1 Million Jahre?

Bjornerud, M.(2020). Zeitbewusstheit – Geologisches Denken und wie es helfen könnte, die Welt zu retten. Seite 101

Vom Nachweis- zum Bewertungszeitraum

Wird im StandAG in § 22 Abs. 2 Punkt 1 noch von einem euphemistischen Nachweiszeitraum von 1 Million Jahre gesprochen, hat sich in der EndlSiAnfV der realistische Begriff Bewertungszeitraum durchgesetzt – siehe in der Begriffsbestimmung in § 2 Punkt 3, in der Festlegung auf 1 Million Jahre in § 3 Abs. 1 und an weiteren gut 20 Textstellen. Aber trotzdem wird dieser Zeitraum oft als illusorisch betrachtet, da er weit außerhalb der Vorstellungskraft der meisten Menschen liegt.

Geologie betrachtet 4.500 Millionen Jahre

In Augen von Geolog*innen ist dieser Zeitraum eher kurz. Schließlich betrachtet die Geologie die Entwicklung insbesondere der Erdkruste über etwa 4.500 Millionen Jahre. endlagerdialog.de ist durch eine Rezension in GMIT (82, Dezember 2020, Seite 102 f.) auf das sehr interessantes Buch der amerikanischen Geologin Marcia Bjornerud mit dem Titel Zeitbewusstheit – Geologisches Denken und wie es helfen könnte, die Welt zu retten gestoßen.

Der Kern des Buches

In dem weitgehend allgemein verständlichen Buch geht es im Kern um die Betrachtung des

  • Alters der Erde und deren Bestimmungsmethoden – Ein Atlas der Zeit, um die
  • Geschwindigkeit geologischer Prozesse – Das Tempo der Erde,
  • die Evolution der Atmosphäre, ökologische Umbrüche und Massenaussterbeereignisse – Es liegt was in der Luft und schließlich um die
  • Eiszeiten im Pleistozän und das Verständnis des Klimawandels – Große Beschleunigungen.

Der ganzheitliche Blick geht nicht verloren

Selbst in diesen fachlich orientierten geologischen Kapiteln verliert die Autorin nicht den ganzheitlichen Blick. So geht sie auf die Theorie der Plattentektonik ein und schildert dabei auch den wissenschaftsgesellschaftlichen Prozess der Ablehnung der Arbeiten von Alfred Wegener von 1915 bis in die 1960er Jahre.

Internierungslager für japanischstämmige Amerikaner

Bei der Schilderung einer geologischen Katastrophe vergisst sie zum Beispiel nicht die gesellschaftspolitische Bedeutung des Ortes – siehe Seite 108:

Vielen Menschen mag bewusst sein, dass Yellowstone auf einem schlafenden Supervulkan liegt, der in der Vergangenheit in unvorstellbaren großen Eruptionen explodiert ist, doch zeugt ein Berg unmittelbar außerhalb des Parks von einer einstigen Katastrophe, die noch fürchterlicher war. Heart Moutain in Wyoming, Ort eines Internierungslagers für japanischstämmige Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs, ist Teil einer 1,6 Kilometer dicken Felsplatte von der Größe von Rhode Island, die in 30 Minuten, das heißt mit Autobahntempo, mehr als 50 Kilometer über einen erstaunlich sanft abfallenden Hang rutschte und dabei wahrscheinlich von überhitzten Gasen auf ihrer Unterseite unterstützt wurde.

Dieser Schreibstil macht eher trocknen fachlichen Teil spannend, so dass man keine Mühe hat, weiter zu lesen.

Der Rahmen des fachlichen Kerns

Dieser Kern wird eingerahmt durch ein einleitendes Kapitel Mehr Zeitbewusstheit! und einen zukunftsorientierten Schluss Zeitbewusstheit, utopisch und wissenschaftlich.

