Ist die Abdichtung des Nordfeldes möglich/nötig?

Die Vorlagen des BfS

Der vom BfS vorgelegte Plan zur Stilllegung des Endlagers kommt auf Seite 130 zu der Feststellung:

Die Abdichtung der Einlagerungsbereiche Nordfeld, Zentralteil und UMF ist wegen hoher Durchbauungsgrade und der dort vorhandenen ungünstigen gebirgsmechanischen und hydraulischen Verhältnisse mit der Folge von großräumigen Auflockerungen und Rissbildungen nicht möglich. Dies ist aber auch nicht notwendig, weil das Aktivitätsinventar im Nordfeld und Zentralteil verhältnismäßig gering ist und im UMF nur kurzlebige Radionuklide eingelagert wurden (siehe Kapitel 2.1.4).

Ähnliches liest man in Nachweis der radiologischen Langzeitsicherheit auf Seite 44:

Keine Abdichtung der Einlagerungsbereiche Nordfeld und Zentralteil von der Restgrube
Eine belastbare hydraulische Abdichtung der Einlagerungsbereiche Nordfeld und Zentralteil von der Restgrube ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten mit vertretbarem Aufwand nicht möglich und – wie gezeigt werden wird – für die Langzeitsicherheit auch nicht notwendig.

Im Erörterungstermin

Im Erörterungstermin wurde das mit dem Hinweis, eine temporäre Abdichtung sei ja vorgesehen, zur Sprache gebracht. Aus dem Wortprotokoll kann unter anderem entnommen werden:

BfS: …Im Nordfeld sind die bergbaulichen Randbedingungen eben so ungünstig, dass uns der Nachweis in diesem Bereich nicht möglich ist.
Ich kann mir vorstellen, dass es gelingen kann, dort ein sehr robustes Bauwerk hinzustellen. Aber es ist eine Frage des Nachweises, und deswegen belasten wir es nicht.

Nachhaken der Genehmigungsbehörde

Dies war Anlass für die Genehmigungsbehörde, beim BfS mit Schreiben vom 04.01.2012 noch einmal nachzuhaken. Die Antwort des BfS vom 15.03.2012 kommt unter anderem zu folgender Feststellung:

In der o. g. Unterlage P-099 wird zum Nordfeld zusammenfassend ausgeführt, dass im Nahbereich der Abbaue des Nordfeldes sowohl dilatante als auch hypothetisch Laugendruck gefährdete Zonen nicht ausgeschlossen werden können, die einerseits untereinander die Möglichkeit von hydraulisch wirksamen Wegsamkeiten als auch die Möglichkeit potentiell hydraulisch wirksamer Zonen bis an die dort vorhandenen Anhydritschollen bieten. Damit wären in diesem Bereich die Integritätskriterien nicht erfüllt, sodass die Möglichkeit eines Laugenzuflusses vom Deckgebirge über den Hauptanhydrit in die Abbaue nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Abdichtung von Einlagerungsbereichen soll und kann im Stilllegungskonzept für das ERAM aber nur dann erfolgen, wenn ein Zulauf von Lösung aus dem Deckgebirge in die Einlagerungsbereiche sicher ausgeschlossen werden kann.

Optimierungsgrundsatz nicht berücksichtigt

Die Gutachter der Genehmigungsbehörde merken dazu im Schreiben vom 10.04.2012 an:

(2) In [P 99] wird angegeben, dass eine hydraulische Abdichtung des Einlagerungsbereichs Nordfeld von der Restgrube für die Langzeitsicherheit nicht notwendig ist…

Punkt (2) kann nur im Rahmen einer Bewertung der Langzeitsicherheitsanalyse überprüft werden, was erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen ist. Allerdings weisen wir auf das in der Empfehlung des SSK zur Stilllegung des ERAM geforderte Optimierungsgebot i. S. des § 6 StrlSchV hin. In den uns vorliegenden Langzeitsicherheitsanalysen [P 277] und [P 278] wird auf das Optimierungsgebot nicht eingegangen, da sie vor der Verabschiedung der o. g. SSK-Empfehlung angefertigt wurden.

