Die Politik vorne weg
In der Sitzung der Endlagerkommission am 13.05.2016 wurde das Problem Gorleben diskutiert, siehe auch Intensive Debatte über Gorleben. Bezeichnend war für die Kommission – und für Gorleben – , dass die ersten fünf Redebeiträge von Parteipolitikern kamen, der sechste kam von einem Verbandspolitiker. Erst ab dem neunten Beitrag mischte die Wissenschaft mit.
„Vor allem die Politiker wollen die Entscheidung gerne in ihrer Hand behalten“
Und was immer noch nicht erkannt wurde: Bei der Endlagerfrage mischt die Politik immer noch zu fleißig mit, obwohl es um ein wissenschaftsbasiertes Standortauswahlverfahren gehen soll. Sicherlich wird die Politik dabei eine Rolle spielen, aber nicht die Erste. Da greift gut das Urteil eines Juristen zum inzwischen selbst vom Umweltverband BUND und der Umweltstiftung nicht hinterfragte Legalplanverfahren (siehe Interview mit RA Wollenteit in .ausgestrahlt Magazin, S. 9f.):
Vor allem die Politiker wollen die Entscheidung gerne in ihrer Hand behalten. Und sie wünschen keine Klagerechte. Das haben mir Bundestagsabgeordnete aus der Kommission und andere Kommissionsmitglieder sehr deutlich so gesagt.
Keine klare Rollentrennung zwischen Politik und Wissenschaft
Das Debakel bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland ist wohl darauf zurückzuführen, dass Wissenschaft und Politik nicht klar ihre Rollen eingehalten haben. Es gab immer wieder Übergriffe der Politik auf den Vorhabenträger bzw. die geowissenschaftliche Bundesoberbehörde, die hierarchisch in den Geschäftsbereich des Bundesumweltministeriums bzw. des Bundeswirtschaftsministeriums eingebunden sind. Wer da fachlich etwas äußerte, was der Politik nicht passte, konnte seinen beruflichen Werdegang vergessen. Mutige gab es bisher wenige. Und außerhalb dieser Institutionen hat sich keine eigenständige und pluralistische Scientific Community nennenswerter Größe gebildet, da die staatlichen Forschungsmittel gezielt eingesetzt wurden.
Das wissenschaftstheoretische Abgrenzungsproblem nicht beachtet
Dieses ist bekannt als wissenschaftstheoretisches Abgrenzungsproblem (Schurz, G.(2006). Einführung in die Wissenschaftstheorie, S. 12):
(a) Das wissenschaftstheoretische Abgrenzungsproblem ist von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Es besteht in der Frage, welche Teile unseres Ideengutes den Status objektiv-wissenschaftlicher Erkenntnis beanspruchen dürfen, im Gegensatz zu subjektiven Werthaltungen, parteilichen Ideologien oder religiösen Überzeugungen…..
(b) Ebenso bedeutend ist die Funktion von wissenschaftstheoretischer Aufklärung, um der Gefahr des ideologischen Missbrauchs von Wissenschaft und ihren Resultaten entgegenzuwirken. Politiker, Medien und Wirtschaftsvertreter berufen sich gerne auf Expertenwissen, welches dabei leider nicht selten für vorgefasste Zwecke einseitig oder verfälscht dargestellt wird.
Bei der Arbeit der Kommission wurde auf die Rolleneinhaltung auch nicht geachtet. So haben Herr Kanitz, Betriebswirt, und Herr Fischer, Maschinenbauer, Papiere zur Subrosion an Salzstöcken eingebracht, ohne die wirklichen Autoren oder die Quellen zu benennen.
