Schutzziele bei der Endlagerung und Risikokonzept

Verkürzung der Schutzziele beim Endlager Morsleben

Bei der neuerlichen Inaugenscheinnahme des Endlagers Morsleben am 06.11.2012 durch interessierte EinwenderInnen und andere wurde wiederholt argumentiert, dass die Schutzziele nachweislich eingehalten werden. Bezogen wird sich dabei auf den Grenzwert in § 47 der Strahlenschutzverordnung von 0,3 mSv/Jahr, der für in Betrieb befindliche kerntechnische Anlagen gilt. Dieser Wert wird in den Prognosemodellrechnungen weit unterschritten.

Die Schutzziele im Atomgesetz

Aber sind dies wirklich die Schutzziele, die dem Atomgesetz gerecht werden? Da hilft ein Blick in das Gesetz weiter:

AtG § 1 Zweckbestimmung des Gesetzes
Zweck dieses Gesetzes ist,
…..
2. Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen und durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen verursachte Schäden auszugleichen,
….

Die Gesundheit ist also vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen. Nun gilt im Strahlenschutz ein Wirkungsmodell, nach dem auch jede noch so kleine Strahlendosis schädliche Wirkung auf die Gesundheit des Menschen hat. Dieses LNT-Modell (linear non threshold) führt dazu, dass auch bei geringen Strahlendosen sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, an Krebs zu erkranken. Nur bei einer Dosis null ist auch die schädliche Wirkung null.

Das Rechtfertigungsprinzip

Deshalb reduziert sich der Strahlenschutz zur Einhaltung der nach Atomgesetz vorgeschriebenen Schutzziele nicht auf Grenzwerte, sondern kennt noch zwei andere grundlegende Prinzipien. Das ist zuerst die Rechtfertigung. Das heißt, eine Strahlenbelastung darf nur herbeigeführt werden, wenn es keine anderen vergleichbaren Methoden mit vergleichbarem Nutzen ohne Strahlenbelastung gibt. Bei der Endlagerung bedeutet das, dass die Nutzung der Kernenergie auf den Prüfstand muss. Bei bereits produzierten Abfällen ist dies jedoch kein anwendbares Prinzip.

Minimierungsprinzip

Es bleibt noch der Strahlengrundsatz der Minimierung. Das heißt, die Strahlenbelastung ist so gering wie möglich zu halten. Konkret heißt das: Bei der Endlagerung von Abfällen in Morsleben machen die Schutzziele des Atomgesetzes es erforderlich, dass nicht nur die Grenzwerte eingehalten werden, sondern zusätzlich gezeigt wird, dass ein weiteres Absenken der Strahlenbelastung für die nächsten mindestens 30.000 Generationen nur mit unverhältnismäßigen Mitteln erreicht werden kann.

Minimierungsprinzip wird beim Endlager Morsleben bisher nicht angewendet

Solche Überlegungen sind weder im vom BfS vorgelegten Plan zur Stilllegung des Endlagers Morsleben insbesondere bezüglich der zwischengelagerten Abfälle noch im dem kürzlich vorgelegten Memorandum zum Abdichten des Nordfeldes zu lesen. Im Letzterem wird zwar die Strahlenbelastung von Personen angeführt, die zur Erkundung von Abdichtmöglichkeiten in den Einlagerungsbereichen tätig werden müssten, jedoch wird nicht der Versuch gemacht, diese Strahlenbelastung mit der potenziellen in den folgenden Generationen auftretenden Belastung zu vergleichen. Auch wird nicht dargelegt, dass eine Fernerkundung ohne Menschen vor Ort zwar eingeschränkt möglich ist, aber unverhältnismäßig aufwendig wäre.

Endlagerung erfordert nicht Grenzwert-, sondern Minimierungskonzept

Schutzziel bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle beinhalten also neben Grenzwerten immer auch die Analyse von weiteren Minderungsmöglichkeiten der Strahlenbelastung. Dies gilt insbesondere, weil die Strahlenbelastung über die nächsten 30 bis 300 Tausend Generationen nur modellhaft abgeschätzt werden kann. Eigentlich können die abgeschätzten Dosiswerte wegen dieser Unsicherheiten nicht in Beziehung zu Grenzwerten gesetzt werden, sondern die potenziellen Belastungen können nur anhand der Abschätzungen zu unterschiedlichen Endlagerverfahren verglichen und minimiert werden.