Damit wird dem BfS bescheinigt, dass es den Strahlenschutzgrundsatz der Optimierung nach § 6 Abs. 2 Strahlenschutzverordnung offensichtlich nicht berücksichtigt hat. Das wurde schon beim Erörterungstermin immer dann deutlich, wenn mit dem Hinweis auf eingehaltene angebliche Grenzwerte weitergehende Argumentationen vom BfS verweigert wurden.

Fachgespräch Abdichtung

Die Abdichtung des Nordfeldes war dann Gegenstand des Fachgesprächs Abdichtung am 15.05.2012. Interessante Passagen aus dem Protokoll sind:

Die darauf folgende Diskussion wird durch BS mit dem Verweis auf laufende Prüfung im PK Inventar eröffnet, in dem der (von BS) vermuteten höheren Unsicherheit der Inventarangaben zum Nordfeld nachgegangen wird. …

Festlegung 1:
BfS fasst die im Fachgespräch vorgebrachten Argumente hinsichtlich einer möglichen Abdichtung des Nordfeldes (u.a. technische Realisierbarkeit, Auswirkungen auf LSA) in einem Memo zusammen.

Memo – Untersuchung von Abdichtmöglichkeiten des Einlagerungsbereichs Nordfeld

Das daraufhin erstellte Memorandum mit Stand vom 29.06.2012 kommt dann auf Seite 40 zu ganz neuen Schlussfolgerungen:

6. ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG
Aus den durchgeführten Untersuchungen lässt sich schlussfolgern, dass die Planung und Errichtung von nachweislich funktionstüchtigen Abdichtungsbauwerken im Einlagerungsbereich des Nordfeldes das Betreten der Einlagerungsgrubenbaue bedingt und damit zu einer Strahlenexposition des Personals führt. Anhand der Langzeitsicherheitsanalysen konnte jedoch gezeigt werden, dass die Dosisbeiträge des Nordfelds in jedem Fall so gering sind, dass der zusätzliche Bau von Abdichtungen mit einem nachweisbaren hydraulischen Widerstand nicht erforderlich und auch nicht sinnvoll ist. Vielmehr zeigte sich indirekt sogar, dass eine Abdichtung des Nordfeldes gegebenenfalls (mittelbar über die Gasbildung) zu einer Erhöhung der – wenn auch niedrigen – Dosisbeiträge aus dem Nordfeld führen kann.

Aus Sicht des BfS ist es daher unter Einhaltung der Vorgaben der Strahlenschutzverordnung nicht zulässig, für die Erkundung und den möglichen Bau von Abdichtungen das Personal einer Strahlenbelastung auszusetzen, ohne dass sich dadurch eine Verbesserung der Langzeitsicherheit des Endlagersystems erreichen lässt.

Mit dieser Feststellung soll nun eine weitere Diskussion abgewürgt werden. Dieses Mal nicht auf der Grundlage der Einhaltung angeblicher Grenzwerte, sondern auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 der Strahlenschutzverordnung.

Statt Abwägungen werden Totschlagargumente vorgebracht

Dabei wird nicht berücksichtigt, dass unter Umständen eine Fernerkundung der Verhältnisse im Ablagerungsbereich Nordfeld durchgeführt werden könnte. Außerdem fehlt eine Gegenüberstellung der Strahlenbelastung durch die Freisetzung aus dem Nordfeld und den möglichen Belastungen durch die Nordfelderkundung, -abdichtung oder -räumung. Die radioaktiven Abfälle im Nordfeld haben eine Radiotoxizität von 8.100 Sv und können damit bei vollständiger Freisetzung nach ICRP(1991) zu 8.100 * 0,073 = 591,3 gravierend Strahlengeschädigten führen. Nach 800 Jahren ist die Radiotoxizität auf etwa 100 Sv abgefallen, die Anzahl der gravierend Strahlengeschädigten würde dann etwa 7,3 betragen. Leider bricht die Darstellung in Abb. 12 auf Seite 33 des Memorandums hier ab und erlaubt deshalb keine weiteren Abschätzungen.

