Die BGE und das Neuland
Im Tagesspiegel erschien am 30.10.2018 ein Artikel mit dem Titel Welche Probleme die Endlager-Suche bereitet. Darin stellt Frau Dehmer, Leiterin der Unternehmenskommunikation der BGE, fest:
Wir stellen bei jedem Schritt fest, dass wir Neuland betreten. Wir haben schlicht keine Erfahrungswerte mit dem neuen Verfahren.
Das ist reichlich übertrieben.
Frühere Standortsuchen
Nach günstigen geologischen Gesamtsituationen für Endlager radioaktiver Abfälle wurde schon mehrfach in Deutschland gesucht, eine Auswahl:
- Best, G., O. Bornemann, et al.(1982). Bewertung von Salzformationen außerhalb Niedersachsens für die Errichtung von Endlagern.
- Jaritz, W.(1983). Eignung von Salzstöcken in Niedersachsen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle.
- Bräuer, V., M. Reh, et al.(1994). Endlagerung stark wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen Deutschlands – Untersuchung und Bewertung von Regionen in nichtsalinaren Formationen, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.
- Kockel, F., P. Krull, et al.(1995). Endlagerung stark wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen Deutschlands – Untersuchung und Bewertung von Salzformationen, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.
- Hoth, P., H. Wirth, et al.(2007). Endlagerung radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen Deutschlands Untersuchung – Bewertung von Tongesteinsformationen.
Hierin wurden Kriterien angewendet, die sich von denen im StandAG festgelegten unterscheiden, meist jedoch nicht gravierend. Insbesondere bei den Kristallingesteinen wurden bisher lediglich nahe der Oberfläche anstehende Vorkommen betrachtet.
Enorme Datenmengen
Weiterhin wird im Zeitungsartikel betont, dass die erforderlichen Datenmengen enorm seien. Dies ist in der gegenwärtigen Phase der Suche und Auswahl eines Endlagerstandorts dadurch bedingt, dass bei der Formulierung des StandAG von Juristen eine streng serielle Berücksichtigung der Ausschlusskriterien und der Mindestanforderungen festgelegt wurde, die wissenschaftlich keinerlei Hintergrund hat. So werden zum Beispiel in alten Bergwerksunterlagen recherchiert, ohne dass es Anzeichen für das Vorliegen von Kristallin-, Salz- oder Tonformationen an diesen Standorten gibt. Ähnlich verhält es sich bei Störungszonen, die auch noch später im Verfahren berücksichtigt werden können.
Verfügbarkeit der Daten
64 Ämter und Behörden sind involviert. In einigen von ihnen liegen die notwendigen Datensätze nicht digital vor, in anderen war man überfordert.
Dies ist nicht erstaunlich. Der Endlagerkommission wurde über die Verfügbarkeit der Daten von den Landesgeologischen Ämter eine ausführliche Aufstellung übergeben, veröffentlicht als K-MAT 53a.
Eigentumsrechte an Bohrdaten, insbesondere an Schichtverzeichnissen
Je nach Bundesland ergaben sich auch rechtliche Schwierigkeiten. Ein Beispiel ist Rheinland-Pfalz: Die Behörden des Landes lieferten angefragte Daten vorsätzlich mit teilweise falschen Geo-Koordinaten, da Rechtsstreitigkeiten mit Explorationsfirmen befürchtet wurden, die die Daten einst erstellten.
Auch dies ist seit Jahren bekannt. So wurde auf der Grundlage der AkEnd-Kriterien im Jahr 2006 eine Studie abgeschlossen, in der die Datengrundlagen recherchiert wurden (Golder Associates GmbH.(2006). Entwicklung zuverlässiger Datengrundlagen und Auswertmethoden für die Endlagerstandortsuche). Darin ist auf Seite 9 zu lesen:
Um über frei zugängliche Informationen hinausgehende Daten aus Kohlenwasserstoffbohrungen und geophysikalischen Untersuchungen (Geophonversenkung bzw. VSP (vertical seismic profiling) sowie z.B. 20.300 2D-seismische Profile bzw. 93 3D-Seismikkampagnen) zu erhalten, wurden folgende Bohreigentümer bezüglich einer Genehmigung zur Dateneinsicht kontaktiert:
-Gaz de France
-Wintershall AG
-Erdgas Erdöl GmbH
-ExxonMobil
-RWE Dea AGEine Sichtungsgenehmigung wurde nur von der Erdgas Erdöl GmbH erteilt. Seitens RWE Dea erfolgte auf ein Anschreiben vom 30.05.2005 bislang keine Reaktion. Gaz de France, Wintershall und ExxonMobil waren nicht bereit, Einsichtgenehmigungen zu erteilen. Es wurde von den Unternehmen darauf hingewiesen, daß nach interner Prüfung der Eigentums- und Beteiligungsrechte notwendige Zustimmungen Dritter nicht vorlägen.
Die Bohrunternehmen Celler Brunnenbau, ITAG, Etschl & Meier teilten mit, daß Bohrungen ausschließlich im Kundenauftrag ausgeführt und geologische Daten, sofern überhaupt vorhanden, nicht ohne Zustimmung der Auftraggeber eingesehen werden dürften. Eine Einsichtsgenehmigung in die Bohrunterlagen wurde seitens einer der angefragten Firmen erteilt; die Nutzung jeglicher Informationen – wie die Weitergabe oder Publikation von Bohrdaten – ist jedoch nur im Einvernehmen mit dem Auftraggeber möglich.
