Wissensvermittlung in Anhörungen?
Im Blog demokratie.plus erschien ein Beitrag von Jörg Sommer mit dem Titel Wissen als Risiko. Er analysiert darin die Rolle des Wissens insbesondere im politischen Prozess wie zum Beispiel bei Expert*innenanhörungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Sehr treffend stellt er dazu fest:
Ich habe solche, stark ritualisierten Prozesse oft genug mitgemacht, um zu wissen: Ausschussanhörungen haben in der Regel weniger mit Wissensvermittlung als mit Selbstbestätigung zu tun.
Wissen im Standortauswahlgesetz
Beim Problem der Langzeitlagerung von radioaktiven Abfällen spielt Wissen eine wesentliche Rolle. So legt das Standortauswahlgesetz in § 1 Abs. 2 fest, dass das Auswahlverfahren unter anderem wissenschaftsbasiert ausgestaltet werden muss. Insbesondere ist geologisches Wissen gefragt, das an den Schulen lediglich marginal vermittelt wird. Dazu passt ein weiteres Statement aus oben genanntem Beitrag:
Bei vielen Themenfeldern macht es Sinn, zu Beginn eines Diskursprozesses nötiges Wissen zur Verfügung zu stellen. Doch schon bei einer gewöhnlichen Verkehrswegeplanung übersteigt das Maß an Wissen den Anteil des von den Beteiligten Verdaubaren um ein Vielfaches.
Eine bloße Herstellung von „Transparenz“ durch wahre Informationslawinen hilft da wenig.
Wer vermittelt Grundlagenwissen?
Bei der Standortsuche wurde es bisher noch nicht versucht, Grundlagenwissen insbesondere zur Geologie zu vermitteln – siehe auch Warum nicht ein Funkkolleg Geologie statt wirkungsloser Warnungen vor Populismus? Das dafür nach § 5 StandAG zuständige BaSE verschanzt sich hinter einem Notariat ohne Notarin und lässt Kampagnen von der Werbeagentur Scholz & Friends durchführen.
Information der Öffentlichkeit durch eine unabhängige und eigenständige Organisation
Da hat Hans-Joachim Schneider in seiner Stellungnahme zur BürgerInnen-Anhörung zum Standortauswahlgesetz am 11.02.2017 wohl Recht, wenn er ausführt:
In der Diskussion um den Standort Gorleben wurden in der Vergangenheit aus dem Lager der Gorleben-Gegner massive Vorwürfe erhoben, dass bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit die Ministerien und Fachbehörden in unredlicher Weise Fakten zurückhalten, schönen und verfälschen. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass bei der Neuorganisation des Endlagerprojektes genau dieselbe Konstellation der Ansiedlung der Öffentlichkeit in einer Fachbehörde wiederholt wird. Mit dieser Vorgehensweise wird eine unabhängige Information der Öffentlichkeit unterbunden und der Manipulation der öffentlichen Meinung durch eine an die politischen Verantwortungsträger weisungsgebundene Fachbehörde Tür und Tor geöffnet, wie dies im Falle der vorläufigen Sicherheitsanalyse (VHS) zum Standort Gorleben durch das BMUB und seine nachgeordnete Behörde BfS praktiziert wurde, in dem eine offene und redliche wissenschaftliche Würdigung der Fakten einer vorläufigen positiven Eignungshöffigkeit aus politischen Gründen zur Aufrechterhaltung des politischen Konsenses unterbunden wurde.
Die Information der Öffentlichkeit muss deshalb zwingend durch eine unabhängige und eigenständige Organisation erfolgen, wie sie z.B. erfolgreich im französischen Endlagerprojekt durch die CLIS de Bure (Comité Local d’Information et de Suivi du Laboratoire souterrain de recherche sur la gestion des déchets radioactifs de Bure) praktiziert wird.
Nur durch die Bereitschaft einerseits der staatlichen Akteure, Grundlagenwissen in passender Form anzubieten, und andererseits der Laien, solches Wissen aufzunehmen, kann eine Vertrauensbasis geschaffen und gefestigt werden, die auch dann noch Bestand hat, wenn es um Facheinschätzungen geht, die selbst von sehr interessierten Laien kaum noch nachprüfbar sind.
