Standortauswahlgesetz tritt Wissenschaft mit Füßen

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Der erste Tritt auf die Füße

Das Standortauswahlgesetz beginnt mit folgendem Satz:

§ 1 Ziel des Gesetzes
(1) Ziel des Standortauswahlverfahrens ist, in einem wissenschaftsbasierten und transparenten Verfahren für die im Inland verursachten, insbesondere hoch radioaktiven Abfälle den Standort für eine Anlage zur Endlagerung nach § 9a Absatz 3 Satz 1 des Atomgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland zu finden, der die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet.

Die aufmerksame LeserIn mit wissenschaftlichem Hintergrund muss sich fragen, warum schon hier die Sicherheit auf den Zeitraum von einer Million Jahre beschränkt werden soll?

Notwendiger Isolationszeitraum

Bei wissenschaftlichem Vorgehen ist im ersten Schritt zu fragen, über welchen Zeitraum die hoch radioaktiven Abfälle zu Gefährdungen führen können. Zur Beantwortung dieser Fragestellung gibt es bereits Vorarbeiten aus dem Jahr 1985. Diese wurden bereits vom Rat von Sachverständigen für Umweltfragen im Umweltgutachten 2000 aufgegriffen (siehe Randnummer 1324). Wesentliche Eingangsgrößen sind die Zusammensetzung des Abfalls und die als akzeptabel anzusetzende zusätzliche Strahlenbelastung. Weiterhin spielt das anzuwendende Anthroposphärenmodell eine wesentliche Rolle. Wie wird die Ernährung des Menschen in Zukunft aussehen? Schon hier stellen sich Ungewissheiten ein.

Möglicher Prognosezeitraum

Erst nach Antwort auf die Frage des notwendigen Isolationszeitraums ist die Frage zu stellen, über welche Zeiträume mit wissenschaftlichen Methoden halbwegs zutreffende Prognosen über Endlagersysteme erstellt werden können. Hier wird die Geologie als der begrenzende Faktor angeführt, siehe AkEnd Seite 29:

Der AkEnd ist der Auffassung, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen praktisch vernünftige Prognosen über die geologische Standortentwicklung in günstigen Gebieten, wie sie auch in Deutschland existieren, über einen Zeitraum in der Größenordnung von einer Million Jahren erstellt werden können.

(Notwendiger Isolationszeitraum > Möglicher Prognosezeitraum) —–> Nichtwissen

In einem wissenschenschaftsbasierten Verfahren sind diese beiden Größen – notwendiger Isolationszeitraum und möglicher Prognosezeitraum – miteinander zu vergleichen. Sollte der notwendige Isolationszeitraum größer sein als der mögliche Prognosezeitraum, ist dies bei der weiteren Vorgehensweise als Ungewissheit mit zu berücksichtigen. Es gilt dann, das Nichtwissen mit Methodiken, wie sie auch in anderen Bereichen entwickelt wurden, in den Griff zu bekommen.

Ein erster vielversprechender Ansatz

Ein entsprechender Ansatz ist bereits laut Badischer Zeitung auf der Jahrestagung des Berufsverbandes Deutscher Geowissenschaftler e. V. vorgetragen worden:

Als Beispiel steht der Vortrag von Volkmar Bräuer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften, der über die politischen Vorgaben und die geologischen Anforderungen bei der Suche nach einem Endlager für radioaktiven Müll darlegte. Bräuer geht dabei von einer Lagerzeit von einer Million Jahre aus – und erklärt zugleich, dass dies ein Kompromiss ist. Der hängt zum einen mit der Zerfallszeit der zu lagernden radioaktiven Stoffe zusammen – die kann durchaus länger sein als eine Million Jahre. Zum anderen seien eine Million Jahre der Zeitraum, für den die Geologie eine Prognose erstellen kann. “Nicht zu 100 Prozent verlässlich”, schränkte Bräuer ein, “es gibt Ereignisse, die nicht vorhersehbar sind.”

Der zweite Tritt auf die Füße

Im vorletzten Paragrafen erfolgt der zweite Fußtritt Richtung Wissenschaft:

§ 29 Bestehender Erkundungsstandort
(1) Der Salzstock Gorleben wird wie jeder andere in Betracht kommende Standort gemäß den nach dem Standortauswahlgesetz festgelegten Kriterien und Anforderungen in das Standortauswahlverfahren einbezogen.

Dazu ist in diesem Blog schon vieles gesagt worden, siehe Problematik Grundgesamtheit. Es wird im Gesetz ein einzelner Standort explizit genannt und mit den anderen in Betracht kommenden Standorten gleichgesetzt, ohne etwas über diese anderen Standorte auszusagen. Damit wird der logische Ausgangspunkt einer komparativen Suche – die zugrunde zu legende Grundgesamtheit – einseitig durch den Standort Gorleben belastet. Wie will man hier zu einem aus wissenschaftlicher Sicht sauberen Ausgangspunkt kommen?

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Trotz dieser Tritte auf die Füße der Wissenschaften ein wissenschaftsbasiertes Verfahren zu entwickeln, wird schwierig sein. Man kann gespannt sein, wie die Vertreterinnen oder Vertretern aus der Wissenschaft, gewählt auf der Grundlage eines gleichlautenden Wahlvorschlages von Bundestag und Bundesrat, dieses in die Kommission einbringen werden. Werden sie sich entsprechend den Abhängigkeiten von ihren jetzigen und/oder zukünftigen Geldgebern verhalten? Oder werden sie der Verantwortung als WissenschaftlerInnen nachkommen und die im Gesetz formulierten Fußtritte rügen? Oder lehnen sie die Wahl womöglich ab, da unter den Rahmenbedingungen des Gesetzes ein wissenschaftsbasiertes Verfahren nicht entwickelbar sein wird?

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