AVV nicht Stand von Wissenschaft und Technik
Die bisherigen Abschätzungen der effektiven Dosis bei der Freisetzung von Radionukliden aus Endlagern erfolgten in Anlehnung an die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 47 (vormals § 45) Strahlenschutzverordnung. Bei der Erarbeitung der Sicherheitsanforderungen wurde deutlich, dass dies nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Vorgesehen war die Entwicklung einer Leitlinie entsprechend Sicherheitsanforderungen Seite 3, vorletzter Absatz. Ein entsprechender Beratungsauftrag ging 2012 an die SSK. Offensichtlich befasste sich die SSK damit jedoch nicht.
Rolle im Planfeststellungsverfahren Morsleben
Im Planfeststellungsverfahren zur Endlagerung der zwischengelagerten Abfälle, zur nachträglichen Legalisierung der Endlagerung im Ostfeld und zur Schließung des Endlagers Morsleben wurde während des Erörterungstermins die fehlende Methodik zur Abschätzung der Dosis problematisiert. So kommt der Gutachter der Genehmigungsbehörde – Brenk Systemplanung – in der Kommentierung der Einwendungen und Erörterung zu folgender Aussage (Seite A3/204):
Nach unserer Auffassung sollten für die postulierte Nutzung verschiedene Szenarien unterstellt werden. Sie sollten ein Spektrum aufspannen, das das heutige und künftig mögliche Klimata umfasst und das sowohl die heutigen Nutzungsverhältnisse als auch solche Verhältnisse umfasst, bei denen die Nutzung der potentiell kontaminierten Umweltmedien nur durch grundlegende biologische Eigenschaften des Menschen (Atemrate, Trinkwasserbedarf, Kalorienbedarf) begrenzt sind. Gegenwärtig werden im Verantwortungsbereich des BMU Vorgaben für die Berechnung von endlagerbedingten Strahlenexpositionen in ferner Zukunft erarbeitet. Ob dort ein anderes Vorgehen als von uns hier skizziert festgelegt wird, ist für uns gegenwärtig nicht absehbar.
(Seite A3/212)
Gegenwärtig wird im Zuständigkeitsbereich des BMU eine Berechnungsvorschrift für die Abschätzung von Strahlenexpositionen in ferner Zukunft infolge der Endlagerung radioaktiver Abfälle entwickelt. Je nachdem, für welche Art von Dosis die Berechnungen erfolgen sollen und ob ein oberer („sicherer“) Wert oder ein mit einem gewissen Grad erwarteter, evtl. über eine bestimmte Bevölkerungsgruppe oder/und Zeitspanne gemittelter Wert („repräsentativer“ Wert) für die möglichen künftigen Strahlenexpositionen angestrebt wird, ergeben sich höhere oder niedrigere berechnete Strahlenexpositionen. Sofern ein „repräsentativer“ Wert für die möglichen künftigen Strahlenexpositionen angestrebt wird, ist zu erwarten, dass die mit dieser Berechnungsvorschrift berechneten Strahlenexpositionen niedriger als die mit der gegenwärtig gültigen AVV berechneten sind.
Wir gehen davon aus, dass es zum Zeitpunkt der Planfeststellung für die Stilllegung des ERAM eine verbindliche Vorschrift zur Durchführung der Dosisabschätzung geben wird, die von der heutigen AVV abweichen wird.
IFG-Anträge seit 2012
endlagerdialog.de hat immer wieder IFG-Anträge zu den Arbeiten an dieser Problematik gestellt (die Zählung ist dabei etwas durcheinandergekommen):
- 14.03.2012: Berechnung effektiver Dosen bei Endlagerung,
- 21.04.2015: Berechnung effektiver Dosen bei Endlagerung – die Dritte,
- 02.05.2017: Berechnung effektiver Dosen bei Endlagerung – die Fünfte,
- 14.08.2018: Berechnung effektiver Dosen bei Endlagerung – die Vierte.
Im Zuge der letzten Anfrage wurden schließlich ausführliche Unterlagen über die Korrespondenz zwischen BMU und BfE sowie BfS zur Verfügung gestellt.
