Das angebliche Zeitproblem
In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt versichert Bundesumweltminister Peter Altmaier auf die Frage, wann der Endlager-Konsens komme
Wir bereiten neue Gespräche vor, ich will auf die Beteiligten zugehen. Eine Entscheidung werden wir nicht auf die lange Bank schieben.
und ob Gorleben am Ende zum niedersächsischen Wahlkampfthema werde
Überhaupt nicht. Alle Seiten müssen aber wissen, dass sie ihre Maximalforderungen nicht durchsetzen können. Wir waren bei der Konsenssuche schon sehr weit mit den Bundesländern. Mir ist nach wie vor wichtig, dass auch SPD und Grüne im Bund am Konsens beteiligt werden.
In einem Interview mit Herrn Kretschmann in Spiegel Online wird von einem Zeitrahmen bis Ende September gesprochen. Das hört sich alles recht ambitioniert an. Doch das angebliche Zeitproblem ist nicht das Einzige und wohl nicht das Größte.
Abteilungsleiter des BMU vor Gorleben-Untersuchungsausschuss
Herr Hennenhöfer, zuständiger Abteilungsleiter im Bundesumweltministerium, hat bei seiner Aussage vor dem Gorleben-Untersuchungsauschuss weitere Einblicke in die laufende Arbeit gewährt. Zur vergleichenden Endlagersuche vertrat er die Meinung, dass diese eher aus Akzeptanzgründen als wegen der Sicherheit in das Atomgesetz aufgenommen werden solle. Schließlich müsse man bei der vergleichenden Endlagersuche Äpfel mit Birnen vergleichen. Und später am Nachmittag wurde von ihm noch ergänzt:
INTAC war wohl die Brutstätte einer vergleichenden Endlagersuche.
Die Langzeitsicherheit als Absolutaussage im BMU immer noch gängig
Herr Hennenhöfer geht als Jurist weiterhin davon aus, dass die Langzeitsicherheit eines Endlagers für radioaktive Abfälle nachgewiesen werden kann, und zwar absolut ohne Vergleich unterschiedlicher geologischer Gegebenheiten. Damit überfordert er die „harten“ Naturwissenschaften und erst recht die eher „weichen“ und beschreibenden Geowissenschaften.
Minimierungsgebot des Strahlenschutzes wird missachtet
Außerdem lässt er einen wesentlichen Grundsatz des Strahlenschutzes, das sogenannte Minimierungsgebot, außer Acht. Wer betont, dass bei der langfristigen Lagerung von Atommüll die geologischen Barrieren das wesentliche Sicherheitselement ist, muss gerade dieses Element so gut wie möglich optimieren. Und da kommt man nicht umhin, unterschiedliche geologische Situationen an – gezwungener Maßen – unterschiedlichen Standorten zu untersuchen und zu vergleichen. Dass solch ein Vergleich nicht trivial sein wird, ist an verschiedenen Stellen schon erarbeitet worden.
INTAC als „Brutstätte“
Bezeichnend ist, dass von der Abteilung Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen,
Strahlenschutz, nukleare Ver- und Entsorgung die „Brutstätte“ der vergleichenden Endlagersuche bei INTAC verortet wird. Eigentlich sollte es das BfS sein, denn dieses ist als wissenschaftlich-technische Bundesoberbehörde sowohl für den Strahlenschutz und damit die Einhaltung der Strahlenschutzgrundsätze als auch für die Endlagerung zuständig. Woran mag es wohl liegen, dass nicht von dieser Behörde die wesentlichen Argumente kommen?
PR-Trick statt wissenschaftliche Erkenntnis
Wenn also demnächst die vergleichende Endlagersuche im Atomgesetz stehen sollte, so wird dies nicht auf wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auf Akzeptanzgründe zurückzuführen sein. Oder anders formuliert: Es wird ein PR-Trick sein. Das hätte zwei Konsequenzen: Erstens ist es fraglich, ob die Abfallverursacher solch einen PR-Trick finanzieren wollen, und zweitens wird es Auswirkungen auf das Endlagersuchverfahren haben. Das Verfahren wird wohl in seiner Tiefe nicht wissenschaftlichen, sondern PR-Kriterien folgen.