2 Gedanken zu „Ist die Abdichtung des Nordfeldes möglich/nötig?

  1. Transparenz und Offenheit
    Erstaunlich ist, dass das Memorandum – Untersuchung von Abdichtmöglichkeiten des Einlagerungsbereichs Nordfeld nicht auf der entsprechenden Internet-Seite des BfS veröffentlicht wurde, obwohl diese Seite das Datum vom 25.09.2012 trägt und die Unterlage bereits seit dem 17.07.2012 vorliegt.

    Offensichtlich hat das BfS eine eigentümliche Auffassung von Transparenz und Offenheit, die dem landläufigen Verständnis widerspricht.

    Die Unterlagen zur Abdichtung des Nordfeldes mussten durch eine Akteneinsicht nach § 29 VwVfG bei der Genehmigungsbehörde und durch ein Verfahren nach IFG zugänglich gemacht werden.

  2. Memo – Untersuchung von Abdichtmöglichkeiten des Einlagerungsbereichs Nordfeld ist mangelhaft

    Auf Seite 31 des Memos ist zu lesen:

    Die Langzeitsicherheitsanalysen wurden auf Basis von festgelegten Basisdatensätzen von zwei unabhängigen Bearbeitergruppen mit zwei unterschiedlichen Rechenmodellen und zwei unterschiedlichen Programmen (EMOS und PROSA) durchgeführt. Die Vorgehensweise sichert die Erkenntnisse, die sich aus den Langzeitsicherheitsanalysen gewinnen lassen, zusätzlich ab.

    Wie schon im Artikel ERAM-Sicherheitsanalyse: Programmierfehler nicht systematisch ausgewertet dargestellt wurde, wurden die Methoden EMOS und PROSA leider nicht unabhängig eingesetzt. Die GRS teilte nämlich in einem Schreiben vom 23.05.2006 mit:

    ….In der letzten Woche haben wir in Verbindung mit einem vertieften Vergleich unserer Ergebnisse mit denen der Fa. Colenco einen Programmierfehler in einem EMOS-Modul festgestellt. Dieser führt dazu, dass für die Fernfeld-Modellparameter nicht wie vorgesehen jeweils der gezogene Stichprobenwert sondern stets der Referenzwert verwendet wurde….

    Also fand zumindest ein Abgleich der EMOS-Ergebnisse mit den PROSA-Rechnungen statt. Deshalb ist der oben genannte Satz „Die Vorgehensweise sichert die Erkenntnisse, die sich aus den Langzeitsicherheitsanalysen gewinnen lassen, zusätzlich ab.“ falsch.

    Was bezwecken die ErstellerInnen des Memos mit dieser Falschaussage? Sollte eine nicht vorhandene Verlässlichkeit vorgetäuscht werden? Oder haben sie sich nicht wirklich über die Erstellung der EMOS- und PROSA-Abschätzungen informiert, obwohl sie diese in ihrer Studie benutzen? Oder wurden sie sogar vom Auftraggeber BfS falsch informiert?

    Eines ist sicher: Das BfS wusste spätestens seit dem Eintreffen des GRS-Schreibens vom 23.05.2006 – laut Eingangsstempel seit dem 24.052006 – , dass die beiden Rechenmodelle nicht unabhängig eingesetzt wurden. Warum konnte das Memo mit dieser Falschdarstellung vom BfS abgenommen werden?

    Wie sieht es mit den anderen Feststellungen des Memos aus, wozu keine weiteren Unterlagen vorliegen? Sind diese auch falsch?

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