Projektgruppe am BfE
Danach war vom BfE zur Bearbeitung des Problems eine Projektgruppe Dosis geplant und das BMU um die fachaufsichtliche Zustimmung gebeten worden. Das BMU hat diese Projektgruppe umbenannt in Ausbreitungspfade und die Zustimmung erteilt. Vorgesehen ist eine Laufzeit bis Ende 2019.
Aufgabe an das BfS
Das BfS wurde schon im September 2017 seitens des BMU gefragt, ob es die Aufgabe übernehmen könne. Im März 2018 erging dann der Auftrag an das BfS, in Zusammenarbeit mit dem BfE die Berechnungsgrundlage zu erstellen. Betont wird die Notwendigkeit im Hinblick auf die zurzeit laufenden Arbeiten an der Verordnung zu den Sicherheitsanforderungen nach § 26 StandAG.
Die Rolle der SSK
Die Einbeziehung der SSK wird vom BfS zu einem späteren Zeitpunkt im Sinne eines peer reviews für sinnvoll erachtet.
Mangelhafte Transparenz und Verstoß gegen § 6 StandAG
Da die Arbeiten zur Dosisabschätzung wichtig für die Endlagersuche sind, ist es nicht hinnehmbar, dass nicht wenigstens die Aufträge des BMU an BfE und BfS auf der Informationsplattform nach § 6 StandAG veröffentlicht werden.
Es stellt sich die Frage: Welche Aufträge wurden insgesamt vom zentralen Akteur BMU an wen zur Erarbeitung der Verordnungen nach §§ 26 (Sicherheitsanforderungen) und 27 (Vorläufige Sicherheitsuntersuchungen) StandAG erteilt?
Transparenz tut not in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren.
Ist das BfE eine lernende Behörde?
Auf der Statuskonferenz des BfE wurde bemängelt, dass auf der Informationsplattform keinerlei Papiere des BMU zu finden sind. Offensichtlich hält sich dieser zentrale Akteur bei der Endlagersuche nicht an das Transparenzgebot.
Seitens des BfE wurde im Rahmen des Programmteils Bestandsaufnahme am 08.11.2018 dazu ausgeführt, dass § 6 StandAG konkrete Aussagen macht, welche Unterlagen zu veröffentlichen sind, und man hallte sich daran:
Während der abschließenden Podiumsdiskussion am 09.11.2018 wurde dann vom BfE zugesichert, dass auch BMU-Papiere auf die Plattform gestellt werden würden. Solche lägen aber nicht vor.
endlagerdialog.de wies in der Diskussion darauf hin, dass entgegen den Aussagen des BfE durchaus BMU-Papiere zur Dosisabschätzung bei der Endlagerung existieren, die auch für die Standortsauswahl hohe Relevanz haben, da sie die Erarbeitung von Verordnungen nach den §§ 26 und 27 StandAG beträfen. Seitens BfE wurde behauptet, dies seien lediglich Entwürfe. Dies entspricht nicht der Realität: Es handelt sich dabei um Erlasse des BMU an das BfE und an das BfS, die keinerlei Entwurfscharakter zeigen. Das Letztere konnte endlagerdialog.de auf der Veranstaltung nicht mehr einbringen, da kein Rederecht erteilt wurde.
Vielleicht ist das BfE ja schon lernfähig, selbst innerhalb eines Tages, es hält sich aber schließlich nicht an die Realität. So entwickeln solche Lernfortschritte keinerlei Relevanz.
Schade!