Chemische Stoffe: MAK- und TRK- Werte bis 2005


Das LNT-Modell ist nicht beschränkt auf ionisierende Strahlung, sondern gilt für alle genotoxische Agenzien, so auch für krebserzeugende chemische Stoffe. Für diese gibt es im Bereich Arbeitsschutz seit dem Jahr 2005 eine interessante Entwicklung. Für chemotoxische Stoffe, für die eine Wirkungsschwelle existiert, wurde von einem rein wissenschaftlich besetzten Gremium Grenzwerte – Maximale Arbeitsplatz-Konzentrationen (MAK) – festgelegt. Für krebserzeugende Stoffe dagegen wurden von einem paritätischen Gremium Technische Richt-Konzentrationen (TRK) festgesetzt und weiterhin das Minimierungsgebot eingefordert. Letzteres ist in der Praxis in der Regel nicht beachtet worden.

Das Risikokonzept seit 2005

Dies wurde erkannt und im Jahr 2005 wurden entsprechenden Konsequenzen gezogen. Die Arbeitsschutzregulierungen werden inzwischen von einem paritätischen Gremium – dem Ausschuss für Gefahrstoffe – entwickelt. Die MAK-Werte wurden durch Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) ersetzt. Für krebserzeugende Stoffe wurde ein  Risikokonzept entwickelt – siehe Seite 6 in:  Das Risikokonzept für krebserzeugende Stoffe des Ausschusses für Gefahrstoffe:

In der Praxis wurden die gesundheitsbasierten AGW und technisch begründeten TRK häufig als „gleich sicher“ angesehen. Hauptaugenmerk lag dabei auf der Einhaltung beider Werte. Im Falle der TRK wurde vom Gesetzgeber jedoch auch bei Unterschreitung vom Arbeitgeber weiterhin eine Minimierung der Belastung gefordert, falls dies technisch möglich war….

….Insbesondere für Arbeitsplätze mit ohnehin geringerer Belastung bestand seitens des Arbeitgebers – bei Unterschreitung der TRK – kaum Veranlassung die Exposition noch weiter zu reduzieren, selbst wenn es technisch möglich gewesen wäre. Ein weiterer Nachteil: Mangelnde Transparenz, denn auch bei Einhaltung der TRK bestand weiterhin ein „Restrisiko“ an Krebs zu erkranken.

 

Risikokonzept im Strahlenschutz

Einen ähnlichen Vorstoß gab es auch im Strahlenschutz. Dieser wurde aber bezüglich Endlagerung abgewürgt – siehe Artikel Diskussionsforum Sicherheitsphilosophie Endlagerung? Bei krebserzeugenden chemischen Stoffen werden jetzt für die unterschiedlichen Substanzen  die sogenannten Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB) aufgestellt. Diese liegen im Strahlenschutz für

  • Direktstrahlung durch die Wirkungsfaktoren der unterschiedlichen Strahlenarten und für die
  • Inkorporation der unterschiedlichen Radionuklide  durch die Dosiskoeffizienten

bereits vor. Doch die explizite Benennung des Risikos, die Kommunikation über das Risiko und die Anwendung des Minimierungsprinzips findet in der Regel nicht statt.

Initiative zur Stärkung des Riskokonzeptes im Strahlenschutz

Dem soll mit einer gemeinsamen Initiative des Arbeitskreises Atomenergie der IPPNW, der “BISS” Bürgerinitiative Strahlenschutz Braunschweig und dem BUND Landesverband Sachsen-Anhalt e.V. entgegengesteuert werden. Anlässlich der Veranstaltung AGS publik am 12.11.2012 mit der Würdigung

  • der seit 40 Jahren andauernden Arbeit des Ausschusses für Gefahrstoffe – AGS ,
  • des “Arbeitsschutzes im gesellschaftlichen Konsens – 40 Jahre AGS aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmersicht“ und
  • der Zwischenbilanz Risikokonzept für krebserzeugende Stoffe

weist die Initiative auf die erfolgreiche Arbeit des AGS hin und richtet einen Offenen Brief an Bundesumweltmister Altmaier (Pressemitteilung).

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