„Aber wenn der Atommüll nicht nach Gorleben kommt,….“

DrieschnerNachhilfeunterricht

Der ZEIT-Redakteur Frank Drieschner hat in einem Video von gerade einmal 5 Minuten die Probleme der Endlagersuche treffend zusammengefasst. Jeder an den seit dem 11.11.2011 laufenden Verhandlungen Beteiligte sollte sich dieses Video ansehen. Soviel Zeit für Nachhilfeunterricht sollte sein. Man hat den Eindruck, die beteiligten Politiker haben das Problem immer noch nicht begriffen. Oder wollen sie es aus parteitaktischen Gründen nicht begreifen?

Im Folgenden sollen wesentliche Passagen des Videos dargestellt und diskutiert werden.

Niederlande, Skandinavien, Schweiz und Deutschland

Frank Drieschner macht einen kleinen Ländervergleich.

0:49 – In den Niederlanden lagern sie Atommüll in Betonhallen, einfach weil sie keine anderen Möglichkeiten haben. Es gibt da keine Tonschichten, keine Salzstöcke. In Skandinavien nehmen sie Granit, weil es da nur Granit gibt. In der Schweiz Ton, da haben sie halt Ton. Wir haben in Deutschland die halbe norddeutsche Tiefebene, darunter ist Salz und Ton. Wir haben in Süddeutschland Ton, wir haben noch Gesteinsschichten. Es gibt viele viele Plätze in Deutschland. Das heißt, in Deutschland muss man den Bürgern, wenn sie Atommüll irgendwohin bekommen, wasserdicht beweisen, dass ihr Platz der allerbeste ist.

Deutschland hat also ein Auswahlproblem.

Die Angaben zu den Niederlanden und zur Schweiz treffen nicht ganz zu. So gibt es in den Niederlanden auch Salz- und Tonvorkommen, die Anlass zur Diskussion um Erkundungen waren. Siehe dazu Herman Damveld in seinem Papier ATOMMÜLL IN BEWEGUNG auf den Seiten 1 bis 3 und in seinen Vortragsfolien Seite 15.

In der Schweiz untersucht man Granit am Standort Grimsel und Ton am Standort Mont Terri.

Taktische Bedeutung für Kernkraftwerksbetreiber und Atomkraftgegner

Gut herausgearbeitet wird die taktische Bedeutung der Endlagerfrage.

1:55 – Nirgends wo auf der Welt ist der Kampf um die Atomenergie so hart und so ideologisch ausgetragen worden wie in Deutschland. Das hat die Atmosphäre komplett vergiftet. Man muss sich einfach klar machen, dass das Endlager für beide Seiten eine taktische Bedeutung gehabt hat – immer. Die Industrie will ihre Kraftwerke betreiben, wollte ihre Kraftwerke betreiben, muss beweisen, das Endlagerproblem ist schon gelöst. Es gibt einen Entsorgungsnachweis. Die Atomkraftgegner, denen das Ganze nicht passte, die haben immer gesagt: Das ist überhaupt nicht lösbar, dieses Problem. Das ist ja eins der Probleme der Atomindustrie und darum müssen diese Kraftwerke abgeschaltet werden. Wie sollen die Leute, die bislang gesagt haben, das ist unlösbar, jetzt plötzlich eine Lösung akzeptieren.

Zu ergänzen ist hier, dass der Kampf gegen die Atomkraft seinen Ursprung in den USA  hatte  und dort bereits in den 1960er Jahren kulminierte (siehe Seite 299 in Radkau, J. und L. Hahn.(2013). Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft). Die erste europäische Großdemonstration gegen geplante Kernkraftwerke gab es in Frankreich. Es waren die Bauplatzbesetzung am 12. April 1971 in Fessenheim und kurz darauf die Massendemonstration am Reaktorbauplatz von Bugey an der Rhone (siehe  Seite 300 ebenda). Aber nur in Deutschland hat sich die Auseinandersetzung über Jahrzehnte hingezogen.

Es gibt in diesem Bereich nichts Sicheres

Es gibt kein sicheres Endlager, da die Technik nicht erprobt werden kann.