Ich sehe gewisse Parallelen zwischen der Dieselabgasaffäre auf der einen Seite und der Strahlenschutzproblematik auf der anderen Seite: Hier wie dort etablieren sich weltfremde oder realitätsferne Mess- und Bewertungssysteme, die mehr der ‚Bequemlichkeit‘ von Industrie/Wissenschaft/Politik/Behörden/Gesellschaft dienen als der Unversehrtheit der Umwelt und der Bevölkerung. Das ist im ‚etablierten Strahlenschutz‘ gut daran zu erkennen, dass stets von der Dosis gesprochen wird, aber nicht von dem Gesundheitsrisiko, dem letztlich relevanten Maß, von welchem so abgelenkt, und das unter den Teppich gekehrt wird. Dass etwa die genetischen Risiken der Radioaktivität um Größenordnungen unterschätzt werden, haben wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten an vielen Beispielen und in vielen Publikationen nachgewiesen, siehe z.B.: https://www.asse-2-begleitgruppe.de/dokumente?file=files/projektordner/pdf/Veranstaltung%20Niedrigstrahlung%20und%20Gesundheit/2017-03-02-scherb-genetische-effekte.pdf oder https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1364815215300773?via%3Dihub. Es verheißt nichts Gutes, wenn in der ‚Endlagerdiskussion‘ insbesondere die Problematik des genetischen Risikos praktisch von allen Akteuren ausgeblendet wird, und es widerspricht den Lippenbekenntnissen von Transparenz und dem angeblich stets angestrebten ‚aktuellen Stand der Wissenschaft‘.
Werter Herr Scherb,
haben Sie schon einmal die folgenden Vergleiche vorgenommen:
a) Menschen, die ihr Leben in großer Höhe verbringen (die zum Beispiel in den Anden oder in Tibet leben), und Menschen, die ihr Leben an der Küste verbringen
b) Menschen, die in Gegenden mit erhöhter Radonbelastung leben, und Menschen, die das nicht tun
c) fliegendes Personal, und nicht-fliegendes Personal.
Man kann sich noch viele weitere Beispiele ausdenken, aber diese sollten einfach zu bearbeiten sein. Nicht, dass der Verdacht aufkommt, dass Sie zwischen „guter“ und „böser“ Strahlung unterscheiden. Eine Unterscheidung, die Zellen wohl nicht vornehmen.
Hallo Herr Anders, wir untersuchen primär die mutmaßlichen, genetischen Effekte der ZUSAETZLICH in die Biosphäre eingetragenen (künstlichen) Radionuklide und Neutronenstrahlung: Atombomben, Atombombentests, Tschernobyl, Fukushima, AKW (+Rückbau), Deponien (Asse/Gorleben), etc., siehe Google/PubMed. Aus meiner Sicht entspricht der – nach dem Grundprinzip rein physikalische – Dosisbegriff (Energie/Masse [J/kg]) in etwa der Betrugssoftware im Kfz-Abgasskandal. Zum Beispiel werden damit biologisch/genetische Effekte durch inkorporierte Radioaktivität oder durch im Körper aktivierte Nuklide nicht erfasst und nicht beschrieben. Die Dosis, der ein Mensch im Strahlenfeld oder durch Inkorporation ausgesetzt ist, kann nicht direkt gemessen, sondern nur indirekt erschlossen werden. Die Dosis als solche ist daher fast beliebig manipulierbar und folglich ohne präzise Aussagekraft als Bezugsgröße für Gesundheitsrisiken. Zu den Punkten, die Sie ansprechen: Flugpersonal, Hintergrundstrahlung, CT-Scans, etc. gibt es ganze Reihe von neueren Studien mit positiven Befunden, siehe ebenfalls Google/PubMed. VG HS
Es verheißt leider noch weniger Gutes, wenn diejenigen, die behaupten, dass die Risiken „um Größenordnungen unterschätzt werden“, nichts, aber auch gar nichts dazu sagen, wenn die von ihnen betriebenen Projekte die Freisetzung von Radioaktivität erhöhen, Orte (die natürlich weit von ihren Wohnorten entfernt sind) mit einem strahlenden Schleier belegen, dem niemand entweichen kann, wenn im Lex Asse Grenzwerte erhöht oder sogar eliminiert werden. Es widerspricht vielleicht nicht den Regeln der Transparenz zu schweigen. Es widerspricht aber allen Grundregeln des Anstands, wenn lauthals Gefahren beschworen die Folgen der Vorhaben, denen man nie widersprochen hat, aber genau an dieser Stelle ausgeblendet werden. So etwas nannte man früher Heuchelei.
Das ist mir etwas zu komplex!
Könnte man das nicht etwas direkter und damit klarer formulieren, damit es auch ein durchschnittlicher Leser nachvollziehen kann?
Sehr geehrter Herr Stefan Rahlen-T.,
meinen Sie möglicherweise konkret, dass ich als ehemaliger GSF-Mitarbeiter „… nichts, dazu sage, wenn die von mir betriebenen Projekte die Freisetzung von Radioaktivität erhöhen …“, bzw. dass „… ich nicht Gefahren beschwören sollte, denen ich nie widersprochen habe …“ ?
Ich empfehle Ihnen, differenziert, logisch und historisch zu denken: nicht alle Mitarbeiter haben radiologische Projektkompetenz etc.; nicht alle Mitarbeiter einer Institution sollten über einen Kamm geschoren werde. Im Jahr 1978 bin ich in die GSF eingetreten. Im gleichen Jahr wurde die Einlagerung in die Asse gestoppt. Da war das Kind in den Brunnen gefallen. Erst fast 20 Jahre später (ab 1996) kam ich als Statistiker wegen epidemiologischer Tschernobyl-Fragen mit der Strahlenrisikothematik in Kontakt.
Beste Grüße, HS
Mal etwas direkter gesagt: Mich interessiert die persönliche Historie einiger Personen und deren Eingebundenheit in Insitutionen eher weniger. Was mich aufregt, ist ein Gerede von der Unterschätzung von Strahlenrisiken „um Größenordungen“ in der Gegenwart und das Verschweigen der Konsequenzen eines Vorhabens, dem Sie, Herr HS, nach meines Wissens nie widersprochen haben. Die Lex Asse hat den Störfallplanungsgrenzwert der StrlSchV faktisch aufgehoben, weil 50 mSv offensichtlich nicht ausreichen, um die Risiken der Rückholung zu begrenzen. Wenn sich jetzt jemand aus Bayern über die Gefährlichkeit von Niedrigdosen äußert, aber nichts sagt und erst recht nichts unternimmt, um die Gefahren für die Einwohner einiger Gemeinden in Niedersachsen zu thematisieren, die aus der Rückholung des Atommülls in der Asse resultieren, und der geflissentlich die dunklen Flecken ausblendet (oder nicht kennt), deren gutachterlich dargelegte Risiken zu diesem speziellen Passus in der Lex Asse geführt haben, dann habe ich mit dieser Art von „Wissenschaft(lern)“ ein Problem.
Sehr geehrter Herr Stefan Rahlen-T.,
vielleicht versuchen Sie trotzdem, Ihre Sicht auf die Dinge etwas zu sortieren. Meine Aussage des drastisch unterschätzen Strahlenrisikos basiert auf eigenen, neueren statistischen Untersuchungen. Alles Wesentliche darüber finden Sie z.B. leicht via Google oder PubMed. Wie sollten unsere relativ jungen Arbeiten den über Dekaden gewachsenen und mächtigen „etablierten Strahlenschutz“ beeinflusst haben können: Gesetze, Verordnungen, BMU, SSK, Radiologie in der Medizin? Vor einigen Jahren sagte ein Kollege: „Wir forschen, damit Atomkraftgegner besser verstehen, warum sie Atomkraftgegner sind“. Heute stellen wir fest, dass (verbliebene) Atomkraftgegner mit unseren aktuellen Beobachtungen nicht viel anfangen können – in Institutionen gebundene bzw. arrivierte Personen sowieso nicht. Hier liegt m.E. eine gewisse Parallele zum Kfz-Abgasskandal: Fast alle fahren Auto; Politik, Behörden und Bürger verlassen sich auf verfälschende Messverfahren und somit auf gexxxxxx Messwerte. Auch für die meisten Einwohner in strahlengefährdeten Gegenden dürften Bequemlichkeit, oder etwa Grundstückspreise usw., Priorität haben vor der (Er-)Kenntnis echter Belastungen und/oder tatsächlicher Gesundheitsrisiken. Bei meinem Vortrag in Remlingen (s.o.) habe ich erlebt, wie reserviert und teilweise feindlich, unsere Beobachtungen und Analysen von direkt Betroffenen aufgenommen werden. Es ist ein alter Hut und Sie sind nicht allein: Man ärgert sich mehr über den Botschafter als über den Inhalt der Botschaft.
Freundliche Grüße, HS