Am Anfang: KEWA macht 1974 komparative Auswahl
Und eigentlich fing die Suche nach dem Standort eines nuklearen Entsorgungszentrums gut an. Die KEWA legte im Jahr 1974 eine vergleichende Standortbeurteilung vor. Diese wurde schließlich von der Politik kassiert und Gorleben allein untersucht. Wenn durch das StandAG ein vergleichendes Standortauswahlverfahren – jetzt für ein Endlager – durchgeführt werden soll, dann wird nach gut vierzig Jahren politischer Irrwege wissenschaftsmethodisch das einzig richtige Verfahren der KEWA wieder aufgegriffen.
Komparative Methode wird immer noch nicht wissenschaftlich begründet
Es geht hierbei nicht um die Frage sicher oder nicht sicher, sondern um besser und schlechter. Dies hat wenigstens Frau Kotting-Uhl begriffen. Trotzdem wird die Entscheidung zu dieser komparativen Auswahlmethode politisch begründet. Dabei ist sie wissenschaftsmethodisch und hier speziell durch den Strahlenschutzgrundsatz der Optimierung zu begründen.
Komparative Methoden bei komplexen und schwer normierbaren Situationen
Komparative Methoden werden in den Wissenschaften bei komplexen und schwer normierbaren Situationen immer wieder erfolgreich angewendet. Ein Beispiel aus den Kommunikationswissenschaften ist die komparative Definition der Öffentlichkeitsarbeit nach Fröhlich (Die Problematik der PR-Definition(en), in: Handbuch der Public Relations (2008), S. 95-109).
Geringer wissenschaftlicher Weitblick
Wie gering der wissenschaftliche Weitblick in der Kommission und selbst in der AG 3 ist, zeigt sich in der Tatsache, dass die Steilvorlage der BGR mit der Salzstudie 1995 im Sinne des Strahlenschutzes nicht umgesetzt wird. Wenn die BGR herleitet, dass es Salzvorkommen gibt, über denen Kreidetone liegen, liegt es nahe, dass Standorte in Deutschland gefunden werden können, die diversitäre geologische Barrieren aufweisen, die auch durch die nächsten Eiszeiten nicht abgeräumt werden können. Das sollte eigentlich die allgemeine Diskussion zu Redundanz und Diversität eröffnen. Aufgegriffen wurde dies aber nur als Deckgebirgsdiskussion zum Schutz von Salzformationen.
Datenlage und Gorleben
Die geringe Eindringtiefe zeigt auch die Diskussion zum Umgang mit Gebieten mit nicht ausreichender geowissenschaftlicher Datenlage. Obwohl – im Gegensatz zum AkEnd – die Endlagerkommission ein Auswahlverfahren unter Einbeziehung von Gorleben bearbeiten soll, taucht die Problematik Gorleben bei der Frage der Datenlage nicht auf.
Gorleben schon ober- und untertägig erkundet
Mit Gorleben hat man es mit einem Standort zu tun, der bereits ausgiebig im Hinblick auf Endlagerung ober- und untertägig erkundet wurde. Er kann deshalb nicht das Privileg genießen, wegen fehlender Daten zurückgestellt zu werden und schließlich auszuscheiden.
Gorleben-Datenlage von vor 1979
Muss hier nicht die Datenlage verwendet werden, wie sie vor 1979 – vor Beginn der obertägigen Erkundung – existierte? Interessante Hinweise dazu enthalten das Referat von Jaritz und das Koreferat von Appel zum Thema Kenntnisse vor der Auswahl des Salzstockes Gorleben bei der BMFT-Informationsveranstaltung im Mai 1981 in Lüchow.
Aus Gorleben kann man noch viel lernen
Und dabei taucht schon die nächste Frage auf. 1981 gab es diese Informationsveranstaltung, wo fast allen Referate Koreferate gegenübergestellt wurden. Es gab also durchaus interessante Ansatzpunkte bei der Gorleben-Kommunikation, die weder bei Konrad noch bei Morsleben verfolgt wurden und werden. Weshalb ist dieser positive Ansatz gescheitert? Welche Kommunikationsstrukturen müssen geschaffen werden, damit so etwas nicht verloren geht? Aus Gorleben kann man also noch viel lernen.