2:39 – Wenn man über Endlagertechnik spricht, ist immer von drei Wirtsgesteinen die Rede: von Salz, Granit und Ton. Wer irgendwelche Präferenzen auswählen will, muss sich erst einmal klar machen, wir reden über unerprobte Technik. Es gibt in diesem Bereich nichts Sicheres. Was man halbwegs sicher sagen kann, ist, dass die Skandinavier sich wahrscheinlich nicht für Granit entschieden hätten, wenn sie das nicht müssten. Einfach darum, weil solche Steine sind zerklüftet. Man hat dadrin Wasser und das heißt, dass zu der natürlichen Barriere noch eine künstliche Barriere aus Metall geschaffen werden muss.

Zum skandinavischen Granit muss ergänzt werden, dass es in Skandinavien auch deshalb nur Granit als potenzielles Endlagermedium gibt, da alles Andere den Eiszeiten zum Opfer gefallen ist oder in Zukunft fallen würde.

Ton oder Salz?

Im weiteren Verlauf des Statements werden die Alternativen Ton und Salz gegenübergestellt.

3:11 – Ansonsten gibt es viele unterschiedliche Arten von Salz und es gibt Ton an ganz unterschiedlichen Orten. Man kann natürlich sagen, das Salz wasserempfindlich. Das ist der Nachteil des Salzes. Der größte Nachteil, der offensichtlichste Nachteil von Ton – aus meiner Sicht – ist, dass er sehr wärmeempfindlich ist. Das heißt, wenn man Atommüll in Ton lagern will, muss man ihn vorher viele viele Jahrzehnte länger zwischenlagern, als man das bei Salz müsste. Ansonsten spielt in der Diskussion um Salz und um Ton in Norddeutschland spielt immer die Möglichkeiten von Eiszeiten eine Rolle. Es geht um die Frage, welche Furchen Eiszeiten ins Gelände reißen könnten? Wie tief solche Furchen gehen könnten? Da muss man sagen, dass Ton dem wahrscheinlich sehr viel weniger Widerstand entgegensetzen könnte als Salz, eben weil er viel weicher ist. Das betrifft aber nicht die süddeutschen Tonvorkommen.

Aber müssen Ton und Salz Alternativen sein? Die BGR hat schon 1995 in ihrer Salzstudie den Ansatz gemacht, einen Standort zu finden, der Salz mit einer Tonüberdeckung aufweist. Damit könnten die Nachteile von Ton und Salz aufgefangen werden. Ein solcher Standort ist nach bisherigen Erkenntnissen zum Beispiel Waddekath. Gorleben ist nicht solch ein Standort, da dort die Tonschicht Lücken aufweist.

Bei einer Salz/Ton-Kombination bleibt noch die mangelnde Robustheit gegenüber Eiszeitüberfahrungen. Ideal wäre da eine Granitabdeckung. Einen Standort mit Salz, darüber Ton und darüber – als quasi eiszeitresistente Grabplatte – Granit gibt es wohl in der Bundesrepublik nicht (?).

Die eiszeitlichen Rinnen (siehe hier, Seite 45) entstanden aber nicht bei der Überfahrung mit Eiszeit, sondern stellen Schmelzwasserrinnen beim Zurückweichen des Eises dar. Deshalb ist auch eher Salz aufgrund der Wasserlöslichkeit gefährdet als Ton (siehe auch Goldsworthy, M., J. Bruns, et al.(2004). Sicherheitstechnische Einzelfragen – Modellrechnungen). Ton ist in tieferen Schichten eher Tonstein und nicht so weich wie der Ton im oberflächennahen Grundwasserbereich.

Aber wenn der Atommüll nicht nach Gorleben kommt,…

Die Finanzierungsfrage der Endlagersuche wird treffend angesprochen.

4:14 – Aber wenn der Atommüll nicht nach Gorleben kommt, wird man der Industrie erst einmal beweisen müssen, dass Gorleben von vornherein nicht gut genug war. Und zwar nicht nur politisch nicht gut genug, sondern technisch nicht gut genug. Um das gerichtsfest zu machen, wird nicht leicht sein.

