EndlSiAnfV/EndlSiUntV: Erste Prüfung auf Vollständigkeit verlief negativ

Nicht an Erarbeitung beteiligt, sondern mit klammheimlich erarbeitetem Text konfrontiert

Zur Novellierung der Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wurde – wie bereits zur Novellierung im Jahr 2008/2009 – siehe hier – ein sogenanntes Symposium veranstaltet. Es sollte die Empfehlung der Endlagerkommission umsetzen, die formulierte:

Die unter Beteiligung der Länder und der Öffentlichkeit zu erarbeitende Verordnung muss spätestens mit Beginn von Schritt 3 der Phase 1 des Standortauswahlverfahrens vorliegen…

Die Öffentlichkeit wurde an der Erarbeitung aber nicht beteiligt, sondern ist mit einem von einem erlauchten Kreis von Expert*innen und den Ländern klammheimlich erarbeiteten Text konfrontiert worden. Mit Erfolg haben Initiativen gefordert, wenigstens den Zeitraum für Stellungnahmen um zwei Monate bis zum 20.11.2019 zu verlängern.

Dialog Endlagersicherheit ohne Dialogbereitschaft

Neben dem Symposium wurde ein sogenannter Dialog Endlagersicherheit im Internet angeboten. Zu einem Dialog kam es aber weder auf dem Symposium noch im Internet, da sich das BMU als ein Dialogpartner der fachlichen Diskussion verweigerte.

Ein halbes Jahr totales Schweigen

Am 19.05.2020 – ein halbes Jahr nach dem Ende der Frist für Stellungnahmen – veröffentlichte das BMU eine Auswertung der Stellungnahmen und gleichzeitig die veränderten Verordnungen, die mit 06.04.2020 datiert sind. In den sechs Monaten dazwischen herrschte absolute Funkstille. Nicht einmal ein Zeitplan für die weitere interne Bearbeitung der Verordnungen drang nach Außen. Zu dem Verfahren gab es auch einen Newsletter. Auch über diesen Informationskanal wurde zum Arbeitsstand nichts mitgeteilt.

Mit 260 Seiten Papier konfrontiert

Am 19. Mai wurde die Öffentlichkeit wieder mit einem Berg von Unterlagen konfrontiert – 260 Seiten Papier. Die Auswertung der Stellungnahmen umfasst gute 120 Seiten, die neuen Verordnungen gut 60 Seiten und die grundlegende Studie GRS – A – 3985 zur Leckrate 70 Seiten. Eine Gegenüberstellung der alten Verordnungsentwürfe und der neuen Versionen wäre sehr hilfreich, diese fehlt aber.

GRS-Studie zur Leckrate lag bereits November 2019 vor

Die GRS-Studie zur Leckrate ist mit November 2019 datiert. Wenigstens diese Studie hätte der Öffentlichkeit zeitnah präsentiert werden können. Aber weder über die Beauftragung noch den Abschluss dieser Expertise war im Newsletter etwas zu erfahren.

Erste Prüfung auf Vollständigkeit kommt zum negativen Ergebnis

Eine erste Prüfung, ob die öffentlich bekannten Stellungnahmen vollständig berücksichtigt wurden, kommt zu einem negativen Ergebnis. Arbeitet man von hinten, also von der letzten Stellungnahme von Miriam Staudte, veröffentlicht am 21.11.2019, kann man das sofort feststellen. Frau Staudte merkt an, dass die Begrifflichkeit Endlagersicherheitsverordnung nicht berücksichtigt, dass ein bestmöglicher Standort ausgewählt werden soll. Deshalb müsste formuliert werden Mindestanforderungen an die Sicherheit. Dies wurde von ihr auch mündlich im entsprechenden Workshop auf der Statuskonferenz am 14.11.2019 vorgetragen. Da endlagerdialog.de diesen Aspekt als für sehr wichtig empfand und zu befürchten war, dass diese Vorstellung in der Kategorie Kein konkreter Änderungsvorschlag landen würde, wurde dies folgendermaßen konkretisiert:

Leider kann der Titel der Verordnung nicht annotiert werden, deshalb an dieser Stelle: Der Titel „Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle“ ist zu ersetzen durch „Mindestsicherheitsanforderungen an die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle“

Davon ist in der Auswertung der Stellungnahmen nichts zu finden, obwohl genau diese Rolle neu ist gegenüber den Sicherheitsanforderungen 2010. Es muss zum Ausdruck gebracht werden, dass die Funktion der Sicherheitsanforderungen sich hier massiv verändert hat.