Die unterschiedlichen Formen des Nichtwissens
Der oben genannte Blogbeitrag kommt schließlich zum Begriff des Nichtwissens. Hier muss aber differenziert werden. Im Beitrag wird er verwendet im Sinne von vorhandenem, aber noch nicht vermitteltem oder nicht vermittelbarem Wissen. Dies ist das subjektive Nichtwissen. Es gibt aber auch das objektive Nichtwissen, was nochmals unterteilt werden muss in Nochnichtwissen und dem Nichtmöglichwissen. Diese Unterscheidung spielt zum Beispiel in der schwedischen Langzeitlagerdiskussion eine wesentliche Rolle. Das Nichtwissen spielt in der Geologie als beschreibende Wissenschaft eine recht große Rolle. Es gilt immer noch der Spruch
Vor der Hacke ist es duster.
In Deutschland wäre es schon ein Fortschritt, wenn die jetzt allein staatlichen Akteure nicht von einem sicheren Endlager, sondern von einem risikoarmen Langzeitlager sprechen würden.
Als Einstiegslektüre in das Wissensgebiet Nichtwissen seien wieder einmal empfohlen die Arbeiten von Peter Wehling zum Beispiel Wehling, P.(2006). Im Schatten des Wissens? Perspektiven der Soziologie des Nichtwissens.
Bitte mehr Ehrlichkeit beim Nichtwissen – Wo beginnt das Terrain des Nichtwissens?
Beim Lesen der Berechnungsgrundlage Dosisabschätzung fällt auf, dass Nichtwissen nicht zugegeben, sondern hinter fadenscheinigen Formulierungen versteckt wird.
Vorbereitet wird das Täuschungsmanöver durch eine Formulierung in § 26 Abs. 2 Punkt 1 StandAG:
In § 1 Abs. 2 Satz 2 ist die Einschränkung des Schutzes der Umwelt auf den langfristigen Schutz der menschlichen Gesundheit noch nicht zu lesen:
Die anthropozentrische Einschränkung des Schutzes von Natur und Umwelt wird konsequent in den Sicherheitsanforderungen umgesetzt, indem die Langzeitsicherheit wie folgt definiert wird (§ 2 Punkt 6 EndlSiAnfV):
In der Berechnungsgrundlage Dosisabschätzung wird das nochmals eingeschränkt mit der lapidaren Formulierung (Seite 9, 4.2 Grundsätze Abs. 4):
Das ist ein Ansatz, der eigentlich begründet werden müsste. Dies geschieht jedoch nicht. Wenn man sich den Strahlenschutz und insbesondere die Grundlagen der Dosisabschätzung durch Direktstrahlungsbelastung und innerer Strahlenbelastung ansieht, erscheint dieser einfache Ansatz mehr als fraglich. Dazu habe ich bereits im Jahr 2005 / 2006 folgende Anmerkungen gemacht.
Sicherheits- und Performance-Indikatoren, Seite 18
Im Plan zur Stilllegung des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben (2009) war man da schon ehrlicher (Seite 2006):
Dieser Teil der Berechnungsgrundlage ist also ein Rückschritt in das letzte Jahrtausend. In einem Papier aus dem Jahr 2020 sollte aufgezeigt werden, wie man sich dem Problem bisher genähert hat und wo das Terrain des Nichtwissens beginnt.
Die Rolle des Vertrauens in einer Wissenschaftsgesellschaft
Zu der auch im obigen Beitrag angerissenen Problematik des Vertrauens ist ein lesenswertes Buch erschienen: Schneider, P.(2020). Follow the science? – Ein Plädoyer gegen wissenschaftsphilosophische Verdummung und für wissenschaftliche Artenvielfalt.
Zur Wissenschaftsgesellschaft wird ausgeführt:
Zum vielzitierten Ausspruch Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. schlägt der Autor eine Verbesserung vor:
Diese beiden Kostproben zeigen, dass das gut 100 Seiten starke Buch für jeden ein Gewinn ist, der sich für normative Wissenschaftstheorie, empirische Wissenschaftsphilosophie und insgesamt Wissenschaftsforschung interessiert.