Gorleben ist fast überall, Gorleben gibt es mindestens 171-mal in Deutschland!

8-3082_Salz_bgrNeue Endlagersuche

Bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle soll angeblich eine vergleichende Suche durchgeführt werden. Eine Begründung dafür ist bisher nicht geliefert worden. Mit dieser Zielrichtung wird seit dem 11.11.2011  auf Bund-Länder-Ebene – bisher ergebnislos – verhandelt.

Komparative Suche als Wissenschaftsmethode

Die nun angestrebte Methodik ist aus wissenschaftsmethodischer Sicht zu begrüßen. Unsicherheit und Nichtwissen bei der Endlagerproblematik sowie der Optimierungsgrundsatz des Strahlenschutzes machen dies erforderlich. Diese Methode wurde bis 1976 zur Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum angewendet, dann aber auf Druck des Landes Niedersachsen hin fallen gelassen. Seitdem wurde allein am Standort Gorleben erkundet.

Die strittige Einbeziehung Gorlebens

Bei der jetzt wieder aufgenommenen komparativen Suchmethode wird die Einbeziehung Gorlebens zur Bedingung gemacht, und dieser Standort wird als Einziger im vorgeschlagenen Gesetz genannt. Bei einer solchen Suche, die den bestmöglichen Standort in Deutschland identifizieren soll, müssen theoretisch alle geologischen Standorte in Deutschland einbezogen werden. Das wäre die sogenannte Grundgesamtheit. Durch Vergleichskriterien ist dann eine Rangfolge zu erstellen. Ausschlusskriterien sind eigentlich methodisch nicht verträglich.

Praktische Probleme dieser Methode

Praktische Probleme treten schon bei der Definition geologischer Standort auf. Dazu kommt die große Anzahl der zu untersuchenden Regionen. Es gilt also diese Grundgesamtheit auf eine praktisch handhabbare Größe zu reduzieren, ohne die Methodik an sich zu gefährden.

Vorgehensweise mit Einbeziehung von Gorleben

Da als Rahmenbedingung immer wieder  die Einbeziehung von Gorleben gefordert wird, bietet sich eine einfache Vorgehensweise an. Für die damalige Auswahl von Gorleben sind Kriterien angegeben worden. Es sind also mit Gorleben zusammen alle geologischen Standorte Deutschlands zu untersuchen, die zumindest diese Kriterien erfüllen.

Gorlebenkriterien nach Drucksache 8/3082

Die Gorlebenkriterien sind in der Bundestagsdrucksache 8/3082 genannt.

Die niedersächsische Landesregierung hat bei der Auswahl des Salzstocks Gorleben folgende Kriterien zugrundegelegt:

1. Der Salzstock sollte durch frühere Bohrungen oder bergmännische Aktivitäten möglichst unberührt sein, um unkontrollierte Eingriffe in das System Salzstock zu vermeiden.

2. Der Salzstock sollte eine für die Aufnahme radioaktiver Abfälle ausreichende Größe besitzen, die außerdem das Vorkommen mächtiger, reiner Steinsalzpartien wahrscheinlich erscheinen läßt. Große Partien reinen Steinsalzes werden als Voraussetzung für die Einlagerung wärmeentwickelnder Abfälle angesehen.

3. Die Salzstockoberfläche sollte nicht mehr als 400 m unter Gelände liegen und nicht zu hoch in die oberflächennahen Grundwasserhorizonte reichen.

4. Die engere Standortregion sollte keine nutzbaren Lagerstätten (einschließlich Grundwasserreserven) enthalten.

Nach sorgfältiger Prüfung der vorhandenen Unterlagen über norddeutsche Salzstöcke ergab sich, daß der Salzstock bei Gorleben den genannten Anforderungen genügt.

Ergänzung durch Jaritz

Im Einzelnen geht darauf ein Vortrag von Jaritz im Jahr 1981 ein (Vorkenntnisse über den Salzstock Gorleben und Gründe für die Annahme als Untersuchungsobjekt, in: Entsorgung – Bericht von einer Informationsveranstaltung im Rahmen des Energiedialogs der Bundesregierung am 15. und 16. Mai 1981 in Lüchow – Zwischenergebnisse zum Salzstock Gorleben, Bundesministerium für Forschung und Technologie: S. 11-19). Leider wurde trotz mehrfachen Antrags dieses Dokument nicht in die Gorleben-Dialog-Datenbank aufgenommen. Deshalb anbei eine Kopie. Jaritz ergänzt:

Als dann Niedersachsen im Februar 1977 Gorleben als alleinigen Ort für Untersuchungen vorschlug, stand der Bund vor der Entscheidung, ob er das einzige angebotene Untersuchungsobjekt annehmen sollte. Wie oben dargelegt wurde, hat der Salzstock Gorleben bei der Auswahl alle geologischen Bedingungen erfüllt. Gäbe es gewichtige geologische Gründe gegen die Eignungshöffigkeit des Salzstocks Gorleben, hätte die Bundesregierung sich zwangsläufig anders entscheiden müssen.

Bekannte Nachteile von Gorleben in Kauf genommen

Folgende offensichtlich bekannte Nachteile am Standort Gorleben wurden nach Jaritz in Kauf genommen:

  • Carnallitgestein,
  • Gasvorkommen im Rotliegenden,
  • flache Aufwölbung im Untergrund des Salzstocks,
  • große Seen in Subrosionssenken des Salzstocks,
  • Erdbebengebiet nach KTA-Norm Stufe 1 und
  • Verzicht auf das interessante Mehrbarrieren-System durch Überlagerung mit Tonstein.

Nach den Ausführungen von Jaritz erfüllen diese Mindestkriterien auch die drei Salzstöcke Wahn, Lichtenhorst und Weesen-Lutterloh, die nach dem KEWA-Verfahren bis 1976 im Ranking oben standen.

Salzstudie 1995

Die in der Salzstudie von 1995 angewendeten Kriterien sind wesentlich schärfer. Alle damals halbwegs untersuchungswürdigen Salzvorkommen erfüllen also die Gorleben-Kriterien aus Drucksache 8/3082. Im Einzelnen bleiben von den  44 betrachteten Salzvorkommen nach Anwendung der 8/3082-Kriterien noch 26 übrig.

NameNutzung, BohrungenGrößeTiefe SalzspiegelGrundwasserschutz
Baccumgroßflächig
Bahnsenjaungünstig
Bersenbrück (Alfhausen)+
Bippen (Ohrte)+
Colbitzzu kleingroßflächig
Damme+
Demker-Griebenzu klein
Eisendorf-Gnutz+
Eitzendorf+
Emtighausen (siehe auch Thedingshausen)+
Gülze-Sumte+
Hamdorf+
Harsefeldja
Hennstedtungünstig
Herzlake (Haselünne)+
Jahrstedt+
Kraakja
Krempe (siehe auch Lägerdorf)ungünstig
Lägerdorf (siehe auch Krempe)+
Lilienthal+
Lohne+
Mützel-Viesenzu klein
Netzeband+
Neusustrum+
Oberlager Tengejazu kleinungünstig
Peckensenja
Schneflingen+
Siek (siehe auch Witzhave)+
Stemmen-Otter-Todtshornungünstig
Sterup+
Taakenja
Thedingshausen (siehe auch Emtighausen)+
Volkwardingenja
Vorhop+
Waddekath+
Wahn+
Weesen-Lutterlohungünstiggroßflächig
Werleungünstig
Wittingenja
Witzhave (siehe auch Siek)+
Wredenhagen+
Zechlin+
Zobbenitzzu klein
Zwischenahn+

Diese sind: Bersenbrück (Alfhausen), Bippen (Ohrte), Damme, Eisendorf-Gnutz, Eitzendorf, Emtighausen (siehe auch Thedingshausen), Gülze-Sumte, Hamdorf, Herzlake (Haselünne), Jahrstedt, Lägerdorf (siehe auch Krempe), Lilienthal, Lohne, Netzeband, Neusustrum, Schneflingen, Siek (siehe auch Witzhave), Sterup, Thedingshausen (siehe auch Emtighausen), Vorhop, Waddekath, Wahn, Witzhave (siehe auch Siek), Wredenhagen, Zechlin und Zwischenahn.

Weesen-Lutterloh, Lichtenhorst und stratiforme Lager

Entgegen der Aussage von Jaritz fällt Weesen-Lutterloh wegen zu geringer Salzspiegeltiefe und wegen Grundwasserschutz aus. Auch der Standort Lichtenhorst wird wegen zu geringer Tiefe nicht betrachtet (siehe Jaritz, W. (1983). Eignung von Salzstöcken in Niedersachsen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle). Weiterhin werden in der Salzstudie 1995 die stratiformen Lager in Hessen, Baden-Württemberg, Thüringen und Nordrhein-Westfalen wegen ihrer geringen Mächtigkeit nicht berücksichtigt. Dies erscheint sehr pauschal insbesondere im Hinblick auf die durch den Atomausstieg beschränkte Menge an radioaktiven Abfällen.

Ton- und Kristallingestein

Weitere Studien der BGR kennzeichnen die untersuchungswürdigen Gebiete mit Ton– und Kristallingestein. Hier wird davon ausgegangen, dass diese genauso untersuchungswürdig wie Gorleben nach  8/3082 sind. Da in Ton- und Kristallingestein die Wärmeabfuhr geringer ist, wird eine etwa neunfache Fläche benötigt (Closs, K. D.(2002). Einfluss der Abfallmengen auf das Auswahlverfahren für Endlagerstandorte).

31 Kristallin- und 113 Tonstandorte

Wenn im Salz 8,5 Quadratkilometer angesetzt waren, ergeben sich hier also 77 Quadratkilometer. Belegt man die untersuchungswürdigen Kristallinflächen mit einem solchen Kreisraster erhält man 31 Kristallinstandorte, bei Ton sind es weitere 113 Standorte.

standorte_2Insgesamt mindestens 171 Untersuchungsstandorte

Damit ergeben sich neben Gorleben insgesamt mindestens 170 Standorte, die die Gorleben-Kriterien nach 8/3082 erfüllen. Es ist weder wissenschaftlich tragbar noch öffentlich vertretbar, dass von den 171 Standorten nur einer – nämlich Gorleben – im Endlagersuchgesetz explizit genannt wird.

Abwehr der Ungleichbehandlung von Gorleben

Gegen diese Ungleichbehandlung des Standortes Gorleben wehren sich die Wendländer zu Recht. Es ist nicht einsehbar, dass wegen des methodischen Fehlers der niedersächsischen Landesregierung im Jahr 1977 die komparative Endlagersuche nun unter falschen Bedingungen fortgesetzt werden soll.

Nicht zur Kenntnis genommener Kompromissvorschlag

Sehr frühzeitig wurde dieses von BürgerInnen erkannt, und der Politik wurde ein weitgehender, methodisch kaum zu tragender Kompromissvorschlag unterbreitet. Danach sollten neben Gorleben lediglich zwei weitere Salz-, zwei Ton- und zwei Kristallinstandorte untersucht werden. Die Politik hat dieses nicht zur Kenntnis genommen.

Gorleben ist fast überall, Gorleben gibt es mindestens 171-mal in Deutschland!

Methodisch sauberer ist eine Untersuchungsgrundgesamtheit von 171 Standorten inklusive Gorleben. In Abwandlung des Mottos des Betriebsrates des ErkundungsbergwerksGorleben ist überall!“ lautet die Schlussfolgerung „Gorleben ist fast überall, Gorleben gibt es mindestens 171-mal in Deutschland!„.

Ein Gedanke zu „Gorleben ist fast überall, Gorleben gibt es mindestens 171-mal in Deutschland!

  1. Vortrag von Jaritz ergänzt
    Der aufmerksamen LeserIn wird aufgefallen sein, dass an zwei Stellen der Kopie des Jaritz-Vortrages von 1981 Fragezeichen auftauchten. In einem anderen mir jetzt vorliegenden Exemplar des Tagungsberichts konnten diese Textstellen entziffert werden. Die Stellen lauten:

    Daß die Kaliflöze als Carnallitgestein zu erwarten waren, hatte jedoch auch einen positiven Aspekt. Denn die Carnallitgesteinsflöze sind nicht abbauwürdig.

    und

    Das Ergebnis war negativ, das im Rotliegenden angetroffene Erdgas bestand zu mehr als 90% aus Stickstoff. Die ersten seismischen Messungen mit Mehrfachüberdeckung erfolgten 1966.

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