Nicht veröffentlichte Stellungnahmen und Aspekte aus Symposium und Workshop?

Weiterhin fehlen auch Hinweise, dass nicht alle Stellungnahmen veröffentlicht wurden. Hat das BMU eigentlich darauf hingearbeitet, die Veröffentlichungsrechte zu erhalten? Für die Transparenz des Verfahrens wäre das wichtig gewesen. Weiterhin gibt es auch keinerlei Hinweise, welche Aspekte, die mündlich auf dem Symposium und beim Workshop auf der Statuskonferenz vorgetragen wurden, konkret in die Bearbeitung eingeflossen sind. Die Videos sind ja schön und gut, helfen aber bei der konkreten Arbeit wenig.

6 Gedanken zu „EndlSiAnfV/EndlSiUntV: Erste Prüfung auf Vollständigkeit verlief negativ

  1. ZENTRALE FORDERUNG AUS FORUM 3 NICHT UMGESETZT

    Die in Forum 3 der BfE-Statuskonferenz 2019 sowie in zahlreichen Stellungnahmen zum Referentenentwurf erhobenen Forderung, menschliches Eindringen als wahrscheinliche Entwicklung einzustufen bzw. gleichrangig mit diesen zu behandeln, wurde nicht umgesetzt. Es fragt sich, warum nicht. Eine Analyse:

    Auch die sogenannten Experten geben hinter vorgehaltener Hand die Einschätzung ab, daß unter der Annahme, daß die Menschheit noch eine Million Jahre existiert, die Wahrscheinlichkeit für menschliches Eindringen in das Endlager über diesen Zeitraum 100% beträgt. Diese Wahrscheinlichkeit ergibt sich nicht aus geologischen oder ingenieurtechnischen Berechnungen, sondern aus soziologischen Überlegungen und der „praktischen Vernunft“. Aber während sich das BMU anderswo in der Verordnung und der Stellungnahmentabelle wiederholt auf die „praktische Vernunft“ beruft, wird an dieser Stelle eine „nur“ auf soziologischen Überlegungen und der praktischen Vernunft basierende Wahrscheinlichkeit in ihrer Bedeutung als a priori nicht sicherheitsrelevant deklariert. Denn nichts anderes bedeutet die Nicht-Berücksichtigung dieses realen Bedrohungsszenarios bei der entscheidenden Dosisberechnung nach §7 und die Zuweisung der alleruntersten Prioritätenstufe nach § 12 der Sicherheitsverordnung.

    Das ist weder logisch noch ethisch begründbar. Der Deutsche Bundestag sollte sich bewusst sein, daß mit einer Bestätigung dieser technophilen Sichtweise ein Sicherheitsverständnis per Verordnung an die Endlagersuche und das Endlager angelegt würde, das von dem tief im Wertekanon der Gesellschaft verankerten Sicherheitsverständnis abweicht. Dieser Widerspruch würde sich auch mit allen Fach- und Regionalkonferenzen nicht auflösen lassen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Ganz egal für wie wahrscheinlich die Gesellschaft menschliches Eindringen hält. Ganz egal welche radiologischen Konsequenzen die Experten für einen solchen Fall mit ihren „stylized scenarios“ vorausberechnen. Auf das Endlagerkonzept darf dieser Aspekt nach § 7 und § 12 keinen signifikanten Einfluss haben. Man könnte fast darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre.

    Das BMU verweist in der Begründung für diesen bemerkenswerten Sachverhalt auf „die nach internationalem Stand von Wissenschaft und Technik übliche Vorgehensweise“. Dazu ist anzumerken: Wenn mehrere Interessensvertreter sich einig sind, macht das noch keinen Stand von Wissenschaft und Technik. Dafür bräuchte es eine Debatte in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Doch zum entscheidenden Punkt – niedrigste Prioritätsstufe für alle Bedrohungen, die sich aus zukünftigen menschlichen Aktivitäten ergeben – ist keine einzige Publikation in einer begutachten Fachzeitschrift bekannt. International sind es vielmehr die interessengeleiteten Betreiberorganisationen, die versuchen, diese hanebüchene Vorgehensweise als „üblich“ zu verkaufen.

