Sicherheitsgurt, Airbag und Knautschzone

Kraftfahrzeugtechnik – Sicherheitsgurt und Airbag

Um bei Verkehrsunfällen mit Pkw-Beteiligung die Personenschäden zu reduzieren, wurde schon 1974 vorgeschrieben, jeden Neuwagen mit Sicherheitsgurten auszustatten. Das Sicherheitssystem wurde aber recht schnell erweitert. Schon 1981 wurde bei einigen Mercedes-Modellen ein Airbag eingebaut. Damit hatte man ein zweites System zum Personenschutz, das auf ganz andere Weise wirkt. Damit wurde das in Sicherheitsphilosophien grundlegende Prinzip der Diversität umgesetzt.

Knautschzone zur Erweiterung der Diversität

Doch das reichte im Automobilbau noch nicht aus. Entwickelt und umgesetzt wurde das Prinzip der Knautschzonen schon parallel zu den Sicherheitselementen Gurt und Airbag. Durch die Knautschzonen wird die Aufprallenergie teilweise in Verformarbeit umgewandelt, wobei die Verformung in Teilen geschieht, die nicht zur Fahrgastzelle gehören. Bei einem Pkw in der heutigen Ausstattung hat man also drei unabhängig wirkende Elemente, um Personenschäden nach Möglichkeit zu vermeiden oder die Schwere der Verletzungen zu reduzieren.

Redundanz und Diversität bei kerntechnischen Anlagen

Zu vielen risikoreichen Anlagen gibt es Sicherheitsphilosophien mit den Grundprinzipien Redundanz (mehrfach vorhandene gleichartige Schutzsysteme) und Diversität (unterschiedliche Schutzsysteme zur Beherrschung gleicher oder ähnlicher Störungen). Bei einem Kernkraftwerk gibt es zur Notkühlung nicht nur ein Notstromaggregat, sondern mehrere voneinander unabhängige (Redundanz). Ein Reaktor kann nicht nur durch Einfahren der Steuerstäbe, sondern auch durch Einspeisung von Borsäure abgeschaltet werden (Diversität).

Bei Endlagerung lediglich Modell des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs

Anders bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle: Hier hat sich das Modell des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs etabliert. Dieser Bereich soll möglichst klein gewählt werden und ein einschlusswirksamer Gebirgsbereich oder eine wesentliche Barriere reicht aus. Die Sicherheitsprinzipien Redundanz und Diversität bleiben außen vor.

Redundanz und Diversität in den Sicherheitsanforderungen

In den Sicherheitsanforderungen 2010 ist noch formuliert:

8.7 Das Einschlussvermögen des Endlagers muss auf verschiedenen Barrieren mit unterschiedlichen Sicherheitsfunktionen beruhen. Mit Blick auf die Zuverlässigkeit des Einschlusses ist das Zusammenspiel dieser Barrieren in ihrer Redundanz und Diversität zu optimieren. Dabei sind das Gefährdungspotenzial der Abfälle und die unterschiedliche Wirkung der Barrieren in den verschiedenen Zeitbereichen zu berücksichtigen. Die Sicherheit des Endlagers nach seiner Stilllegung ist demnach durch ein robustes, gestaffeltes Barrierensystem sicherzustellen, das seine Funktionen passiv und wartungsfrei erfüllt und das seine Funktionstüchtigkeit selbst für den Fall in ausreichendem Maße beibehält, falls einzelne Barrieren nicht ihre volle Wirkung entfalten.

Die konkreten Begriffe aus üblichen technischen Sicherheitsphilosophien Diversität und Redundanz werden in § 5 Abs. 1 der Sicherheitsanforderungen (Regierungsentwurf 2020) durch den schwammigen Begriff Robustheit ersetzt.

Redundanz und Diversität bei der Standortsuche

Bei der Suche nach dem bestmöglichen Standort sollten Redundanz und Diversität nicht von vornherein gefordert werden zum Beispiel durch entsprechende Mindestanforderungen, da damit der Suchraum im entscheidungswissenschaftlichen Sinne unter Umständen zu stark eingeschränkt wird. Jedoch sollten sich aufgefundene geologische Diversitäten und Redundanzen positiv auf das Bewertungsergebnis auswirken. Redundanz findet sich in dem Bewertungsschema durchaus wieder. So wird in § 23 Abs.5 Nr. 3 StandAG eine 300 m dicke Salzschicht über einen einschlusswirksamen Gebirgsbereich im Salzstock gefordert. Mehrere einschlusswirksame geologische Barrieren werden nicht von vornherein positiv bewertet.

