Forschung, so weit das Auge reicht?

Online-Konsultation und Workshop

Das BfE hat mit einer Forschungsstrategie und -agenda die Grundlage einer Diskussion eröffnet und dazu eine sog. Online-Konsultation bis zum 16.12.2018 angeboten, die am 30.01.2019 in einem Workshop zum Ziel geführt werden soll. Danach sollte zügig der Forschungsplan des Jahres 2020 vorgelegt werden.

BMU-Ressortforschungsprogramm

Es geht dem BfE um ein Ressortforschungsprogramm im Bereich der eigenen Zuständigkeiten der Nuklearen Sicherheit. Dies erinnert ein wenig an die Zeiten des UFO-Plans, der in den ersten Jahren im Wesentlichen vom Umweltbundesamt bestritten wurde. Inzwischen gibt es einen Ressortforschungsplan des BMU. In diesem sind bereits die für das BfE relevanten Forschungsvorhaben aufgelistet – siehe Plan 2019, Seite 72 bis 74. Dies wird in den Konsultationsunterlagen des BfE nicht erwähnt. In den BfE-Papieren wird der Eindruck erweckt, dass hier etwas Neues geschaffen wird. Es wird nicht auf die bisherige Forschungslandschaft im Bereich der Nuklearen Sicherheit mit Sicherheit und Sicherung in der Kerntechnik und Sicherheit der nuklearen Ver- und Entsorgung eingegangen.

Die gewachsene Forschungslandschaft – Beispiel GRS

Dazu gehört auch die in Deutschland bereits gewachsenen TSO-Struktur (TSO: Technical Support Organisation) auf diesem Gebiet zum Beispiel mit der GRS (Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mbH) -siehe Haushaltsplan 2019  mit Einzelpläne BMWi (PDF-Seite 1066), BMU (PDF-Seite 2364) und BMBF (PDF-Seite 2813). Irreführend ist auch der Begriff Forschung. Es geht hier keinesfalls um Grundlagenforschung, im Einzelfall eher um angewandte Forschung, hauptsächlich aber um Sichtung und Aufbereitung wissenschaftlicher Unterlagen.

Abteilung Forschung ohne Leitung

Betont wird der hohe Stellenwert wissenschaftlicher Expertise für das BfE, was sich organisatorisch in einer eigenen Abteilung widerspiegele. Diese Abteilung ist aber seit geraumer Zeit ohne Leitung – siehe hier.

Auswertung der Erfahrung von ENTRIA

Aufgegriffen wird auch nicht der Ansatz von ENTRIA, obwohl es gerade hier interessante Erfahrungen außerhalb der fachdisziplinären Aufbereitung wissenschaftlicher Unterlagen gibt. Zwar kommt an einigen Stellen in den BfE-Papieren der Begriff interdisziplinär vor, verankert ist er jedoch nicht. Der weitergehende ENTRIA-Ansatz zur transdisziplinären Herangehensweise kommt begrifflich nicht vor, jedoch in reduzierter Form als Partizipation unterstützen.

Partizipation unterstützen

Eine Möglichkeit wird in der Konsultation zur Forschungsplanung gesehen. Konkret wird es interessant sein, ob der Vorschlag der BI Lüchow-Dannenberg vom 22.01.2019 Eingang in den Forschungsplan finden wird? Weiterhin wird in Aussicht gestellt, Forschungsergebnisse allgemein verständlich aufzubereiten. Auch hier läuft ein Test: Wird es gelingen, das Forschungsvorhaben Überprüfung des perkolationsgetriebenen Transports von Fluiden im Wirtsgestein Steinsalz unter Bedingungen für ein Endlager so darzustellen, dass kritische Initiativen meinen, dieser Aspekt wäre erst einmal erledigt? Im Zwischenbericht sind noch keine Ansätze dazu zu spüren. Aber das ist auch noch verfrüht.

Internationale Vernetzung auf Deutsch?

Betont wird die internationale Vernetzung. Vermisst wird bei den bisherigen Ausschreibungen von Forschungsaufträgen die international notwendige Formulierung in englischer Sprache. Wenn schon ein Großteil der Diplomarbeiten in Deutschland auf Englisch geschrieben wird, sollten die BfE-Ausschreibungen auch der international scientific community zugänglich gemacht werden.

Peer Review – bisher aber nicht

Weiterhin sollen Fachartikel und Konferenzbeiträge dem peer-review-Verfahren unterzogen werden. Der Fachartikel Aufsicht im Endlagerbereich wurde jedoch vom BfE in Zeitschrift für Umweltrecht veröffentlicht, in der kein Hinweis auf peer review zu finden ist.

Kritisches Mitdenken externer Wissenschaftler

Interessant ist die Passage:

Ein fachlicher Austausch mit und kritisches Mitdenken durch externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie auch die interessierte Bevölkerung ist ausdrücklich erwünscht.

Aber wo sind die Instrumente zur Umsetzung dieses hehren Anspruchs? Werden dafür Finanzmittel zur Verfügung gestellt? Schon an der Zugänglichkeit hapert es. Die Erfahrung mit dem ersten und zweiten IFG-Antrag zum Zwischenbericht des Perkolations-Auftrags sprechen eine andere Sprache.

Alles neu?

In der Forschungsagenda wird Folgendes zum StandAG-Verfahren konstatiert:

Das Verfahren ist nicht nur national ein Einzelfall, sondern auch international in dieser Form noch nicht vergleichbar umgesetzt worden.