    Dabei ist diese Vorgehensweise alles andere als alternativlos. Wenn man die Endlagersicherheit bezüglich der fraglichen Szenarien auf der aller-nachrangigsten Stufe optimieren kann, wie in § 12 vorgesehen, dann kann man das auch an höherrangiger Stelle tun. Wie eben von Forum 3 der Statuskonferenz gefordert. Man muss es nur wollen!

    {An die Redaktion: Mit 500 Wörtern sprengt dieser Beitrag vielleicht den Rahmen für einen Kommentar. Aber hier scheint das einzige Forum zu sein, wo noch eine Diskussion geführt werden kann…}

    • Dem ist (leider) schwer zu widersprechen. Und es kommt eines hinzu: Nachrangig zu berücksichtigen ist überhaupt nur das unbeabsichtigte Eindringen. Vom Gegenteil, dem Eindringen mit (z.B. terroristischer) Absicht, heißt es in der Begründung lediglich, dieses sei „nicht zu betrachten“, sondern „von den zukünftig lebenden Menschen zu verantworten“. Erstaunlich.

      • Ja. Auch der von Ihnen aufgezeigte Aspekt sprengt die Grenzen der praktischen Vernunft. Wie konnte das BMU solche Absurditäten vorlegen? Genauso gut könnte man in einer betrieblichen Sicherheitsanalyse bei der Betrachtung äußerer und innerer Einwirkungen (z.B. § 8 der zweiten Verordnung) Sabotage-Akte ausschließen mit der Begründung, diese seien von den beteiligten Menschen zu verantworten. Das ist Satire!

        Was meint eigentlich das NBG dazu? Wenigstens die neuen Mitglieder könnten doch mit ihrem unvoreingenommenen gesunden Menschenverstand das BMU‘sche „die Achillesferse der Endlagerung schließen wir aus der Betrachtung aus, weil – das bestätigen auch die internationalen Experten – so kann man die Sicherheit einfach besser nachweisen“ hinterfragen, und dann ihrer eigenen Skepsis mehr vertrauen als den „das hat schon alles seine Richtigkeit“ Beschwichtigungen vom BMU. Hier muß schnell eine kritische Stellungnahme her, sonst wachen die Bundestagsabgeordneten nicht auf. Wenn DAS drinbleibt: Welches wissenschaftsbasierte Verfahren gibt es dann noch zu begleiten?

        • Weitere Details:
          Ganz konkret eine Abkehr von der Niedrigst-Priorisierung von Entwicklungen auf Grundlage zukünftiger menschlicher Aktivitäten (Entwicklungen aGzmA) wurde nicht nur von Forum 3 in der 2. Statuskonferenz eingefordert, sondern einhellig auch in den Kommentaren und Stellungnahmen zum Referentenentwurf von 3 Einzelpersonen und 8 zivilgesellschaftlichen Organisationen. In der Stellungnahmentabelle des BMU wird berichtet, daß die meisten dieser Einwendungen „teilweise übernommen“ oder „bereits anderweitig abgedeckt“ worden seien. Dies ist stark beschönigend, weil lediglich die semantische Entgleisung des Referentenentwurfs (zukünftige menschliche Aktivitäten, die zudem mit DERZEIT ÜBLICHEN Aktivitäten bei der Modellierung ersetzt werden, als „hypothetische Entwicklung“ zu bezeichnen) korrigiert wurde. In der ganz konkreten Causa „Niedrigst-Priorisierung von Entwicklungen aGzmA“ hielt es BMU nicht für nötig, die überdeutliche Forderung aus der Zivilgesellschaft zu berücksichtigen.