Darin bemängelt sie einleitend die fehlende geologische Schulbildung, die auch für Deutschland zutrifft Seite 14:

Wenn ein Erwachsener mit Schulabschluss heute, im einundzwanzigsten Jahrhundert, nicht in der Lage ist, auf einer Weltkarte die Kontinente zu bezeichnen, zeigen wir uns schockiert, sind aber ziemlich schmerzfrei, was die Unkenntnis selbst der gängigsten Höhepunkte in der langen Geschichte des Planeten anbelangt (mhm, Beringsstraße…Dinosaurier..Pangaea?).

Ökonomiekritik

Macht Anmerkungen zur zurzeit vorherrschenden Ökonomie – Seite 19 f.:

So ärgerlich professionelle Junge-Erde-Anhänger, Kreationistinnen und Apokalyptiker auch sein können, sie bekunden ihre Chronophobie immerhin völlig offen. Durchdringender und zersetzender sind da schon die beinahe unsichtbaren Formen der Zeitverleugnung, wie sie in die Infrastruktur unserer Gesellschaft selbst eingebaut sind. Zum Beispiel in der Logik einer Ökonomie, in der die Arbeitsproduktivität ständig wachsen muss, um höhere Löhne zu rechtfertigen, und Berufe, die mit zeitaufwendigen Aufgaben wie Erziehung, Pflege oder künstlerischen Inszenierungen betraut sind, ein Problem darstellen, weil sie kaum effizienter gemacht werden können.

Den Planeten besser behandeln

Und kommt im Schlusskapitel zu den Schlüssen – Seite 191:

Und ich vermute, dass das Exil, das wir uns selbst auferlegt haben, die Quelle zahlreicher Übel ist: Sowohl die Verbrechen an der Umwelt als auch ein allgemeines existenzielles Unbehagen gründen womöglich in einem verzerrten Verständnis für den Platz, den die Menschheit in der Geschichte der Natur einnimmt. Wir Menschen würden uns und den Planeten besser behandeln, wenn wir akzeptieren würden, dass wir uns unserer gemeinsamen Vergangenheit und einem eng miteinander verzahnten Schicksal stellen und uns selbst, anstatt uns als permanente Bewohner des Grundbesitzes Erde zu begreifen, eher als glückliche Erbinnen und schließlich als Erblasser betrachten müssen. Kurz gesagt, unser Verhältnis zur Zeit muss sich ändern.

und auf Seite 195:


Ein Leben lang sind wir der Werbung ausgesetzt, und das vom Markt propagierte Versprechen ewiger Jugend hat sich tief in unsere Gehirne eingegraben. Es treibt uns dazu, die neueste Neuigkeit zu kaufen, womit wir die Illusion aufrechterhalten, wir seien von dem Verstreichen der Zeit ausgenommen und dass dieses Jetzt niemals enden wird.

Die Utopie!?

Schließlich kommt sie zu einer Utopie – Seite 205 f.:

Geologie wäre vollkommen in die naturwissenschaftlichen Lehrpläne integriert und würde womöglich als Brückenfach dienen, in dem Schüler und Schülerinnen physikalische, chemische und biologische Prinzipien auf das immens komplexe System der Erde anwenden könnten.

Deutschland und diese Utopie

Vielleicht kommen wir in Deutschland durch die notwendige Befassung mit geologischen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle dieser Utopie etwas näher. Das 1-Millionen-Jahre-Problem würde dann nicht mehr auftauchen. Ein Funkkolleg Geologie würde da zusätzlich helfen.

Kleine Fehler

Das Buch wurde von Dirk Höfer aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Dabei schlichen sich zwei Fehler bei chemischen Sachverhalten ein. So wird auf Seite 101 die Reaktionsgleichung

CO2 + H2O+CaSiO3 –> Ca2++2 HCO3+SiO2 –> CaCO3+SiO2+CO2+H2O

zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre präsentiert. Diese Wirkung wird erst nach Korrektur durch

2 CO2 + H2O+CaSiO3 –> Ca2++2 HCO3+SiO2 –> CaCO3+SiO2+CO2+H2O

deutlich.

Die Gleichung auf Seite 182

MG2SIO4+2 CO2 –> 2 MGCO3+SiO2

sollte richtig lauten

Mg2SiO4+2 CO2 –> 2 MgCO3+SiO2 .

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