Die Standortwahl für ein nukleares Entsorgungszentrum, das auch ein Endlager umfassen sollte, fing 1974 an. Die Kernbrennstoffwiederaufarbeitungsgesellschaft mbH (KEWA) suchte bundesweit anhand eines Kriterienrasters geeignete Standorte. Dabei spielte die Endlagereignung zwar nur eine untergeordnete Rolle, die KEWA-Studie [1] machte aber nicht den Fehler, sich auf nur einen Standort zu reduzieren.
Insgesamt wurden drei Standorte zur weiteren Untersuchung benannt. Auch im weiteren Verlauf wurde bei Ausfall eines Standortes dieser durch einen anderen ergänzt. So wurde der Standort Faßberg wegen Erdgasvorkommen und negativen Bohrergebnissen durch Lutterloh ersetzt. Der Standort Ahlden mit dem Salzstock Eilte wurde wegen Erdölförderung und ungünstigem Querschnitt nach Westen auf den Salzstock Lichtenhorst verlegt (siehe [2]). Es wurde sogar angestrebt, an allen Standort gleichzeitig zu erkunden [3]:
Leider wurde das auf drei Standorte basierende Suchverfahren der KEWA im Jahr 1976 aufgegeben. Aus politischen Gründen wurde ein fataler Fehler begangen. Vom Land Niedersachsen wurde die Erkundung 1977 allein auf Gorleben reduziert. Dazu heißt es in einem Entwurf der Kabinettsvorlage vom 04.02.1977 [4]:
Wissenschaftsmethodisch war und ist dieser Ansatz wegen der Komplexität des Endlagerproblems falsch. Die Eignungsaussage zu einem Standort als Endlager kann keine eindeutige Ja-Nein-Entscheidung sein. Bei solch einem Problem muss ein vergleichendes Auswahlverfahren angewendet werden, bei dem möglichst lange Alternativen erhalten bleiben.
Zwar wurde aus fachlicher Sicht solches immer wieder gefordert, siehe Artikel in der Franfurter Rundschau [5]:
HANNOVER, 24. Juli. Die Bundesregierung hat der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) untersagt, Überlegungen anzustellen, ob als Alternative zum Gorlebener Salzstock auch andere mögliche Endlagerstätten für Atommüll erkundet werden sollten. Professor Helmut Röthemeyer von der PTB bestätigte am Mittwoch die Existenz dieser Weisung und bezeichnete sie als eine „unangenehme Sache“.
Die Politik verstand es aber, dieses zu unterbinden. Dies ist Gegenstand des Gorleben-Untersuchungsausschusses. Beweggründe waren wohl die Nichtgefährdung der Entsorgungsvorsorgenachweise für den Betrieb von Atomkraftwerken und finanzielle Argumente. Eine wissenschaftsmethodisch richtige Erkundung an mehreren Standorten parallel erschien beim flüchtigen Betrachten teurer als die an einem einzigen Standort.
Nun ist es der betroffenen Bevölkerung nach 35 Jahren nicht mehr vermittelbar, warum Gorleben doch noch ein möglicher Standort sein könnte. Nach 35 Jahren An-der-Nase-herumführen ist das Vertrauen zerstört. Die Vor-Ort-Bereitschaft, Gorleben als einen Vergleichsstandort zuzulassen, ist ein direktes Maß, inwiefern eine neue sogenannte wissenschaftsbasierte Endlagersuche bei der Bevölkerung des Wendlandes Vertrauen genießt. Ein solches verlorenes Vertrauen – so ist den Kommunikationswissenschaften zu entnehmen – muss in langjähriger Arbeit aufgebaut werden.
Vor diesem Hintergrund muss die Broschüre zur Weitererkundung des Salzstocks Gorleben [6] als eklatanter Missgriff gesehen werden. Sie beginnt mit dem Satz
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
im Jahr 1977 wurde Gorleben als Standort für ein mögliches Endlager für hochradioaktive (wärmeentwickelnde) Abfälle benannt.
und endet mit dem Zitat des Grundgesetzes
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen …“
Grundgesetz, Artikel 20 a
Der erste Satz ist falsch, da Gorleben 1977 als möglicher Standort eines „Integrierten Nuklearen Entsorgungszentrums“ benannt wurde und die Kriterien für die Endlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle nur eine untergeordnete Rolle spielten.
Weiterhin ist das Zitat von Artikel 20a des Grundgesetzes unpassend, da dieser Artikel im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 2009 [7] dazu diente, die Verfassungsbeschwerde gegen die Genehmigung des Endlagers Konrad abzuweisen. Dabei wurde ausgeführt, dass betroffene Bürger die Vorsorge für zukünftige Generationen nicht einfordern können. Das mag die derzeitige Rechtslage sein, unkommentiert muss aber dieser Bezug die Bürger schockieren, da vorher in der Broschüre zur Beteiligung aufgefordert wird:
Die Beteiligung der Öffentlichkeit ist für uns mehr, als den formalen Anforderungen gerecht zu werden. Wir möchten von Anfang an das Gespräch mit Ihnen suchen und ein Maximum an Transparenz gewährleisten. Wir wünschen uns, dass wir mit gegenseitigem Respekt aufeinander zugehen und in einen offenen Dialog über die weiteren Schritte einer Eignungsprüfung eintreten können. Sicherlich müssen die Voraussetzungen für einen vertrauensvollen Dialog mit den Bürgern vor Ort erst geschaffen werden. Wir wollen daher eine/n Dialogbeauftragte/n bitten, den Informations- und Diskussionsbedarf in Erfahrung zu bringen und Wege für einen konstruktiven Dialog zu finden.
Auch ein „Gorlebendialog“ und eine „vorläufige Sicherheitsanalyse“ allein zum Standort Gorleben sind in dieser Situation äußerst kontraproduktiv.
[1] Ermittlung mehrerer alternativer Standorte in der Bundesrepublik Deutschland für eine industrielle Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungsanlage – Entwicklungsvorhaben gefördert vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (1974). Frankfurt/ M-Höchst, KEWA Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungs-GmbH.
[2] S. 21 in: Mehnert, M.(2005). Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe.
[3] KEWA Wiederaufarbeitungsanlage Standort Wahn – Besprechung am 18. 2.1976 im Hause.(1976).
[4] DER NIEDERSÄCHSISCHE MINISTER FÜR WIRTSCHAFT UND VERKEHR.(1977). Entwurf Kabinettsvorlage vom 04.02.1977.
[5] Spoo, E. (1985). Maulkorb für kritische Äußerungen über Gorleben – Bonn untersagt Bundesanstalt neue Überlegungen. Frankfurter Rundschau (FR) 25.07.1985.
[6] Arens, G., A. Pantelouris, et al.(2010). Weitererkundung des Salzstocks Gorleben.
[7] Bundesverfassungsgericht.(2009). Verfassungsbeschwerde gegen „Schacht Konrad“ nicht zur Entscheidung angenommen – Beschluss vom 10. November 2009 1 BvR 1178/07.
Die unter [2] genannte Literatur Mehnert, M.(2005). Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe wurde – wohl in Umsetzung des BfS-Mottos „Transparenz und Offenheit“ – aus dem Internet entfernt. InteressentInnen können für private Zwecke eine Kopie erhalten.
Wenden Sie sich bitte an kontakt[ätt]endlagerdialog.de