Mit viel Aufwand und wenig Beteiligung wurde der erste sogenannte Fachdialog im Rahmen des Gorleben Dialogs durchgeführt. Vier Schritte waren vorgesehen.
- Bürger fragen – Online Frageplattform
- Experten antworten – Fachdialog/Livestream
- Dokumentation – Antworten der Experten online
- Resümee – Bundesumweltministerium
Die Struktur war sehr sinnvoll geplant. Doch wie sah die praktische Umsetzung aus?
Die ersten beiden Punkte wurden wie angekündigt abgearbeitet. Man hat sich sogar – mit viel Aufwand durch Anzeigenschaltungen – bemüht, die geringe Beteiligung aufzubessern. Vergessen wurde dabei, dass zu einem Dialog mit Bürgern Fachinformationen aufbereitet werden müssen. Es reicht nicht aus, PDFs zur Verfügung zu stellen, die in einer Fachsprache und teilweise lediglich auf Englisch verfasst sind. Die Geologensprache ist schon von Hause aus darauf angelegt, von einem Nichtgeologen nicht verstanden zu werden. Das ist wohl historisch zu erklären, siehe Bryson, B.(2004). Eine kurze Geschichte von fast allem – A Short History of Nearly Everything, S. 86:
Die Steineklopfer….Hutton war allen Berichten zufolge ein Mann der scharfsinnigen Erkenntnis und der lebhaften Unterhaltungen, ein blendender Gesellschafter und völlig konkurrenzlos, wenn es darum ging, jene geheimnisvollen, langsamen Vorgänge zu verstehen, die unseren Planeten geformt haben. Leider lag es ihm aber nicht, seine Gedanken in einer Form niederzuschreiben, die andere auch nur ansatzweise verstehen konnten. Er war, wie ein Biograf mit fast hörbarem Seufzen feststellte, „nahezu bar jeder rhetorischen Errungenschaft“. Fast jede Zeile, die er zu Papier brachte, war eine Einladung zum Schlafen.
Die Geologensprache der BGR ist noch einmal eine Stufe unverständlicher. Sie ist geprägt von der jahrzehntelangen Übung in der Endlagerproblematik, vom politischen Vorgesetzten nicht auf eine Fachmeinung festgenagelt werden zu können.
Das ging in einem Fall soweit, dass offensichtlich die einbezogenen Experten dieses Kauderwelsch selber nicht mehr verstanden haben. So sind die Fragen unter Dilatanz und KWs bis heute nicht beantwortet, obwohl es sich um einfache mathematische Argumentationen handelt. Um einen Bürgerdialog zu führen, bedarf es der Aufbereitung der Fachtexte wenigstens auf der Ebene von Dr. Lisa Müller. Dies ist nicht geleistet worden.
Im dritten Schritt sollten die Antworten dokumentiert werden. Dies ist in der Weise geschehen, dass zu einzelnen Fragen die entsprechenden Antworten in der Videoaufzeichnung schnell aufgefunden werden können. Aber natürlich konnten nicht alle gestellten Fragen in der Liveveranstaltung erörtert werden. Zu diesen Fragen gibt es nun überhaupt keine Antworten. Was ist das für ein Dialog?
Auch wurden weitere Unterlagen zum Beispiel von Herrn Bracke zugesagt, bis heute aber nicht zur Verfügung gestellt, siehe Video 1:40:30 zur Thermomigration.
Bei einer Dokumentation im Zuge einer behördlichen Veranstaltung erwartet man nicht nur Ton- und Bildaufzeichnung, sondern auch eine Verschriftlichung. Siehe BITV 2.0. Diese steht vollständig aus. Eine systematische Bearbeitung des Stoffs, der im Dialog behandelt wurde, ist also schlechterdings nicht möglich.
Der Schritt vier, das Resümee des BMU (da unter Gorleben-Dialog nicht mehr verfügbar, wurde das Papier unter http://endlagerdialog.de/wp-content/uploads/2013/08/BMU-Resume-FD1-Dezember-2011.pdf hochgeladen), fällt am magersten aus. Die vier Seiten sind in einem behördlichen Umfeld ein Witz. Bei jedem kleinen Genehmigungsverfahren zu einer Anlage nach Bundesimmissionsschutzgesetz werden alle Einwendungen und alle Äußerungen im Erörterungstermin schriftlich fixiert sowie jeder Punkt in der Genehmigung schriftlich argumentativ abgehandelt. Das BMU ist dazu offensichtlich nicht in der Lage.
Oder sollte der Dialog doch nur eine Show-Veranstaltung sein? Dann sollte man das auch vorher so ankündigen und Schauspieler und Komparsen engagieren, statt Bürger zu belästigen.
Nachdem die Fragen zu Dilantanz und KWs nicht beantwortet wurden, wurde versucht, über das Informationsfreiheitsgesetz auf der Plattform Frag den Staat Informationen zu bekommen. Dies war nicht erfolgreich.
Danach habe ich mich direkt an die Autoren der Studie gewendet. Schließlich kam eine Antwort von Herrn Dr. Weber.
Es bedeutet also viel Anstrengung für einen Teilnehmer des sogenannten Dialogs, um an Antworten seiner Fragen zu kommen. Dialog kann man solch eine Veranstaltung nicht nennen, eher eine unverbindliche und einseitige PR-Aktion.
Da von Herrn Bracke die zugesagten Unterlagen zur Thermomigration nicht kamen, wurde über die Plattform Frag den Staat eine entsprechende Nachfrage an das BMU, den Veranstalter des sogenannten Dialogs, gestellt. Nach etwa zwei Monaten kam die Antwort.