So schwierig ist das jedoch nicht. Bei einem solchen Problem mit Ungewissheiten kann kein singulärer Standort als geeignet bezeichnet werden. Wissenschaftlich notwendig ist  eine komparative Methode. Es müssen unterschiedliche Standorte verglichen werden. Einen sicheren Standort kann man nicht finden, das verbietet die Wissenschaftstheorie. Wohl kann man aber den bestmöglichen aus einer gewählten Grundgesamtheit finden. Und wenn Gorleben mit betrachtet werden soll, müssen auch alle anderen mindestens 170 Standorte in der Bundesrepublik einbezogen werden, die die Gorleben-Auswahlkriterien von 1977 erfüllen. Doch dieses Faktum gilt es klar und deutlich ins Gesetz zu schreiben, sonst ist die SteuerzahlerIn die Dumme.

Atommüllendlager letztlich ein unlösbares Problem?

Das auf den ersten Blick pessimistische Resümee von Frank Drieschner ist:

4:33 – Ich halte es für absolut möglich, dass die Suche nach einem Atommüllendlager letztlich ein unlösbares Problem sein wird.

Sicherlich gibt es kein sicheres Endlager. Es kann zu keinem Standort einen Langzeitsicherheitsnachweis geben, aber es kann sehr wohl zu unterschiedlichen Standorten Langzeitrisikoanalysen geben. Es ist dann eine politische – keine parteipolitische – Entscheidung, welcher Standort gewählt wird.

Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft aufzeigen

Leider wartet man immer noch auf eine Darstellung der wissenschaftlichen Realität durch die zuständige wissenschaftlich-technische Oberbehörde – das Bundesamt für Strahlenschutz. Im Leitbild dieser Behörde steht schließlich der richtige Vorsatz:

Wir kommen unserer gesellschaftspolitischen Verantwortung dadurch nach, dass wir…..

–  Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft aufzeigen

Doch auf die Klarstellung der Grenzen der Wissenschaft in der Endlagerfrage wartet man noch immer.

3 Gedanken zu „„Aber wenn der Atommüll nicht nach Gorleben kommt,….“

  1. Zur Atomüllfrage in den Niederlanden hat Herman Damveld, selbständiger Forscher und Publizist, noch Folgendes mitgeteilt:

    Seit 1976 gibt es Pläne für die Endlagerung von Atommüll in unterirdischen Salzstöcke in den Niederlanden. Zu dieser Lagerung ist es noch nicht gekommen. Stärker, wegen des Widerstandes gegen die Lagerungspläne hat es sogar keinerlei Versuchsbohrungen gegeben. Jedoch erschienen allerlei Rapporte unterschiedlichen Kommissionen. Massgebend bis jetzt ist ein Bericht der Commissie Opberging Radioactief Afval (CORA) vom Februar 2001.

    Oberirdische Lagerung ist “vom Gesichtspunkt der Zurückholbarkeit der Abfälle eine nahezu ideale Lösung. Der Abfall ist leicht zu erreichen, gut zu kontrollieren, und wenn nötig können Abfallbehälter schnell und einfach fortgeschaft werden”, schreibt die CORA. Die Endlagerung muß “fail-safe sein, das heißt, sollte die menschliche Kontrolle über eine Lagerung versagen, dann muß die Endlagerung unter dem Einfluß von natürlichen Prozessen in eine passiv-sichere Lage kommen.(…) In diesem Zusammenhang kann die Zurückholbarkeit gesehen werden als Aufschub einer passiv-sicheren Lage”.
    Der Zeitraum von oberirdischer Lagerung “muß lange genug sein, um mittels weiterführender Untersuchung, einschließlich in-situ Versuche, den eventuellen Bau und die Einrichtung unterirdische Lagerungsräumen (…) vorbereiten zu können.” Laut der CORA-Bericht.

