen damit richtig.
Defizit von Wissenschaftstheorie?
Es bleibt die Frage: Warum leidet Deutschland an einem so hohen Defizit von Wissenschaftstheorie? Vielleicht sollte man sich dazu den Werdegang von Prof. Dr. Thomas Fanghänel ansehen. Wer ausschließlich Physikalische Chemie betrieben hat, wer nicht interdisziplinär oder gar transdiziplinär gearbeitet hat, der kann nur wenig zur Lösung der heutigen realen Probleme außerhalb des Labors beitragen.
Hier tut eine neue Forschungs- und Bildungspolitik not!
Meine Frage: Warum überlegt man nicht den Endmüll ins All, auf den Mond, oder einen toten Satelliten zu schicken?
Die Entsorgung in den Weltraum ist durchaus diskutiert worden. Eine entsprechende Passage findet sich in den AkEnd-Empfehlungen aus Seite 23:
Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Auch der energetische Aufwand wäre wohl sehr hoch. Und wie gesagt: ein Transportunfall hätte weitreichende Konsequenzen.