National gibt es viele komparative Planungsverfahren und in der Schweiz wird zurzeit ein sehr ähnliches Verfahren bei der Endlagersuche durchgeführt. Offensichtlich brauchen BfE wie auch BGE solches Pioniergehabe, wie es in der Politik üblich ist – siehe hier.

Handlungsspielräume und Aufsicht

Gleich darauf folgt die Passage:

Gleichzeitig benötigt das BfE Wissen zu den möglichen Handlungsspielräumen der jeweiligen Verfahrensbeteiligten, da das StandAG keine konkreten Vorgaben zu solchen Handlungsspielräumen macht.

Hier steht zu befürchten, dass das BfE diese Handlungsspielräume in der Rolle als Aufsicht beseitigen wird, was mit dem StandAG nicht vereinbar wäre.

Die wissenschaftlichen Begründungen der StandAG-Kriterien werden nachgeliefert

Überraschend kommt in Verbindung mit den Abwägungskriterien die Formulierung:

Allerdings enthält das StandAG keine detaillierte wissenschaftliche Begründung insbesondere der quantitativen Anforderungen und Kriterien sowie der Einteilung in die verschiedenen Wertungsgruppen.

Das kann interessant werden, steht hier eine Novellierung des StandAG an?

Langzeitrisikomodellierung

Unter dem Absatz  5.7 Sicherheitsbetrachtungen, der eher mit Risikobetrachtungen benannt werden sollte, wird zu Langzeitrisikomodellierungen das Ziel aufgestellt, Open Source Programmen einsetzbar zu machen. Dies könnte im Zusammenhang mit dem ENTRIA-Projekt um ReSUS mit Praxistest durch SchülerInnen eine sinnvolle Entwicklungsstufe sein. Interessant wäre ein Einsatz bei der neu zu erstellenden Langzeitrisikomodellierung zum ZERAM (Zwischen- und Endlager Radioaktiver Abfälle Morsleben) oder bei der ÜsiKo (Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers Konrad).

Neu gegründete Regulierungsbehörde?

An anderer Stelle wird betont:

Das BfE als neu gegründete Regulierungsbehörde baut deshalb Organisations- und Managementstrukturen auf, die geeignet sind, die Aufgabenwahrnehmung bei Aufsichts- und Genehmigungstätigkeiten in optimaler Weise und insbesondere unter Beachtung von Sicherheitsaspekten zu unterstützen.

Das BfE hat wesentliche Regulierungsaufgaben (Genehmigung Transporte-Zwischenlager, kerntechnische Sicherheit, Endlagerüberwachung) vom BfS auch personell übernommen. Hinzugekommen ist lediglich die Regulierungsaufgabe zum StandAG. Es fragt sich hier, ob die am BfS entwickelte übersteile Hierarchie auch am BfE installiert wird. Die Außenwahrnehmung scheint dieses voll und ganz zu bestätigen. Ist das die optimale Weise? Da kommen interessante Forschungsprojekte auf uns zu. Aber welche ForschungsnehmerIn wird den Mut haben, diese Hierarchie infrage zu stellen?

Unsicherheiten, Ungewissheiten und fehlendes Wissen

In  Forschungsstrategie und -agenda werden die Begriffe Unsicherheiten, Ungewissheiten und fehlendes Wissen mehrfach thematisiert, ohne diese systematisch gegeneinander abzugrenzen. Der soziologisch im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Wissensgesellschaft – siehe zum Beispiel Nachrichten aus der Wissensgesellschaft – Analyse zur Veränderung der Wissenschaft – geprägte Fachbegriff Nichtwissen taucht lediglich als Layoutbestandteil in der Strategie auf. Ist mit fehlendem Wissen Nichtwissen gemeint, wie es insbesondere von Wehling eingehend wissenschaftlich behandelt wurde – siehe Im Schatten des Wissens? Perspektiven der Soziologie des Nichtwissens – und wird?

Für Öffentlichkeitsbeteiligung und Monitoring wichtig

Dieser Aspekt ist wichtig – siehe auch ENTRIA: Nele Wulf: Decision Making in Spite of Ignorance? Phenomena of Ignorance in Sweden’s Radioactive Waste Management – und könnte direkt mit Beispielen konkretisiert werden. So entspringt nach AkEnd der Nachweiszeitraum 1 Mio. Jahre dem geowissenschaftlichen Nichtwissen, was jedoch häufig verkannt wird. Die Anwendung der soziologischen Erkenntnisse zum Nichtwissen hat weitreichende Konsequenzen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Diskussion um Rückholung, Bergung und Monitoring.

Expertenurteil

Vom BfE wird auch das Entstehen von Expertenurteilen hinterfragt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die von der ESK in ihrem Konsultationsbeitrag aufgeworfenen Frage des Expertendissenses. Eine praktische Anwendung läge beim zähen Streit zwischen BGR und Landesamt für Geologie Sachsen-Anhalt über das geologische Modell zum ZERAM. Dieser Expertendissens behindert seit etwa acht Jahren die Prüfung der Langrisikoabschätzungen durch die Genehmigungsbehörde.

War das eine Online-Konsultation?

Befremdlich ist das Vorgehen des BfE, die Konsultation in verdeckter Form durchzuführen. Die Konsultationsbeiträge wurden bisher nicht öffentlich gemacht. Unter Internet-Konsultation oder auch Online-Konsultation versteht man in der Regel ein anderes Verfahren. Doch auf dem Workshop wird sicherlich eine stringente Begründung zu diesem Vorgehen geliefert werden.

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