    1976 handelte es sich um fünf Salzstöcke Gasselte, Schoonloo, Anloo (Drenthe), Pieterburen und Onstwedde (Groningen). Die CORA fordert, daß nur tiefer liegende Salzstöcke in Betracht kommen. Auf Grund davon können wir folgern, daß die Liste jetzt die folgende Standorte umfaßt: Ternaard (Friesland), Winschoten (Groningen), Hooghalen, Anloo und Gasselte (Drenthe).
    Die CORA gibt an, daß unter einem großen Teil der Niederlande Tonschichten vorkommen, die geeignet sind zur Lagerung von Atommüll. Diese Tonschichten gibt es auch im Norden, aber sie haben da einen unregelmäßigen Aufbau und sind “weniger geeignet für Bergbauaktivitäten”. Die Ursache: Salzstöcke durchbrechen die Tonschichten. Der Ton ist am dicksten südlich von der Insel Schiermonnikoog (Friesland, 275 Meter), in der Umgebung von Arnheim (Gelderland, 250 Meter), im Nordostpolder (Flevopolders, 150 Meter) und im Peelbezirk (Noord-Brabant, 100-150 Meter).
    Über Ton ist nur wenig bekannt in den Niederlanden: “Das zur Verfügung stehende Material über die Eigenschaften von tiefliegenden Tonschichten ist äußerst beschränkt.” Deswegen sind mehr Daten über Ton in größerer Tiefe nötig. “Es ist wichtig, daß festgestellt werden kann, daß der Ton sich unter dem kombinierten Einfluß von Wärme, Strahlung und Gesteinsdruck so verhält wie es berechnet war. Wie auch für Salz, ist heutzutage noch unzureichend systematisch erforscht welche Größen dafür gemessen oder berechnet werden müssen”, schreibt die CORA.


    Bericht der Commissie Opberging Radioactief Afval (CORA) vom Februar 2001

    • Speisesalz – Natriumchlorid – ist hygroskopisch. Es nimmt an der Oberfläche Feuchtigkeit auf. Es wird dann klumpig. Es werden deshalb spezielle Stoffe zugesetzt, die das verhindern. So kann die Rieselfähigkeit erhalten werden. Die Hygroskopie von Speisesalz ist aber hauptsächlich bedingt durch Verunreinigungen mit Magnesiumchlorid.

      In Salzstöcken gibt es das stark hygroskopische Salz Carnallit, ein Kalium-Magnesiumchlorid. Dies zerfließt an der feuchten Luft. Carnallit – oder das entsprechende Mineral Carnallitit – ist ein Schwachpunkt in der Asse.

      Steinsalz in massiver Form, wie es in Salzstöcken und anderen Salzvorkommen vorliegt, wird an der Oberfläche von Wasser angegriffen und aufgelöst (Subrosion). Deshalb haben die Salzstöcke in der Regel auch eine glatte, waagrechte Oberfläche, die Salzspiegel genannt wird. Siehe hier Seite 52. Das Wasser dringt aber nicht in das Steinsalz ein, solange es kompakt bleibt.

      Schwachstellen sind Kalisalzschichten. Diese lösen sich sehr viel besser in Wasser und es kommt zur sogenannten selektiven Subrosion. Weitere Schwachstellen können sich bilden, wenn das Steinsalz abgebaut wird und nicht auf die Tragfähigkeit des Grubengebäudes geachtet wird. Dann können sich Risse im Steinsalz bilden, die bis zum Salzspiegel reichen. In diese kann Wasser eindringen, das weiteres Salz auflösen kann und den Zufluss weiter verstärkt. Das sind die Szenarien in Morsleben und in der Asse, die ja alte Kali- und Steinsalzbergwerke sind.

      Eine Endlagerkonstruktion in Steinsalz muss dies berücksichtigen: Es muss ein großer Abstand zum Salzspiegel eingehalten werden. Es dürfen nur relativ kleine Räume ausgehöhlt werden und diese müssen möglichst zügig wieder verfüllt werden.

      Am besten wäre auch noch eine Deckschicht aus Ton über dem Salz, so dass kein Wasser an das Steinsalz kommt. Auch deshalb hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in ihrer Salzstudie 1995 Standorte herausgesucht, wo nach der bisherigen Datenlage dies der Fall ist. Leider war Gorleben da schon ausgesucht. Dort ist keine intakte Tonschicht vorhanden.

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