Meinungsbild: Atomausstieg ins Grundgesetz?
Auf der Sitzung der Endlagerkommission am 02.06.2016 lag ein Papier zur Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz vor. In diesem Zusammenhang wurde auf Wunsch von Herrn Brunsmeier ein Meinungsbild abgefragt, siehe Video 6:23:00. Sieben Anwesende waren für eine Verankerung im Grundgesetz, neun dagegen. Dies ist zwar nur ein Meinungsbild, und zwar nur für die Verankerung im Grundgesetz. Dies ist also nicht gleichzusetzen mit einer Abstimmung über den Kernenergieausstieg an sich.
Rechtfertigungsgrundsatz des Strahlenschutzes
Doch erstaunlich ist, dass in diesem Zusammenhang niemand auf den Rechtfertigungsgrundsatz (justification – siehe Ethical Issues) des Strahlenschutzes hingewiesen hat. Weder in dem oben genannten Papier noch in der bisherigen Fassung des Kommissionsberichts kommt dieser Grundsatz vor, obwohl der BUND e. V. fordert Der Strahlenschutz muss durchgehend als oberstes Ziel formuliert werden, siehe Beitrag Geologische Kriterien das erste Mal in der Endlagerkommission. Der Rechtfertigungsgrundsatz – einen gleichen gibt es für den Einsatz von krebserregenden chemischen Stoffen, siehe Beitrag Schutzziele bei der Endlagerung und Risikokonzept – bedeutet bezogen auf die Endlagerung radioaktiver Abfälle, dass die mit der Endlagerung einzugehenden Risiken nur wegen des Nutzens gerechtfertigt sind. Eine neuerliche Nutzung oder Erzeugung radioaktiver Stoffe bedarf einer anderen Rechtfertigung. Diese ist vor dem Einstieg auf der Grundlage einer Risiko-Nutzen-Abwägung zu erarbeiten. Alle bisher gemachten Endlagerkompromisse gelten erst einmal nicht.
Strahlenschutz auf Dosisbeschränkung reduziert
In einem Artikel in der neusten Ausgabe der Zeitschrift Strahlentelex (W. Neumann, Hohe individuelle Strahlendosen werden zugelassen und Kollektivdosen ausgeblendet, Strahlentelex Nr. 706-707) wird die Kommissionsarbeit aus der Sicht des Strahlenschutzes kritisiert. Leider klammert sich der Artikel allein an die Dosis und Kollektivdosis, ohne dabei zu erwähnen, dass eine wissenschaftlich fundierte Methode zur Abschätzung der Dosis bei Endlagern nicht existiert. Dieses wurde seitens des BMU 2009 im Zuge der Diskussion zu den Sicherheitsanforderungen erkannt, ein entsprechender Beratungsauftrag an die Strahlenschutzkommission wurde jedoch jetzt storniert, siehe Beitrag Endlagerkommission verhindert Dosisabschätzung.
Komparative Suche ist die Umsetzung des Optimierungsgrundsatzes
Weiterhin wird in dem Strahlentelex-Artikel nicht differenziert zwischen der Suche nach einem Standort mit der bestmöglichen Sicherheit und den Anforderungen an ein sogenanntes sicheres Endlager. Bei der komparativen Suche kommt nämlich der zweite Strahlenschutzgrundsatz zum Tragen – das Optimierungsprinzip. Wenn man auf die geologische Barriere als wesentliches Schutzinstrument setzt, dann bedeutet der Optimierungsgrundsatz die vergleichende Suche nach für die Endlagerung guten geologischen Gesamtsituationen. Gesucht wird also nicht nach einem geeigneten, sondern im Rahmen der methodischen Möglichkeiten nach dem geeignetsten Standort. Hier gilt allein der Grundsatz: Der Bessere ist der Feind des Guten.
Das Problem ist nicht reduzierbar auf Dosisminimierung und erst recht nicht auf Dosisbegrenzung
Unvoreingenommen könnte man den Standort mit der geringsten zu erwartenden Belastung, also nach dem Minimum der Dosis suchen. Dies hat aber zwei Haken. Zum Ersten sind bei der Suche vorerst wichtige Parameter unbekannt, die die Dosisabschätzungen nach den bisher üblichen Modellansätzen und Rechenmethoden gravierend beeinflussen. Zum Zweiten werden alle Überlegungen im Wesentlichen von der Unsicherheit der geologischen Situation (homogene Bereiche sind eher Lehrbüchern vorbehalten) und Entwicklung über den wissenschaftlich notwendigen Prognosezeitraum von gut 10 Mio. Jahre und selbst über den gesetzlich geforderten Nachweiszeitraum von 1 Mio. Jahre bestimmt. Man kommt also um die komplexen geologischen Gegebenheiten bei der Umsetzung des Optimierungsgrundsatzes bei Endlagern nicht herum. Die Dosis als skalare Größe hilft da nicht weiter. Die Endlagerkommission sollte sich also nicht über Dosisgrenzwerte auslassen, obwohl dies gern gemacht wird, da es so schön eindimensional ist. Das zeigt die AG3-Diskussion um die sogenannten vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen.
Was wäre denn schön daran, wenn im Grundgesetz stehen würde „Deutschland steigt aus der Atomenergie aus. Das nähere regelt ein Bundesgesetz“?
Das Atomgesetz würde weiter bestehen, auch weiterhin änderbar sein, Laufzeiten könnten verkürzt oder verlängert werden. Mit Atomausstieg im Grundgesetz und ohne. Es wäre nichts, aber auch gar nichts gewonnen – außer dass der BUND endlich seine belächelte Forderderung durchgesetzt hätte und daher endlich wieder sinnvolle Sachen (Abschaltung von AKW zum Beispiel) fordern könnte. Letzteres könnte der BUND bei klarem Kopfe aber auch ohne Atomausstieg im Grundgesetz.