Plausible und nachvollziehbare Darlegung eines loyalen Beamten
Herr Hennenhöfer hat vor dem Untersuchungsausschuss die Entwicklungen in seiner Amtszeit von 1994 bis 1998 plausibel und nachvollziehbar darlegen können. Die zwei von ihm angeführten Grundlagen als loyaler Beamter waren
- der im damaligen Atomgesetz formulierten Zweck,
die Erforschung, die Entwicklung und die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern,
- die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 28. September 1979.
Die letzteren Grundsätze enthalten zur Endlagerung unter anderem folgende Aussage:
Die Regierungschefs von Bund und Ländern begrüßen die Bereitschaft der Landesregierung von Niedersachsen, die Errichtung eines Endlagers in Gorleben zuzulassen, sobald die Erkundung und bergmännische Erschließung des Salzstockes ergibt, daß dieser für eine Endlagerung geeignet ist.
Die Erkundung und bergmännische Erschließung des Salzstockes Gorleben wird deshalb zügig vorangeführt, so daß die für die notwendigen Entscheidungen erforderlichen Kenntnisse über den Salzstock in der zweiten Hälfte der 80er Jahre vorliegen. Zu diesem Zweck wird das laufende Planfeststellungsverfahren für ein Endlager im Salzstock Gorleben fortgeführt und ggf. auf alle in Betracht kommenden Endlagerarten ausgedehnt.
Statt Endlagersuchgesetz ein Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern
Auch wenn die Erarbeitung eines soliden Endlagersuchgesetzes bis Ende September als aussichtslos bezeichnet werden muss, könnte die obengenannte Passage außer Kraft gesetzt werden, indem Folgendes verabschiedet wird:
Die Regierungschefs von Bund und Ländern kommen überein, dass die Suche nach einem bestmöglichen Endlager für radioaktive Abfälle aus wissenschaftlichen Gründen und insbesondere zur Einhaltung des Strahlenschutzgrundsatzes der Minimierung in allen Bundesländern notwendig ist. Dem liegt zugrunde, dass für eine möglichst sichere Endlagerung die natürlichen geologischen Barrieren mit höchster Priorität herangezogen werden müssen. Eine nur an einem Standort geführte Argumentation zur Langzeitsicherheit kann wegen der enormen Unsicherheiten und des Nichtwissens bei den notwendigen Prognosezeiträumen von einer Million Jahren und mehr keine rationale Entscheidungsgrundlage sein.
Auf dieser Grundlage könnte auch Herr Hennenhöfer als loyaler Beamter weiterarbeiten. Anzumerken ist, dass im Atomgesetz inzwischen als erster Zweck,
die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden und bis zum Zeitpunkt der Beendigung den geordneten Betrieb sicherzustellen,
genannt wird.
Auch der Kanzlerin und ehemaligen Bundesumweltministerin fehlt das wissenschaftliche Verständnis, dass für die Lösung des Endlagerproblems eine komparative Methode eingesetzt werden muss.
Bei der Vernehmung vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss am 27.09.2012 kam sie immer wieder auf den Punkt, dass Gorleben nur weitererkundet werden müsse und dann entschieden werden könne, ob dieser Standort geeignet oder ungeeignet sei. Dass dies angesichts der notwendigen Prognosen über 10 Mio. Jahre und der geringen Aussageschärfe der Geologie nicht möglich ist, ist bei ihr noch nicht angekommen. Auch der Optimierungsgrundsatz des Strahlenschutzes verbietet solch ein unreflektiertes Vorgehen, wie es sich Frau Merkel offensichtlich schon gut 17 Jahre lang vorstellt. Damit findet sie sich in guter Gesellschaft mit Herrn Hennenhöfer.
Es wird Zeit, dass das Endlagerproblem endlich von der wissenschaftlichen Seite aufgerollt wird, und die Politik sich erst dann einmischt und Entscheidungen trifft, wenn die Wissenschaft dies nicht mehr kann.