Auch das Deckgebirge bringt keine Diversität

Auch die Berücksichtigung eines Deckgebirges zum Schutz des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs in Anhang 11 zu § 24 Abs. 5 StandAG bewertet nicht die Diversität an einem Standort. Erst bei der Beschreibung des als hypothetisch eingestuften Versagens des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs (What-if-Betrachtung) in den vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen nach § 7 Abs. 2 könnte die Diversität eine untergeordnete Rolle spielen.

Praktisches Beispiel Gorleben

Nimmt man das praktische Beispiel Gorleben, so ist durch die Salzschicht über dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich eine gewisse Redundanz gegeben. Diversität ist aber in keinerlei Hinsicht zu entdecken.
Übertragen auf die Kraftfahrzeugtechnik hat der Pkw Gorleben dann zwar einen zweiten Sicherheitsgurt. Airbag und Knautschzone entfallen jedoch. In dieses Fahrzeug sollte man nicht einsteigen.

6 Gedanken zu „Sicherheitsgurt, Airbag und Knautschzone

  1. Wenn die Angaben in http://acamedia.info/sciences/J_G/strahlenschaeden_in_nacl.htm noch aktuell sind, dann weiß man wahrscheinlich nicht einmal „welchen Kräften der Sicherheitsgurt überhaupt standhält“ – um in dem Bild „Sicherheitsgurt, Airbag und Knautschzone“ zu bleiben. Indem man Diversität und Redundanz reklamiert, gesteht man implizit ein, dass man keine Ahnung davon hat, wie gut die primäre Sicherheitsstufe wirklich langfristig funktioniert. Von daher wäre es kein Wunder, dass Diversität und Redundanz unter den Tisch fallen. Es gab schon immer ein „Sicherheits-Kommunikations-Paradoxon“: Rüstet man Nuklearanlagen sicherheitstechnisch nach, dokumentiert man gleichzeitig die (relative) Unsicherheit des Status-quo.

  2. Interessanter Beitrag. Danke!

    Um mal die Diskussion anzuschieben: Der EWG ist ja eigentlich selber keine Barriere, sondern der Bereich in dem die Barrieren wirken sollen. Unterschiedliche Barrieren müssen dann innerhalb dieses Bereiches wirken. Ein EWG ist also nicht automatisch im Widerspruch zum Ansatz der multiplen Barrieren.

    Die NEA beispielsweise sagt: „Repositories for the disposal of radioactive waste generally rely on a multi-barrier system to isolate the waste from the biosphere. This multi-barrier system typically comprises the natural geological barrier provided by the repository host rock and its surroundings and an engineered barrier system (EBS).“

    https://www.oecd-nea.org/rwm/reports/2003/nea3615-ebs.pdf

    Ähnliches findet sich bei der ESK: “Bei Endlagersystemen, die wesentlich auf einer geologischen Barriere beruhen (also bei Endlagern in Steinsalz und Tongestein), wird ein ewG als der Teil des Gebirges definiert, der (zusammen mit den technischen und geotechnischen Barrieren/Verschlüssen) den sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle in einem Endlager gewährleistet (§ 2 Abs. 9 in [1]). Für alle Endlagersysteme, d. h. auch diejenigen, deren Einschlussvermögen wesentlich auf technischen und geotechnischen Barrieren beruht, wird ein Einlagerungsbereich definiert, zu dem auch der Bereich des Gebirges zählt, der die Funktionsfähigkeit und den Erhalt des Barrierensystems gewährleistet (§ 2 Abs. 10 in [1]).“

    http://www.entsorgungskommission.de/sites/default/files/reports/EP-Anlage_ESK74_Barrierensystem_hp.pdf

    Für ein Multi-Barrieren-System reicht also auch eine einzige geologische Barriere. Andere Barrieren können technische Barrieren wie der Behälter, Streckenverschlüsse und Schachtverschlüsse sein. Im Extremfall (Granit) dient die geologische Barriere sogar hauptsächlich dem Schutz der technischen Barrieren. Eine Barriere muss auch nicht wirklich immer eine physische Einheit sein. Eine Barriere könnte z.B. eine undurchlässige Schicht sein, während eine andere Barriere ein chemisches Milieu ist, in dem sich wenig löst.

    So gesehen habe ich für ein – geologisches – Endlager de facto automatisch so ein System.

    Die spannende Frage ist: Wie sehr muss ich die einzelnen Barrieren belasten dürfen bzw. im Sicherheitsnachweis auf Sie zurückgreifen?

    Beim Auto muss ich zeigen, dass es einen bestimmten Sicherheitsstandard hat. Ich muss nicht zeigen, dass es diesen ALLEIN mit dem Gurt oder dem Airbag hätte.

    Das kann man natürlich beim Endlager ähnlich verstehen. Angenommen, ich kann sehr glaubhaft machen, dass die geologische Barriere die angezielte Sicherheit garantiert. In diesem Fall bräuchte ich dann trotzdem noch zusätzlich den Sicherheitsgurt (also zum Beispiel einen dicken Endlagerbehälter).

