Rückholbar oder nicht?


Diskussion zur Rückholung

Jahrelang war in Deutschland staatlicherseits keine Bereitschaft vorhanden, sich über Rückholbarkeit bei einem Endlager auseinanderzusetzen. In den Sicherheitsanforderungen von 2010 werden jedoch erstmals Rückholung und Bergung angesprochen.

8.6 Abfallbehälter müssen unter Berücksichtigung der darin verpackten Abfallprodukte und des sie umgebenden Versatzes folgende Sicherheitsfunktionen erfüllen:
•    Für die wahrscheinlichen Entwicklungen muss eine Handhabbarkeit der Abfallbehälter bei einer eventuellen Bergung aus dem stillgelegten und verschlossenen Endlager für einen Zeitraum von 500 Jahren gegeben sein. Dabei ist die Vermeidung von Freisetzungen radioaktiver Aerosole zu beachten.
•   In der Betriebsphase bis zum Verschluss der Schächte oder Rampen muss eine Rückholung der Abfallbehälter möglich sein.

Maßnahmen, die zur Sicherstellung der Möglichkeiten zur Rückholung oder Bergung getroffen werden, dürfen die passiven Sicherheitsbarrieren und damit die Langzeitsicherheit nicht beeinträchtigen.

Letzter „öffentlicher“ Entwurf des Endlagersuchgesetzes

Nach dem Entwurf des Endlagersuchgesetzes vom 08.03.2012 sollen die Rückholbarkeit und die damit zusammenhängende Entscheidung zu einem Tiefenlager einleitend betrachtet werden:

§ 9 Erarbeitung von Entscheidungs- und Beurteilungsgrundlagen
(1) Das Bundesinstitut erarbeitet Vorschläge zur Beurteilung und Entscheidung der Frage, ob unverzüglich mit dem Auswahlverfahren für ein Endlager für, insbesondere wärmeentwickelnde, radioaktive Abfälle in tiefen geologischen Formationen begonnen werden soll oder ob andere Möglichkeiten für eine geordnete Entsorgung dieser Abfälle wissenschaftlich untersucht und bis zum Abschluss der Untersuchungen die Abfälle in oberirdischen Zwischenlagern aufbewahrt werden sollen …….

(2) ……..
3. Entscheidungsgrundlagen zu den Fragen der Rückholbarkeit und Bergbarkeit der radioaktiven Abfälle und nachsorgefreien Konzeption der Endlagerung, und …….

Reversibilität und Fehlerfreundlichkeit

Damit soll das nachgeholt werden, was international schon intensiv diskutiert wurde und wird. Dies ist durchaus berechtigt, denn Reversibilität und Fehlerfreundlichkeit spielen gerade in der Fachdiskussion zu Umweltfragen eine große Rolle. Begründet ist dies durch die zu behandelnden komplexen Systeme und damit zwangläufig auftretenden Unsicherheiten und  Nichtwissen. Aufschlussreiches dazu findet sich bei Wehling im Kapitel Modelle des Umgangs mit wissenschaftlichem Nichtwissen (S. 278 ff.).

Safety Case statt Langzeitsicherheitsnachweis

Auch in Deutschland hat sich inzwischen die Erkenntnis breitgemacht, dass sich die Langzeitsicherheit eines Endlagers wegen der komplexen Materie und einem Prognosezeitraum von 10 Millionen Jahren nicht nachweisen lässt, sondern sich nur Argumente für und gegen die Sicherheit sammeln lassen. Das ist die alleinige Entscheidungsbasis, die zur Verfügung steht, siehe 

Baltes, B. und K.-J. Röhlig (2009). „Das Konzept des Safety Case und die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in Deutschland.“ in: atw – Internationale Zeitschrift für Kernenergie 54(7): 450-455.

Es ist also aus Sicht der Wissenschaft angebracht, den Punkt Rückholbarkeit immer wieder zu behandeln, da ein „passiv sicheres“ Endlager von Hause aus eine weitgehend irreversible Maßnahme darstellt.

Diskussionspapier der Entsorgungskommission

Insofern ist es zu begrüßen, dass die Entsorgungskommission zur Problematik der Rückholbarkeit ein Diskussionspapier erstellt hat. Leider ist aber schon der erste Satz nicht zutreffend:

Das deutsche Atomgesetz schreibt vor, alle radioaktiven Abfälle durch Endlagerung in tiefen geologischen Formationen innerhalb Deutschlands zu entsorgen.

Der einschlägige Paragraf 9a Atomgesetz spricht nur von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. In Paragraf 9d wird zwar im Zusammenhang mit Enteignung von Eignung bestimmter geologischer Formationen als Endlagerstätte für radioaktive Abfälle gesprochen. Dies berechtigt aber nicht zu der obigen Feststellung. Allein in den o. g. Sicherheitsanforderungen von 2010 wird sich auf tiefe geologische Formationen bezogen.

Die Sicherheitsanforderungen legen fest, welches Sicherheitsniveau zur Erfüllung der atomrechtlichen Anforderungen ein Endlager für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle in tiefen geologischen Formationen nachweislich einzuhalten hat.

