Beste Möglichkeit für Langzeitlager
Die bisherige Endlagerphilosophie in Deutschland geht davon aus, dass die Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Schichten die beste Möglichkeit darstellt.
Kriegerische Auseinandersetzung
Das häufigste Argument ist, dass damit die Abfälle aus dem direkten Wirkungskreis des Menschen entfernt sind. Welche zukünftigen Umgestaltungen der Mensch in seiner Umgebung vollzieht, entzieht sich jeder soliden Prognose. Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, und das hat die Vergangenheit ziemlich eindeutig gezeigt, ist nicht vorhersehbar. Insbesondere die kriegerischen Auseinandersetzungen sind ein eindeutiges Zeugnis dieses Umstandes.
Zwar bemühen sich Soziologen – wie Ronald Inglehart in seinem Werk Modernisierung und Postmodernisierung – Kultureller, wirtschaftlicher und politischer Wandel in 43 Gesellschaften – gesellschaftliche Entwicklungen nachzuvollziehen, um daraus Prognoseansätze zu gewinnen. Sie sind aber weit davon entfernt, dieses zu validen Prognosen zu verdichten.
Atmosphäre, Hydrosphäre, Pedosphäre und Lithosphäre
Daneben gibt es eine Argumentation, die sich auf die natürlichen Stoffkreisläufe abstützt. Die durchschnittlichen Zeiträume für solche Kreisläufe betragen in der Atmosphäre etwa ein Jahr, in den oberflächennahen Bodenschichten und Gewässern etwa einhundert Jahre und in den tieferen geologischen Schichten – der Lithosphäre – etwa eine Million Jahre. Deshalb ist es naheliegend, eine Langzeitlagerung in der Lithosphäre anzusiedeln. Dabei muss aber ausgeschlossen werden, dass es am ausgesuchten Ort in der Lithosphäre entgegen den durchschnittlichen Kreislaufdauern nicht wesentlich schnellere natürliche Vorgänge gibt oder durch die Anlage eines Endlagers induziert werden.
Abstützen auf das Wissen der Geologie
Mit der Wahl der Lithosphäre als Langzeitlagerstandort ist man voll und ganz auf das Wissen der Geologie angewiesen. Damit stellt sich die Frage, wie der Zustand der geologischen Wissenschaften ist. Sind deren Erkenntnisse erst neueren Datums und können auch schnell wieder revidiert werden, oder sind die notwendigen Aussagen in den letzten 200 Jahren stabil geblieben?
Plattentektonik erst vor 50 Jahren bestätigt
Erinnert sei daran, dass eine wesentliche Grundlage der modernen Geologie – die Plattentektonik – aus dem Jahre 1912 stammt, also erst gut hundert Jahre alt ist. Doch durchgesetzt hat sich diese weitreichende Theorie von Alfred Wegener erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Endgültige Bestätigung fand sie in den 1960-er Jahren, also vor fünfzig Jahren. Eine berechtigte Frage ist also: Wie unsicher sind geologische Aussagen? Sind geologische Aussagen so stabil, dass eine Langzeitlagerung auf der Grundlage geologischer Aussagen vertretbar ist?
Die Fachkompetenz der BGR
In Zusammenhang mit der Endlagerung radioaktiver Abfälle wird auf die Fachkompetenz der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zurückgegriffen, einer Behörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums. Die BGR ist in Hannover angesiedelt und befindet sich zusammen mit Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) und dem Leibniz-Institut für angewandte Geophysik in einem Gebäude, dem Geozentrum Hannover. Doch nicht nur das Gebäude ist gemeinsam, sondern auch die Verwaltung, in der es zurzeit Auseinandersetzungen gibt.
Eindeutigkeit der Aussagen zur Endlagerung
Auffallend ist, dass die Aussagen dieser Behörde zur Endlagerung in der Regel eindeutig sind. Nicht erkennbar ist die Breite der fachlichen Divergenz, ein Vertrauensbereich lässt sich nicht ablesen. Kontroverse Diskussionen werden – wenn überhaupt – innerhalb der Anstalt unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Wie ist das einzuschätzen?
Das Demonstrationsprojekt GeneSys als Fallbeispiel
Interessante Aspekte liefert dazu ein Projekt, was in unmittelbarer Nähe und unter Leitung des Geozentrums Hannover ablief und von dem regelmäßig in der Presse berichtet wurde. 2009 hat man im Rahmen des sogenannten Projekts GeneSys Hannover eine Tiefbohrung begonnen, aus der das Geozentrum mit Erdwärme versorgt werden sollte. Vorgesehen war die Wärmeversorgung der gut 1000 Arbeitsplätze aus tiefen geologischen Schichten von etwa 4000 Metern. Die Berichterstattungen dazu in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung hatte folgende Headlines:
- Groß Buchholz – Geozentrum wartet auf Bohrturm. 21.04.2009.
- Bohrung – Geologen wollen in Hannover Erdwärme anzapfen. 04.11.2009.
- Geozentrum Hannover – Bohrung in Groß-Buchholz ist am Ziel. 14.12.2009
- Pilotprojekt – In fünf Monaten Hannovers tiefstes Loch gebohrt. 19.12.2009.
- Komplikationen am Bohrloch – Erdwärmeprojekt GeneSys am Geozentrum verzögert sich um ein Jahr. 28.12.2010.
- Energieversorgung – Erdwärme-Pilotprojekt startet in Lahe. 05.05.2011.
- Bohrungen – Risse unter der Erde von Hannover. 24.05.2011.
- Erdwärmeprojekt – Tiefstes Loch in Hannover wird ein Problemfall. 12.12.2011.
- Geothermie – Erdwärmeprojekt in Hannover auf Eis gelegt. 26.09.2012.
Nach dem letztgenannten Artikel ist das Projekt vorerst gescheitert. Neben der unerwartet hohen Festigkeit des Gesteins in 3900 Meter Tiefe gab es Probleme mit dem Salzgehalt des Wassers.
Selbst mit modernen Analyseverfahren kann nicht vorhergesehen werden…
Im Artikel vom Dezember 2010 machte der damalige Projektleiter Peter Gerling folgende allgemeine Bemerkung:
„Vor der Hacke ist es duster“, sagt Gerling – und zitiert einen alten Bergbauspruch. Gemeint ist, dass das Erdreich immer wieder Überraschungen für die Arbeiter bereithält, die auch mit modernen Analyseverfahren nicht vorherzusehen sind.
Vom Scheitern des Projekts erfährt man übrigens im BGR-Internetauftritt nichts, weder auf der GeneSys-Startseite noch auf GeneSys Aktuelles oder GeneSys Hannover. Allein aktuell ist eine Sicht auf den „Bohrplatz“ mit der Webcam unter http://www.bgr.de/webcam/current.jpg
Das Fallbeispiel macht stutzig
Dieses Beispiel macht stutzig. Sind die in der Regel eindeutigen Aussagen der BGR zu Endlagergeologien wirklich so eindeutig? Wird hier nicht eine wissenschaftliche Eindeutigkeit in der Öffentlichkeit dargestellt, die es gar nicht gibt?
Sind nicht eher Diskussionen auch zu Fragen der Geologie im Zusammenhang mit der Endlagerung öffentlich zu führen, unter Umständen auch kontrovers nicht nur innerhalb der BGR oder des Geozentrums Hannover, sondern auch mit den Fachleuten in den geologischen Landesämtern?
Die Geowissenschaften werden bei der Langzeitlagerung gebraucht
Zu betonen ist, dass der oben stehende Beitrag trotz des gescheiterten Vorhabens der Erdwärmenutzung für das Geozentrum Hannover die Geowissenschaften nicht aus der Frage der Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle ausgrenzt. Es wird nicht der Schluss gezogen, es müsse eine oberirdische Lagerung angestrebt werden.
Die Ungewissheiten geologischer Prognosen müssen aber immer wieder benannt werden und sowohl in der Scientific Community als auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Die Entsorgungskommission hat die explizite Benennung von Ungewissheiten erst neulich in der Stellungnahme zur Langzeitrisikoanalyse für das Endlager Morsleben eingefordert. Es bewegt sich also etwas! Die bisherige Haltung des Bundesamtes für Strahlenschutz, die Ungewissheiten nicht zum Gegenstand der Analyse zu machen, ist nicht mehr haltbar.
Neues von der Tiefbohrung auf dem BGR-Gelände
Die BGR hat mit einer Mittteilung vom 09.03.2020 über das weitere Vorgehen des im November 2011 gestoppten Demonstrationsprojekts zur geothermischen Beheizung des Geozentrums berichtet:
An der Geothermie-Bohrung Groß-Buchholz Gt1 auf dem Gelände der BGR in Hannover haben heute (Montag, 09.03.2020) Maßnahmen zur Instandhaltung und Überarbeitung des Bohrlochs begonnen. In den nächsten zwei Tagen wird mit Hilfe eines Krans sowie kabelgeführter Messgeräte zunächst der Zustand der wissenschaftlichen Bohrung in knapp 4 Kilometer Tiefe untersucht, um anschließend die unterste Sohle des Bohrloches mit Sand und Zement aufzufüllen. Die Arbeiten bilden die Voraussetzung für eine spätere geothermische Wärmegewinnung zur Beheizung des Geozentrums, in dem neben der BGR auch das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) und das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) ihren Sitz haben.
Die Bohrung wurde im Jahr 2009 im Rahmen des GeneSys-Projekts der BGR auf 3.901 m abgeteuft. Im November 2011 wurde das Demonstrationsprojekt gestoppt, da es zu Salzausfällungen gekommen war, die zur Verstopfung des Bohrlochs geführt hatten. Anschließend wurde das Bohrloch freigespült und sicher verschlossen. Nach der Novellierung des Wasser- sowie des Bergrechts im Jahr 2016 konnte die BGR die Planungen für eine Fortführung des Projekts wiederaufnehmen. Die jetzt durchgeführten Arbeiten haben das Ziel, die Bohrung für weitere wissenschaftliche Untersuchungen vorzubereiten.