    Die Diskussion müsste jetzt sein: Reicht es, dass so eine technische Barriere als zusätzlicher Sicherheitsgurt da ist? Oder müsste ich in der Lage sein, mit dieser Barriere ALLEIN auch die Sicherheit zu gewährleisten? Und wenn nein – welche Anforderungen stelle ich da?

    Als Beispiel würde da z.B. ein Fallschirm taugen. Den kann ich natürlich im Flugzeug haben. Er ist eine zusätzliche Absicherung, falls ich nicht landen kann. Trotzdem weiß ich natürlich, dass ich für einen Fallschirm nicht eine genauso sichere Landung garantieren kann. Das gilt sinngemäß auch für die evtl. vorgeschriebene Schwimmweste. Die Genehmigung eines Flugzeuges hängt nicht von einer gefahrlosen Fallschirmlandung ab -oder von meinen Überlebenschancen in einer Schwimmweste mitten im Atlantik.

    Meine persönliche Einschätzung ist, dass es nicht auf die Zahl der Barrieren ankommt, sondern eher um die Frage, ob eine mögliche Zahl an Ereignissen oder Fehleinschätzungen zum Systemversagen führen können. Entsprechend redet da zum Beispiel die IAEA eher von multiplen Sicherheitsfunktionen (req. 7, https://www-pub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/Pub1449_web.pdf )

    • Kurz und auf die Schnelle zum Fallschirm:
      Als Fallschirmspringer hat man einen Fallschirm, der von einem selber gefaltet und gewartet ist.
      Als derversitäres Element hat man immer noch einen Zweitfallschirm, der amtlich gefaltet und gewartet ist. Dafür zuständig ist das Luftfahrt-Bundesamt.

  3. Danke für diesen Beitrag! Der Automobil-Vergleich scheint wirklich ganz passend.

    Aber eine Rückfrage zum Absatz „Auch das Deckgebirge bringt keine Diversität“:
    Wieso Sie den Anhang 11 als so wenig hilfreich ansehen, wird nicht ganz klar. Liegt das daran, dass bspw. eine „Überdeckung des ewG mit grundwasserhemmenden Gesteinen“ nicht zwingend diversitär sein muss, wenn es sich dabei etwa um das gleiche Gestein handelt wie im ewG selbst? In einem solchen Fall würde die Überdeckung also Redundanz, aber keine Diversität bringen. Anders gesagt, Anhang 11 ist nicht zielscharf auf Diversität fokussiert, sondern belohnt eine Mischung aus Diversität und Redundanz.
    Ist das Ihre Kritik? Wenn ja, steht sie nicht im teilweisen Widerspruch zum vorhergehenden Absatz, der in dieser Hinsicht toleranter klang?

    • Zurück aus dem Rafting-Urlaub auf der mittleren Moldau, wobei beim Kentern (Wahrscheinlichkeit ca. 50 % bei jeder Wehrpassage) die Diversität durch eigene Schwimmkünste und Schwimmwesten gewährleistet war, hier meine Einschätzung der Diversität durch Anhang 11:

      Der Rückhaltemechanismus von Radionukliden im Salz ist grundlegend anders als im Ton. Darauf sollte eine Diversität bei geologischen Barrieren bauen. Deshalb halte ich eine zusätzliche Salzbarriere über einem ewG aus Salz nicht für diversitär, sondern lediglich für redundant.

      Der vorhergehende Absatz erscheint toleranter, weil ich ja nicht die Diversität bei mehreren einschlusswirksamen geologischen Barrieren fordere. Ich fordere lediglich, dass eine geologische Gesamtsituation (gGs), die eine solche Diversität aufweist, entsprechend positiv gegenüber einer gGs ohne Diversität beurteilt wird und so im komparativen Verfahren größere Chancen hat. Mit diesem „toleranten“ möchte ich verhindern, dass in Deutschland überhaupt kein Standort gefunden wird.

      Bei der Diskussion in der AG 3 spielte mein Beitrag in der Onlinekonsultation zur Diversität mit ID1001 keine Rolle. Sie wurde mit Hinweis auf die Deckgebirgsfrage und auf eine entsprechende Stelle in den Sicherheitsanforderungen 2010 (diese kommt im jetzigen Entwurf der Sicherheitsanforderungen nicht mehr vor) vom Tisch gewischt – siehe Suche ID1001 auf site.endlagerdialog.de.

      Offensichtlich soll Diversität bei geologischen Barrieren keine Rolle spielen, da dann der Standort Gorleben Schwierigkeiten hätte. Weiterhin wäre das ein quasi-Eingeständnis, dass man sich beim ewG doch nicht so sicher ist – siehe oben Kommentar von Herrn Scherb.

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