Im § 1 Abs. 1 des Entwurfs des Standortauswahlgesetzes steht:
Ziel des Standortauswahlverfahrens ist, in einem wissenschaftsbasierten und transparenten Verfahren den Standort …..zu finden,…
Zur Endlagersuche sagt die für Wissenschaft zuständige Ministerin Annette Schavan in einem Interview:
Mein Kollege, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, hat zum Dialog zwischen Bund und Ländern eingeladen. Da wird der Prozess der Endlagersuche besprochen. Ich halte deshalb nichts von rhetorischen Verwirrspielen, die nur die Menschen in vielen Regionen beunruhigen. Ich kann nicht beurteilen, ob es wirklich außerhalb von Gorleben einen Standort gibt, der vergleichsweise geeignet ist.
Hier hat Frau Schavan als Forschungsministerin versagt. Die Endlagersuche muss ein Forschungsthema werden, bisher war sie Spielball der Ideologie. Wenn die „Neue Suche“ wissenschaftsbasiert gestaltet werden soll, muss erst einmal die Grundlagenforschung in diesem Bereich gestärkt werden. Bisher sind nur interessengeleitete Forschungen durchgeführt worden, die von den direkten Akteuren wie BfS und insbesondere Bundeswirtschaftsministerium beauftragt wurden, siehe zum Beispiel ISIBEL.
Nur durch eine breite Grundlagenforschung kann eine funktionierende, pluralistische Scientific Community entstehen, die das Problem Endlagerung außerhalb von politisch-ideologischen Klüngeln zu einer akzeptablen Lösung führen kann. Bisher wurde zum Beispiel auf jede Betrachtung aus dem Blickwinkel der Wissenschaftsforschung verzichtet. Damit werden dreißig Jahre Entwicklung auf diesem Gebiet einfach außer Acht gelassen. Es ist Aufgabe des BMBF, dem zu widersprechen.
aktualisiert 14.02.2012
Wird sich für die Endlagersuche eine „Scientific Community“ bilden und die erhofften Lösungen vorschlagen? Ist das auch erstrebenswert? Hier sehe ich Schwierigkeiten.
Zunächst: Was habe ich darunter überhaupt zu verstehen? Scientific Communities sind schließlich Gruppen von Menschen, deren Regeln von reiner Erkenntnis geprägt sind. Eine demokratische Kontrolle gibt es nicht, allenfalls eine Selbstkontrolle (peer review). Sind sie damit in dieser Sache wirklich die Richtigen?
Und dann: Ist die kritische Masse an fähigen Leuten groß genug, um eine Gemeinschaft zu bilden, die diese Bezeichnung verdient? Ein Großteil der bisherigen Protagonisten ist alt geworden. Es mangelt an Nachwuchs, weil das Thema abschreckt. Es ist leider nur wichtig, aber keineswegs attraktiv. So werden viele der alten Kämpen diejenigen bleiben, die am meisten davon verstehen, egal ob Gegner oder Befürworter der bisher diskutierten Varianten. Neue Ideen werden sie nicht haben, weil sie meinen, dass die alten ausreichen. Haben sie möglicherweise Recht?
Und schließlich: Wissenschaftsforschung kann nicht angeordnet werden. Echte freie Forschung widmet sich einem Thema allein aus einem Grund: Weil es neugierig macht und damit den Wissensdurst weckt! Am fruchtbarsten ist Forschung immer, wenn ein Paradigmenwechsel in der Luft liegt. Ist das hier der Fall?
Folgende drei Anmerkungen dazu:
(1) Wissenschaft ersetzt nicht Demokratie
Das Problem Endlagerung ist komplex und lässt sich nicht mit rein wissenschaftlichen Ansätzen lösen. Auch bei einer wissenschaftlichen Herangehensweise werden viele offene Fragen bleiben. Das ist nicht einmalig, ein guter Überblick ist zu finden in Wehling, P.(2006). Im Schatten des Wissens? Perspektiven der Soziologie des Nichtwissens. Schließlich muss politisch demokratisch entschieden werden. Ich zitiere da gern aus einem Grundlagenbuch der Wissenschaftstheorie (Schurz, G.(2006). Einführung in die Wissenschaftstheorie, S. 16):
Bei der Endlagerfrage ist in den letzten 35 Jahren in Deutschland das Abgrenzungsproblem nicht beachtet worden und die Wissenschaften sind immer mal wieder „missbraucht“ worden.
(2) Scientific Community zur Endlagerung
Eine Scientific Community ist erst dann eine solche, wenn sie eine bestimmte Größe hat, sodass ein Mindestmaß an Pluralismus möglich ist. Dieses Mindestmaß ist bei der Endlagerung nicht vorhanden. Und wenn wir so weiter machen, wird die „Expertengruppe“ immer kleiner und immer älter. Dieses muss verhindert werden durch eine Forschungsinitiative zur Endlagerung mit interessanten Themen. Bisher wurden solche Arbeiten am BfS und an der BGR immer unter der politisch-ideologischen Tagesansage durchgeführt. Auch auf internationaler Ebene ist das wohl nicht besser. Hier ist immer zu beachten, dass in Kernwaffenstaaten militärischer Druck hinzukommt. Das schafft nicht gerade Motivation. Bei „freien“ Forschungsmitteln würde sich das schlagartig ändern. Meine Erfahrung ist es, dass es viele junge GeologInnen und StrahlenschützerInnen gibt, die motiviert sind, aber sich durch die politisch-ideologische Knute abschrecken lassen oder sich dieser gezwungener Maßen anpassen. Ein wichtiger Punkt ist natürlich, die Grenzen der Wissenschaften mitzudenken. Ich habe den Eindruck, dass dieses von jungen Wissenschaftlern besser akzeptiert wird als von den „alten Kämpen“. Zielführend sind objektorientierte und nicht autoritätsorientierte Strukturen, eine Erkenntnis, die sehr gut in Knorr Cetina, K.(2002). Wissenskulturen – Ein Vergleich naturwissenschaftlicher Wissensformen herausgearbeitet wurde.
(3) Paradigmenwechsel in der Endlagerung
In der Endlagerung ist ein Paradigmenwechsel im Sinne von Kuhn, T. S.(1962). The Structure of Scientific Revolution im Gange. Er äußert sich zum Beispiel im Wechsel der Terminologie von Langzeitsicherheitsnachweis zu Safety Case. Dies sickert auch so langsam nach Deutschland durch, siehe Baltes, B. und K.-J. Röhlig (2009). „Das Konzept des Safety Case und die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in Deutschland.“ in: atw – Internationale Zeitschrift für Kernenergie 54(7): 450-455. Dabei wird im Prinzip das Problem unter Punkt (1) aufgegriffen, dass nämlich eine rein wissenschaftliche Eignungsaussage nicht möglich ist. Leider ist dies beim BfS noch nicht angekommen. Beim Planfeststellungsverfahren Morsleben wird sich noch an die überholten Vorstellungen geklammert. Der laufende Paradigmenwechsel erfordert neue Sichtweisen, siehe auch hier. Es ist interessant, was sich auf diesem Gebiet in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird.