Eine literarische Sicht auf die Endlagerung

Der Roman Tiefenlager

Als jemand, der seit 20 Jahren die Endlagerung radioaktiver Abfälle verfolgt hat, fiel mir sofort der Roman der Schweizerin Annette Hug mit dem Titel Tiefenlager auf. In der Schweiz spricht man richtigerweise nicht von einem Endlager, sondern von einem Tiefenlager.

Der Einstieg über den vorhergehenden Roman

Um die Autorin erst einmal kennenzulernen, habe ich zuerst ihren vorhergehenden Roman mit dem Titel Wilhelm Tell in Manila gelesen. Darin geht es um José Rizal, der auf den Philippinen wegen seines Widerstands gegen den spanischen Kolonialismus als Nationalheld gefeiert wird. In diesem Roman kommt die Liebe der Schriftstellerin zur Sprache und insbesondere zum Tagalog zum Ausdruck. Annette Hug studierte unter anderem in Manila und kam offensichtlich in enge Berührung mit dieser Sprache.

Viele Sprünge im Roman

So kommen Tagalog und Manila auch im Roman Tiefenlager vor. Das ist aber nur ein kleiner Aspekt, verpackt in den Personen Betty und Petra. Da es in dem Buch viele Sprünge gibt, die oft verwirrend sind, hilft zum Verständnis die Kurzbeschreibung des Verlags weiter:

Sie zerstreuen, vervielfachen und verteilen sich auf verschiedenen Kontinenten, überall da, wo Konzerne rund um den Globus nach sicheren Orten suchen. Fünf Menschen aus verschiedenen Nationen, eine Krankenpflegerin, ein Kraftwerkarbeiter, ein Nuklearphysiker, eine Finanzberaterin und eine Linguistin gründen einen Orden und entwickeln Methoden, um das Wissen über die Gefahren des Atommülls verlässlich zu dokumentieren und von Generation zu Generation weiterzugeben. Die Vision: Kein Mensch soll durch die Strahlung eines Endlagers für nukleare Abfälle getötet werden.

Die Idee der Atomaren Priesterschaft

Offensichtlich sind Anregungen aus der semiotischen Arbeit Communication Measures to Bridge Ten Millennia aus dem Jahr 1984 aufgegriffen worden, in der eine Atomare Priesterschaft zur Übermittlung von Informationen diskutiert wird – siehe Seite 24. Zur Semiotik siehe auch Visuelle Kommunikation zum Atomaren Endlager.

Mehrmals lesen oder/und Interview anhören

Der Roman springt von der Vergangenheit in Form von Biografien der beteiligten Personen in die Zukunft, die in Erzählungen gefasst werden. Beim erstmaligen Lesen des Buches war ich doch des Öfteren verunsichert. Entweder man liest das Werk mehrmals, und ich bin überzeugt, man findet immer neue Verknüpfungen. Oder man hört sich das lange Interview mit der Autorin an, welches vom SRF gesendet wurde.

Vorkommnisse aus der realen Endlagerwelt

Angerissen werden zahlreiche Vorkommnisse aus der realen Endlagerwelt, so der Katzenstreu-Unfall im WIPP aus dem Jahr 2014 in Kapitel 11.

Eine Messung ist keine Messung

Die beste Stelle für mich als Naturwissenschaftler findet sich in Kapitel 8:

Ate zittert beim Gedanken daran, wer im Labor sitzt: eine Novizin. „Eine Messung ist keine Messung“, hat sie in frühen Lektionen gelernt. Sie sucht den Ersten Forscher auf und geht mit ihm zusammen zum Messgerät. Da sitzt die Neue.
„Hast Du den Ziegenkäse aus T. gemessen?“, fragt Ate freundlich.
„Ja.“
„Und hast Du die Messung wiederholt?“
„Nein.“

Diesen Slogan Eine Messung ist keine Messung habe ich sehr früh im Studium gelernt. Denn in den exakten Naturwissenschaften geht es zu einem großen Teil um statistische Messfehler und deren Streuung. Ein Messwert ohne Angabe des Vertrauensbereichs ist wertlos. Und selbst dann sind systematische Fehler nicht ausgeschlossen.

Der literarische Pfad zum Endlagerproblem

Der Wert des Romans könnte durchaus darin liegen, eine Zielgruppe, die sonst nicht für Endlagerung zu erreichen ist, über den literarischen Pfad einzufangen.

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