Lob der Ministerin
Vor 40 Jahren wurde die Strahlenschutzkommission als unabhängiges Gremium zur Beratung des Bundesumweltministeriums eingerichtet. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks lobte zu diesem Anlass die hohe Kompetenz der Kommission. Dem kann leider nicht ganz gefolgt werden.
Unabhängige WissenschaftlerInnen?
Betont werden muss, dass die Mitglieder zwar vom Umweltministerium unabhängig sind und ehrenamtlich die Kommissionsarbeit durchführen, aber natürlich in bezahlte Berufstätigkeiten und damit Abhängigkeiten eingebunden sind. Siehe auch Beitrag Internationaler Strahlenschutz: Wissenschaft oder interessengeleitete Mafia?
Risikoabschätzung oder Risikomanagement
Als kritisch muss angesehen werden, dass nicht klar wird, ob die SSK mit ihren Empfehlungen Risikoabschätzung oder Risikomanagement betreibt, siehe Kommentar von Herrn Scherb und folgende.
Man bekommt den Eindruck, dass sie doch eher handfestes Management betreibt, ohne wirklich Risiken valide abzuschätzen. Trotzdem wird sie gern als rein wissenschaftliches Gremium dargestellt. Ein Gremium, was sich zum Risikomanagement äußert, ohne mehrere Alternativen zu benennen, sollte nicht rein mit WissenschaftlerInnen besetzt sein. So ist der Ausschuss für Gefahrstoffe paritätisch besetzt, siehe Mitgliederverzeichnis. Die Problematik wurde bereits im Beitrag Schutzziele bei der Endlagerung und Risikokonzept
ausgiebig behandelt.
Zum Beispiel SSK-Empfehlung zum ERAM
So geht die SSK-Empfehlung Radiologische Anforderungen an die Langzeitsicherheit des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) weit über Risikoabschätzungen hinaus und ist originär ein Papier des Risikomanagements. Zudem ist es von niedriger wissenschaftlicher Qualität, da es die Zwischenlagerung von radioaktiven Abfällen im Endlager Morsleben und deren beabsichtigte Endlagerung überhaupt nicht thematisiert.
Strahlenschutz in der Endlagerkommission
In der Bundesrepublik Deutschland spielt der Strahlenschutz eine eigenartige Rolle. So tagt nun schon seit fünf Monaten die Endlagerkommission, die über die Methode der Suche eines Langzeitlagers für radioaktive Abfälle Konsens herstellen soll. Dies ist eine originäre Aufgabe des Strahlenschutzes. Aber die Prinzipien des Strahlenschutzes haben bisher keinerlei Rolle in diesem Gremium gespielt. Sie wurden kurz lediglich von Herr Walther in der 4. Sitzung erwähnt. Zum Beispiel wurde das Rechtfertigungsprinzip nicht bei der Auseinandersetzung über die Arten radioaktiver Abfälle angeführt, die langzeitgelagert werden sollen.
Dosis bei Langzeitlagerung?
Auch hat die SSK den Auftrag aus dem Jahre 2012 zur Dosisberechnung bei der Langzeitlagerung immer noch nicht bearbeitet, siehe Beitrag Dosisberechnung bei der Langzeitlagerung – seit Ankündigung Anfang 2009 nichts Neues. Nachdem selbst das Bundesumweltministerium diese offene Frage vor fünf Jahren erkannt hatte, wird immer noch nichts zu dieser Problematik gesagt.
Vereinbarkeit von Vertraulichkeit und Transparenz
Auf Zwischenergebnisse besteht kein Zugriff, da die Arbeit der SSK vertraulich ist. Es stellt sich unweigerlich die Frage, inwieweit die Beratung dieser wichtigen Frage ausschließlich einer vertraulich arbeitenden Kommission wie der SSK mit dem immer wieder propagierten Ziel der Transparenz und Offenheit verträglich ist. Gehört diese Frage nicht zwecks Falsifizierung in die Scientific Community und die interessierte Öffentlichkeit?
Exemplarisch zwei kritische Auseinandersetzungen mit der Argumentationsweise der SSK am Beispiel der KiKK-Studie (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18082395):
http://www.strahlentelex.de/Stx_08_524_S05-07.pdf
http://www.strahlentelex.de/Stx_08_524_S04-05.pdf
Inzwischen ist die „Stellungnahme der Strahlenschutzkommission mit wissenschaftlicher Begründung“ mit dem Titel „Einflussfaktoren auf das Geschlechtsverhältnis der Neugeborenen unter besonderer Beachtung der Wirkung ionisierender Strahlung“ verfügbar: http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2014/Geschlechtverhaeltnis.pdf?__blob=publicationFile.
Die Stellungnahme der SSK setzt sich aber weder mit unseren Befunden nach Tschernobyl noch mit unseren Befunden in der Nähe von Nuklearanlagen inklusive Gorleben auseinander (siehe z.B. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21336635, http://push-zb.helmholtz-muenchen.de/frontdoor.php?source_opus=5922&la=en).
Die SSK sieht in dem Geschlechtsverhältnis bei der Geburt keinen geeigneten Gesundheitsindikator im Widerspruch zum Stand der Wissenschaft. Insbesondere die Auffassung der SSK, die Annahme einer Binomialverteilung für geschlechtsspezifische Geburtendaten sei „nicht vertretbar“, steht sogar in eklatanten Widerspruch zum Stand der Wissenschaft, weil praktisch alle (!) Studien zum Geschlechtsverhältnis mit quantitativen statistischen Analysen auf der Binomialverteilung bzw. auf der entsprechenden Normalverteilung (bei genügend großen Stichproben) aufbauen.
Der Landkreis Lüchow-Dannenberg hatte zur Situation um Gorleben inzwischen zwei Gutachten in Auftrag gegeben. Einschlägige Informationen dazu sind den folgenden Links zu entnehmen:
Kreisratssitzung: https://ratsinfo.luechow-dannenberg.de/buergerinfo/to0040.asp?__ksinr=1624
Präsentation des Gutachtens von Kusmierz, Scherb und Voigt: http://www.helmholtz-muenchen.de/fileadmin/ICB/biostatistics_pdfs/scherb/Wendland_Gutachten_Praesentation_Teil_1_und_Teil_2.pdf
Gutachten von Kusmierz, Scherb und Voigt: http://www.helmholtz-muenchen.de/fileadmin/ICB/biostatistics_pdfs/scherb/20141031_Endfassung_Gorleben_Gutachten.pdf
Die SSK suggeriert und kolportiert in ihrer Stellungnahme zum Thema „Geschlechtsverhältnis und Radioaktivität“, dass „bei den Überlebenden der Atombombenabwürfe über Japan eine Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses eher hin zu einem höheren Anteil von Mädchen berichtet wird“; siehe auf Seite 27 und auf Seite 30 in dem SSK-Bericht: http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2014/Geschlechtverhaeltnis.pdf?__blob=publicationFile.
Tatsächlich ist aber das Geschlechtsverhältnis nach der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki in ganz Japan, und insbesondere in den beiden Städten, von 1946 bis 1960 signifikant erhöht gegenüber dem Geschlechtsverhältnis in der Zeit von 1930 bis 1944; siehe: http://www.strahlentelex.de/Stx_15_674-675_S04-06.pdf. Es stellt sich hier die Frage, warum die SSK (sogar ausdrücklich im Namen der Wissenschaft) eine irreführende Aussage verbreitet, beziehungsweise, ob sie nach dem bewährten pro-nuklearen Motto vorgeht: „Keep them confused“?