Das Schreiben enthält eine interessante Passage:
Wenn also in Zukunft Fragen an die BGR als wissenschaftliche Institution oder das BfS als wissenschaftlich-technische Bundesoberbehörde auftauchen, kann man sich direkt an diese wenden, ohne befürchten zu müssen, abgewiesen zu werden oder dass Kosten entstehen.
Die direkte Nachfrage bei mir mit Angabe einer email-Adresse wäre in diesem Fall tatsächlich der schnellste und kostengünstigste Weg gewesen….
Sehr geehrter Herr Bracke,
der allerschnellste Weg wäre gewesen, wenn Sie die Zusage, die Sie am 12.10.2011 gegeben hatten, auch eingehalten hätten. Vielleicht ergibt sich ja eine weitere Gelegenheit!
P.S.
Meine Hoffnung war, dass von Ihnen nicht nur eine Literaturliste zur Verfügung gestellt wird, sondern die Fachartikel in die zum Gorlebendialog angelegte Datenbank http://mitreden.gorlebendialog.de/dokumente mit jeweils einer aussagekräftigen Zusammenfassung aufgenommen werden. Wenn man unter dem Motto „Transparenz und Offenheit“ auftritt, ist das ein Muss. Jedoch das Gegenteil ist geschehen: Die gesamte Datenbank ist nun verschwunden. Mit dem Standortauswahlgesetz soll wieder neu angefangen werden, so der Abschiedstext:
Nun können die gleichen Fehler noch einmal gemacht werden. So drehen wir uns seit gut dreißig Jahren im Kreis, weil die Politik es so will.
Sehr geehrter Herr Mehnert,
das finde ich natürlich auch bedauerlich.
Mit freundlichen Grüßen
Guido Bracke
PS: falls Literatur zur Thermomigration noch von Interesse ist…
ANTHONY T., CLINE H.E. (1971): Thermal Migration of Liquid Droplets Through Solids, J. Appl. Phys., 42, 3380.
ANTHONY T., CLINE H.E. (1972): The thermomigration of biphase vapor-liquid droplets in solids, Thermomigration de gouttelettes a deux phases liquide-vapeur dans les solides, Die Thermowanderung zweiphasiger Dampf-Flüssigkeits Tröpfchen in Festkörpern, Acta Metallurgica, 20 (2), 247-255.
HADLEY, G.R.; FARIS, G.W. (1980): Revised Theory of Water Transport in Rock Salt. -Sandia National Laboratories, SAND80-2398, Albuquerque.
MÜLLER Dr. E. (1985) The migration of gas-filled brine inclusions in rock salt under a temperature gradient, Crystal Research and Technology, 20(4), 521-526.
OLANDER D.R., MACHIELS A.J., BALOOCH M., YAGNIK S.K., (1982) Thermal gradient migration of brine inclusions in synthetic alkali halide single crystals, Journal of Applied Physics, 53 (1), 669-681.
OLANDER, D.R. (1984): A study of thermal-gradient-induced migration of brine inclusions in salt: Final report. – Office of Nuclear Waste Isolation, Battelle Mem. Inst., BMI/ONWI-538; Columbus/Ohio/USA.
OLANDER, D.R., MACHIELS A.J., YAGNIK S. (1980): Thermal Gradient Migration of Brine Inclusions in Salt, ONWI-208, Berkeley.
SCHLICH, M. (1986): Simulation der Bewegung von im natürlichen Steinsalz enthaltener Feuchte im Temperaturfeld. – Gesellschaft für Strahlen und Umweltforschung München, GSF-Bericht 2/86, Neuherberg.
SHEFELBINE, H.C. (1982): Brine Migration: A Summary Report. – Sandia National Laboratories, SAND82-0152, Albuquerque.
YAGNIK S.K. (1982) Thermal-Gradient Migration of Brine Inclusions in Salt Crystals, Thesis, Berkeley.
YAGNIK S.K. (1983) Interfacial stability of migrating brine inclusion in alkali halide single crystal supporting a temperature gradient, Journal of Crystal Growth, 62 (3), 612-626.
ZAVADA P., DESBOIS G., SCHWEDT A., LEXA O., URAI J.L. (2012): Extreme ductile deformation of fine-grained salt by coupled solution-precipitation creep and microcracking: Microstructural evidence from perennial Zechstein sequence (Neuhof salt mine, Germany), Journal of Structural Geology, 37, 89–104.
Sehr geehrter Herr Bracke,
vielen Dank für die Literaturliste. Ein Vergleich mit der Auflistung, die vom BMU zur Verfügung gestellt wurde und seit 18.09.2012 unter http://endlagerdialog.de/wp-content/uploads/2012/09/2012_04_19_BMU.pdf veröffentlicht ist, ergibt, dass es die gleichen Literaturstellen sind. Die Liste ist nur anders sortiert.
Für jemanden, der sich nicht ausschließlich mit diesem Thema befasst, ist der Einstieg aber durch solch eine Liste allein mit hohem Aufwand verbunden. Deshalb – wenn man „Transparenz und Offenheit“ nicht nur propagiert, sondern auch umsetzen will – muss zu jeder Literaturstelle eine verständliche Zusammenfassung erstellt werden und daneben eine unentgeltliche Möglichkeit des Bezugs der wissenschaftlichen Artikel geschaffen werden.
Ich bin gespannt, ob im „neuen“ Suchverfahren solch einfache Spielregeln umgesetzt werden?
Michael Mehnert
PS: Laufen jetzt eigentlich Studien zum Verhalten von Kondensaten im Salz, Ton und Granit unter Einfluss von thermischen Gradienten?