          Hier der Einspruch der Organisationen:
          • BI Lüchow-Dannenberg e.V.: „Aus unserer Sicht gehören die Aspekte ‚Einwirkungen Dritter‘ und die Proliferationsgefahr nicht herabgestuft unter ferner liefen […]. Der Satz in §12 Absatz3 ‚Die Optimierung zur Verringerung möglicher Auswirkungen von zukünftigen menschlichen Aktivitäten nach §3 Absatz 7 ist nachrangig durchzuführen‘ ist nicht hinnehmbar.“
          • AG Schacht Konrad e.V.: „Bei der Optimierung des Endlagersystems [muss] die Verringerung möglicher Auswirkungen von zukünftigen menschlichen Aktivitäten unbedingt und nicht nachrangig durchgeführt werden.“
          • IPPNW: „Für das menschliche Eindringen müssen Schutzmaßnahmen nach dem Maßstab einer bestmöglichen Sicherheit vorgeschrieben werden.“
          • BUND: „Ein Endlagersystem [ist auch] gegen den Fall illegitimen menschlichen Eingriffs zu optimieren.“
          • endlagerdialog.de: „Das unbeabsichtigte menschliche Eindringen ist nicht hypothetisch, sondern wahrscheinlich. Es gilt die Wahrscheinlichkeit dafür zu verringern.“
          • Rechtsanwälte Günther Partnerschaft: „Jede Form des menschlichen Eindringens durch einen Satz des Verordnungsgebers für ausgeschlossen zu erklären, wird der Komplexität der Sache nicht gerecht und überzeugt nicht.“
          • NBG: „Nicht zu rechtfertigen ist die Einordnung von [Entwicklungen aGzmA …] als „hypothetische Entwicklungen“, für die keine Dosiswerte gelten.“ bzw.
          o Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Mertins: „Menschliches Einwirken ist dabei nicht als hypothetischer Fall zu klassifizieren. Es sind vielmehr die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass durch jetzige und künftige Generationen ein unbeabsichtigtes Eindringen praktisch ausgeschlossen werden kann.“ bzw.
          o Dr. Anne Eckhardt: „Die Nachrangigkeit der Optimierung zur Verringerung von Auswirkungen zukünftiger menschlicher Aktivitäten in § 12 Absatz 3 Entwurf EndlSiAnfV sollte allerdings aufgehoben werden.“

  2. BI Lüchow-Dannenberg arbeitet schnell

    Die BI Lüchow-Dannenberg hat zu den Verordnungen bereits eine Stellungnahme erarbeitet, obwohl nicht einmal der Termin zur Behandlung im Umweltausschuss des Bundestages veröffentlicht wurde.

    Sehr interessant ist die aufgespürte Änderung in § 4 Abs. 3 Nr. 1. Die ursprüngliche Formulierung

    Die wesentliche Barrieren beim sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle sind
    1. ein oder mehrere einschlusswirksame Gebirgsbereiche im Zusammenwirken mit den zur Abdichtung erforderlichen technischen und geotechnischen Verschlüssen oder…..

    wurde geändert in

    Die wesentliche Barrieren beim sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle sind
    1. ein oder mehrere einschlusswirksame Gebirgsbereiche oder…..

    Dies geht zurück auf Stellungnahme Nr. 86

    Anstatt „Verschlüsse“ würde ich hier den weiter gefassten Begriff „Barrieren“ vorschlagen, um in künftigen Sicherheitskonzepten auch die Behälter bzw. Behälterumgebung miteinzubeziehen.

    Antwortkategorie: Übernommen
    § 4 Abs. 3 Nr. 1 EndlSiAnfV wurde präzisiert, sodass der Begriff „Verschlüsse“ nicht mehr verwendet wird.

    Die ursprüngliche Formulierung geht zurück auf die ESK-Stellungnahme vom 21.02.2019 S. 3:

    Bei Endlagersystemen, die wesentlich auf einer geologischen Barriere beruhen (also bei Endlagern in Steinsalz und Tongestein), wird ein ewG als der Teil des Gebirges definiert, der (zusammen mit den technischen und geotechnischen Barrieren/Verschlüssen) den sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle in einem Endlager gewährleistet (§ 2 Abs. 9 in [1]).

    Die oben genannte Stellungnahme Nr. 86 bemängelte ja lediglich den Begriff Verschlüsse. Eine entsprechende Änderung würde lauten:

    Die wesentliche Barrieren beim sicheren Einschluss der radioaktiven Abfälle sind
    1. ein oder mehrere einschlusswirksame Gebirgsbereiche im Zusammenwirken mit den zur Abdichtung erforderlichen technischen und geotechnischen Barrieren oder…..

    Das BMU ging aber wesentlich weiter und erwähnt technischen und geotechnischen Barrieren beim Vorliegen eines einschlusswirksamen Gebirgsbereichs überhaupt nicht mehr. Welche Konsequenzen hat dies?

    Zwar werden in § 5 Abs. 4 weiterhin Anforderungen an diese Barrieren gestellt, jedoch spielen sie bei der Bestimmung der Leckrate nach § 4 Abs. 5 keine Rolle mehr, was fachlich nicht gerechtfertigt ist.

  3. Sitzung des Umweltausschusses des Bundestages

    Der Umweltausschuss wird sich in einer öffentlichen Anhörung am 29.06.2020 mit den Verordnungen zu den Sicherheitsanforderungen und Sicherheitsuntersuchungen befassen – siehe hier.

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