Die Sicherheitsanforderungen sind aber nicht rechtsverbindlich, da das Atomgesetz keine Ermächtigungsgrundlage dafür enthält.

Trotzdem lesenswert

Doch trotz des misslungenen ersten Satzes lohnt sich das Weiterlesen. Neben der systematischen Begriffsklärung von Rückholung, Bergung etc. enthält es eine umfangreiche Sammlung von Argumentationen und den Stand der Diskussion in anderen Ländern. Viele der angegebenen Literaturstellen sind auch im Internet auffindbar. Es fehlen aber die entsprechenden -möglichst dauerhaften – Adressen und bei Hinweisen im Text die konkreten Seitenangaben. Für eine öffentliche Diskussion ist das Papier also noch nicht geeignet.

Geheimpapiere

Stutzig macht die Anmerkung auf Seite 35.

Die Resultate der Studie wurden 2007 veröffentlicht, die Dokumente sind jedoch nur ESDRED-Partnern zugänglich.

Nach dem Final Report ESDRED auf Seite 53 muss es sich um den Report Mod2-WP4-D4 handeln, der am 25/05/2007 mit der Anmerkung RESTRICTED herausgekommen ist (S. 60). Solche Unterlagen müssen für eine Diskussion zugänglich gemacht werden.

Berechtigtes Verlangen der BürgerInnen

Wenn eine Auseinandersetzung über Reversibilität schon ein wissenschaftliches Muss ist, so ist das Verlangen der BürgerInnen, dass über Rückholung nachgedacht wird, noch durch einen anderen Umstand nachvollziehbar. Schließlich haben sie das Scheitern von Politik und staatlicher Verwaltung im Zusammenhang mit der Endlagerfrage in Deutschland erlebt. Es fehlt jede Vertrauensbasis, da insbesondere stichhaltige Erklärungen, warum dieses und jenes schief gelaufen sind, bisher nicht vorgetragen wurden. Auch die Untersuchungsausschüsse zu Gorleben und Asse werden dies nicht leisten, da sie im ideologisch-politischen Raum stattfinden.

Ohne Vertrauen keine Zustimmung zu weitgehend irreversiblen Verfahren

Eine ehrliche Vergangenheitsbewältigung ist als vertrauensbildende Maßnahme unbedingt notwendig aber nicht in Sicht. Aber ohne Vertrauen wird es keine Zustimmung zu einem weitgehend irreversiblen Verfahren zur Atommüllentsorgung geben.

3 Gedanken zu „Rückholbar oder nicht?

  1. Um etwas mehr Licht in das Dunkle zu bringen, wurde zu dem „Geheimpapier“ Mod2-WP4-D4 Akteneinsicht beantragt. Das Papier ist eine Kozeptstudie zur Rückholung von vertikal gelagerten Abfallbehältern im Salz.

    Das Verfahren zur Akteneinsicht kann hier verfolgt werden.

  2. Die beim Bundesamt für Strahlenschutz beantragte Akteneinsicht ging ins Leere. Der nach dem Atomgesetz für die Endlagerung radioakiver Abfälle zuständigen Behörde liegt nach eigener Aussage die Studie über die Rückholbarkeit von Abfallbehältern in Salz in vertikaler Lagerung nicht vor. Der Antrag auf Akteneinsicht wurde an das Bundeswirtschaftsministerium weitergeleitet.

    Was hat man von der Fachkompetenz dieser Bundesoberbehörde zu halten, die nicht einmal die wissenschaftichen und technischen Entwicklungen in ihrem Zuständigkeitsbereich systematisch verfolgt?

  3. Die Akteneinsicht in den Report ESDRED Mod2-WP4-D4 zur Rückholbarkeit von Abfallbehältern in Salz in vertikaler Lagerung wurde abgelehnt. Die Ablehnung wird seitens BMWi begründet mit § 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG Schutz öffentlicher Belange, vorliegend zum Schutz internationaler Beziehungen. Gefolgert wird dies aus der Festlegung der Projektteilnehmer, diesen Report nur bestimmten Partnern zukommen zu lassen („restricted to a group specified by the partners of the [ESDRED] project“), also nicht Privatpersonen und nicht dem Bundesamt für Strahlenschutz, das in Deutschland für die Endlagerung zuständig ist.

    Diese Festlegung konnte getroffen werden, obwohl EU-Mittel und damit Steuergelder zur Erarbeitung zur Verfügung gestellt wurden. Dazu in der ESDRED-Pressemitteilung vom 12.07.2004: „Das Fünfjahres-Programm ist mit einem Budget von 18 Millionen Euro – von denen 7,3 Millionen Euro aus dem Rahmenprogramm stammen – ausgestattet. Der Anteil für die GRS wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit finanziert.“

    Die Projektpartner sind

    • ANDRA, France
    • ENRESA, Spain
    • NAGRA, Switzerland
    • NDA, United Kingdom
    • ONDRAF/NIRAS, Belgium
    • POSIVA, Finland
    • SKB, Sweden
    • AITEMIN, Spain
    • CSIC, Spain
    • DBE TECHNOLOGY, Germany
    • ESV EURIDICE GIE, Belgium
    • GRS, Germany
    • NRG, The Netherlands

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert