Endlagerfrage als Menschheitsfrage
Seitens der Politik wird immer wieder betont, dass es bei der Endlagerfrage um eine Menschheitsfrage ginge. Und man ist stolz, dass es nach zwei Jahren Geheimverhandlungen in einem breiten parteipolitischen Konsens – hinweg über mehrere Zeitfenster – gelungen ist, im Jahr 2013 ein Gesetz zu verabschieden, das versucht, die Endlagerfrage zu regeln. Von mancher Seite wird sogar von einer historischen Chance gesprochen.
Wie fundiert war die Abstimmung zum StandAG
Da stellt sich die Frage, wie fundiert die politische Entscheidung getroffen wurde? Mit welchem Wissen haben die Abgeordneten für das Gesetz gestimmt? Bei genauerem Hinsehen – oder besser Hinhören – kann man nur schockiert sein. So führte Frau Kotting-Uhl am 30.06.2014 in der zweiten Sitzung der Endlagerkommission aus (Videomitschnitt 2. Sitzung 5:48:52):
..Sie haben jetzt, Herr Müller, so sehr gleich gestellt, und das ist auch hier im Punkt A, also erste Plenarthemen unter 4 auch so: AkEnd und ENTRIA, und das finde ich wird der Dimension des AkEnd nicht gerecht. Also ich finde – ich habe jetzt zum ersten Mal auch im Zusammenhang die AkEnd-Ergebnisse gelesen, nachdem wir sie das letzte Mal bekommen haben, und bin wirklich sehr beeindruckt – noch beeindruckter als von den Einzelteilen, die ich mir bisher so situationsbedingt zu Gemüte geführt hatte. Das ist eine unglaublich tolle Grundlage für die Arbeit, die wir hier leisten sollen. Ohne die müssten wir wirklich fünf Jahre rechnen. Und das lässt sich auch nicht wiederholen, was da geleistet wurde…
AkEnd behandelte das identische Problem
Warum wurde die Arbeit des AkEnd nicht gelesen, obwohl seit dem 11.11.2011 das identische Problem – nämlich Endlagersuche in Deutschland – erst geheim und dann im Deutschen Bundestag verhandelt wurde? Muss die Politik wirklich immer wieder von vorne anfangen, muss sie immer wieder das Rad neu erfinden, um dann sich selber lobend in den Wahlkampf zu gehen? Neben den Kosten – AkEnd hat dem Steuerzahler einiges gekostet – ist der Zeitfaktor wohl wesentlich wichtiger.
11.11.2011: Gorleben-Beschluss vom 28. September 1979 nicht mehr tragbar
Am 11.11.2011 war der Konsens vorhanden, dass der Gorleben-Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 28. September 1979 nicht mehr tragbar sei, da dieser jeder Wissenschaftlichkeit widersprach. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man sich einen Überblick über die bisherigen Endlagersuchverfahren in Deutschland schaffen müssen. Die AkEnd-Empfehlungen hätten als dritter Versuch erscheinen müssen. Sie standen unter dem URL http://www.bfs.de/de/endlager/faq/langfassung_abschlussbericht_akend.pdf zur Verfügung – dies Dank der insistierenden Nachfrage des Koordinationskreises Asse II, denn zwischenzeitlich war dieses Dokument aus dem Internet verschwunden.
Historische Chance oder historische Blamage?
Aber nein: Es wurden drei Jahre vertan mit unendlichen Verhandlungen und wichtigtuerischen Debatten – bis hin zur Bemühung einer historischen Chance –, die ein so schlechtes Gesetz zum Ergebnis hatten, dass es jetzt erst einmal evaluiert werden muss. Ist das eine historische Chance? Nein – eher eine historische Blamage!
Bei der Stimmabgabe zum StandAG aus dem hohlen Bauch entschieden
Offensichtlich haben die PolitikerInnen bei der Stimmabgabe zum StandAG aus dem hohlen Bauch entschieden – getrieben von der Euphorie eines Parteienkonsenses, ohne sich kundig zu machen. Warum hat nicht einmal die atompolitische Sprecherin der GRÜNEN, Frau Kotting-Uhl, die AkEnd-Empfehlungen gelesen und in das Parteikonsensgeschwafel zum Endlagerproblem eingebracht? Die drei Stunden Lesezeit für die 300-Seiten-Broschüre wären eine gute Investition gewesen.
Zum Beispiel: Kriterium Beteiligungsbereitschaft
Wo war der wegweisende Gedanke Freiwilligkeit – vom AkEnd als Kriterium Beteiligungsbereitschaft bezeichnet – in der StandAG-Debatte geblieben, auf den Herr Thomauske erst wieder hinweisen musste (Videomitschnitt 2. Sitzung 5:58:58)?
Medien vom Konsensrausch angesteckt
Wenn die Politik das Rad immer wieder neu erfindet, ist dies wohl darauf zurückzuführen, dass es sich parteipolitisch zu profilieren gilt. Und das Gedächtnis der Wählerinnen und Wähler wird als kurz eingeschätzt. Auch das der Medien ist wohl nicht länger, denn sonst hätte es bei der Konsensberichterstattung einen Aufschrei geben müssen. Dieser ist jedoch unterblieben.
Politik und wissenschaftliche Forschung
Kritischer wird es bei wissenschaftlichen Forschungsprojekten. Da hat sich Ähnliches abgespielt. So behandelt ENTRIA genau die gleiche Fragestellung wie eine Studie aus dem Jahr 2001 (Appel, D., J. Kreusch, et al. Vergleichende Bewertung von Entsorgungsoptionen für radioaktive Abfälle). Das ist erst einmal nicht verwerflich. Verwerflich ist es jedoch, dass die Projektbeschreibung nicht auf diese frühe Arbeit aufbaut, diese nicht einmal erwähnt. Und noch befremdlicher ist, dass ein solches Forschungsvorhaben – trotz aller wissenschaftlichen Schludrigkeit – mit Steuergeldern gefördert wird. Offensichlich kann man sich alles erlauben, wenn man ENDLAGER darauf schreibt.
Politik und fachliche Bundesoberbehörde sowie Genehmigungsbehörde des Landes
Noch erstaunlicher ist, dass sich dieses Muster bis in die für ASSE zuständige Bundesoberbehörde (actor) und Genehmigungsbehörde des Landes (regulator) fortgesetzt hat. Bei der Asse wurde die Langzeitsicherheitsanalyse zur ursprünglich geplanten Verschließung so lange zurückgehalten, bis der Variantenvergleich entschieden war. Das war wohl politisch so gewollt und wurde von den Fachbehörden so vollzogen, widerspricht aber jeder wissenschaftlich-rationalen Herangehensweise. Dazu heißt es in einem Papier von Brenk Systemplanung (*), Seite A3/227:
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(*) Brenk Systemplanung.(2013). Gruppierung und Kommentierung der zusammenfassenden Aussagen aus Einwendungen und Stellungnahmen sowie aus dem Erörterungstermin zum Plan Stilllegung (eingesehen in den Akten der Genehmigungsbehörde am 28.01.2014)