Als Fazit bleibt festzuhalten, daß die Zugriffsmöglichkeiten auf Datenbanken der öffentlichen Institutionen im Regelfall unproblematisch war; Nutzungseinschränkungen leiteten sich allerdings aus den Eigentumsrechten und Beteiligungen Dritter, z. B. an Bohrungen, ab. Demgegenüber konnten privatwirtschaftlich erstellte Datenbanken und Archive nur in Ausnahmefällen genutzt werden, im Regelfall wurden Anfragen hinsichtlich einer Dateneinsichtnahme abschlägig beschieden.
Enteignung mit Entschädigung oder anderes Verfahren
Es war abzusehen, dass allein die Formulierung im StandAG daran nichts ändern würde, insbesondere weil wegen des Transparenzgrundsatzes die Daten öffentlich zugänglich sein sollen. Schließlich hat sich in Deutschland eine besondere Würde des Eigentums herausgebildet. Auch ein Geologiedatengesetz wird daran nichts ändern, wenn nicht explizit Enteignungsregelungen mit Entschädigung festgelegt werden. Das letzte Wort wird dann wohl das Bundesverfassungsgericht haben, und das kann dauern. Hier wird man wohl ein anderes Verfahren anstreben müssen, damit die Suche zeitlich sich im Rahmen hält.
Das Ziel bis 2031
Die Endlagerstandortsuche und -auswahl bis 2031 wird in dem Tagesspiegel-Artikel infrage gestellt. Eine Möglichkeit, einen breiten Konsens herzustellen, wurde im Jahr 2012 von der Administration leider nicht aufgegriffen. In einem Artikel vom 19.10.2018 äußert sich Herr Habeck im Tagesspiegel zur Zeitdimension der Endlagersuche:
Bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Stoffe mahnt er dennoch zur Eile. „Das ist ein Prozess, der die Gesellschaft und Politik enorm fordern wird“, sagt Habeck. Je konkreter die Suche nach einem Endlager wird, desto härter würden die Diskussionen. „Ich appelliere an alle Bundesländer, dem Suchprozess im gesamten Bundesgebiet keine Steine in den Weg zu legen.“ Er sagt weiter: „Wir können nicht mehr auf Zeit spielen. Es ist die Aufgabe unserer politischen Generation, die Verantwortung tatsächlich zu übernehmen und ein Endlager zu finden, das so sicher wie irgend möglich ist. Der Atommüll löst sich nicht in Luft auf.“
Zurzeit läuft aber genau das Gegenteil ab.
Die aktuelle Situation
Das BfE entlässt den Standort Biblis aus der Endlagersuche – siehe hier. Andererseits graben Initiativen obengenannten Studien zu früheren Endlagersuchen aus. Die Reaktionen der KommunalpolitikerInnen erinnern an die Entwicklungen vor der Proklamation des Standorts Gorleben im Jahr 1977. Eine Auswahl:
- Lathen und Sögel lehnen Atommüll-Endlager ab
- Herzlake lehnt Atommüll-Endlager ab
- Krone: Region kommt für ein Endlager nicht in Frage
- Resolution niederbayerischer Landräte – Kein Atommüllendlager im Bayerischen Wald
Regionale Betroffenheit aufgreifen
Hier äußert sich kommunale Betroffenheit. Im Konzept zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Startphase des BfE findet man auf Seite 8:
Sobald nach der Ermittlung der Teilgebiete bzw. der Festlegung von Standortregionen konkrete regionale Betroffenheit entsteht, wird das BfE die entstandenen regionalen Anspruchsgruppen parallel mit eigenen Formaten adressieren.
Es wäre angebracht, nicht auf die Ermittlung von Teilgebieten und Standortregionen nach StandAG zu warten, sondern die aktuell sich zeigende Betroffenheit aufzugreifen und dazu Aktivitäten zu entwickeln. Hier sollte das BfE Aufklärungsarbeit leisten, und nicht die Initiativen – wie durch den Artikel Der Stand der Endlagersuche – diffamieren. Hiermit ergäbe sich vielleicht eine Möglichkeit, von dem seit 2011 laufenden Top-Down-Verfahren zu einem Bottom-Up-Prozess zu kommen.
Wie vor 42 Jahren – Solidarität muss erst erlernt werden
Die ablehnende Haltung gegenüber der Endlagerung radioaktiver Abfälle in Lathen, Sögel, Herzlake, Krone, im Bayerischen Wald und in ganz Bayern (siehe Koalitionsvereinbarung, S. 31) erinnert an die Ereignisse im Jahr 1976 (Tiggemann, A. (2010). „Gorleben – Entsorgungsstandort auf der Grundlage eines sachgerechten Auswahlverfahrens.“ in: atw – Internationale Zeitschrift für Kernenergie 55(10)):
Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass das seit 2011 laufende Verfahren zur Standortauswahl aufgrund des Top-Down-Vorgehens zu keinem solidarischen Handeln geführt hat. Solidarität muss mühsam erlernt werden, dafür eher geeignet ist eine Bottom-Up-Struktur. Dies wurde vom AkEnd vorgeschlagen, von der Endlagerkommission aber nicht aufgegriffen.
Oder wie vor 24 Jahren
Vor 24 Jahren sickerten Informationen aus einer RSK-Sitzung zur Erstellung der Salzstudie in die Öffentlichkeit. Daraufhin gab es ein bundesweites Echo, siehe BMU-Presseschau vom 19.05.1994.
Es bleibt zu befürchten, dass sich Ähnliches bei der Veröffentlichung des Zwischenberichts Teilgebiete nach § 13 StandAG abspielen wird. Um dieses abzumildern, braucht es wesentlich mehr Anstrengungen als bisher von BfE und BGE in die Wege geleitet. Es fehlt die breite gesellschaftliche Diskussion, die schon die Endlagerkommission scheute.