Was bedeutet „wissenschaftsbasiert“?

Die fünf Kriterien

Das Standortauswahlverfahren sollte nach § 1 Abs. 2 StandAG folgende fünf Kriterien erfüllen:

  • partizipativ,
  • wissenschaftsbasiert,
  • transparent,
  • selbsthinterfragend und
  • lernend.

Was bedeutet dabei wissenschaftsbasiert? Reicht es dabei aus, dass im Elfenbeinturm klammheimlich Methoden entwickelt werden, diese ohne Rücksicht auf Reichweite im Internet kurz zur Diskussion gestellt werden und dann flugs angewendet werden?

Der Wissenschaftsrat meldet sich zu Wort

Um diese Fragen zu beantworten, sollte man sich die Hintergrundinformation des Wissenschaftsrats vom 25.01.2021 mit dem Titel Impulse aus der COVID-19-Krise für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland ansehen, wo auf Seite 3 unter Handlungsbedarf ausgeführt wird:


Wissenschaftskommunikation ist auf das Engagement von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angewiesen, die über wissenschaftliche Erkenntnisse in Dialog treten, die Logik wissenschaftlichen Arbeitens und die Bedingungen der Produktion wissenschaftlichen Wissens transparent vermitteln und zudem Vertrauen erzeugen können. Für den professionellen Umgang mit der vielfältigen Medien- und Kommunikationslandschaft sowie der Heterogenität von Adressaten und deren selektiver Rezeptionsbereitschaft sind Unterstützungsstrukturen in den wissenschaftlichen Einrichtungen erforderlich. Zudem liegt es im Eigeninteresse des Wissenschaftssystems, sich an der Suche nach Lösungen zur Verbesserung der Situation von Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten zu beteiligen.

Zutreffend auch für die Standortsuche und die Geowissenschaften

Auch wenn diese Zeilen aus der aktuellen Lage im Hinblick auf die medizinischen Wissenschaften entstanden sind, treffen sie haargenau auf das Problem der Standortsuche und damit die Geowissenschaften zu. Auch hier spielen Wissenschaft und Transparenz eine große Rolle mit dem Ziel, Vertrauen zu schaffen. Doch wenn man sich die Entwicklung seit 2017 ansieht, dann spielen Wissenschaft, Transparenz und Kommunikation kaum eine Rolle, geschweige denn Vertrauensbildung. Zwar gibt es immer wieder Sonntagsreden zu den oben erwähnten fünf Kriterien, umgesetzt wird aber nichts – siehe zum Beispiel Fehlerkultur – was ist daraus geworden?. Hatte die Entwicklung bei der Arbeit der Endlagerkommission durch zunehmende Transparenz eine gewisse Hoffnung auf einen Kulturwandel bei den öffentlichen Institutionen erweckt, so enttäuschend ist der Rückzug in die Intransparenz in Abstufung bei BMU, BfE/BaSE, BGE und selbst beim NBG.

Von wissenschaftsverbrämten Vorlagen zu wissenschaftsbasierten Methoden

Sicherlich war es nicht einfach, aus den lediglich wissenschaftsverbrämten Vorlagen der Endlagerkommission wissenschaftsbasierte Methoden zur Endlagersuche zu entwickeln. Schon die Formulierung des StandAGs durch die BMU-Jurist*innen lief in die falsche Richtung – erinnert sei der Ersatz des Ansatzes des Hamburgischen Transparenzgesetzes durch die Knebelung mit Verweis in § 6 StandAG auf § 10 UIG (Kommentar StandAG, § 6 Rn.6). Es reicht bei Weitem nicht aus, eine Onlinekonsultation zu den Methoden ohne Anstrengungen zur Reichweitenvergrößerung anzubieten. Diese Konsultation dann als Öffentlichkeitsbeteiligung und Beispiel eines lernenden Vorgehens zu verkaufen, grenzt an Frechheit – siehe Zwischenbericht Zeile 745 bis 765.

Gründe der gescheiterten Öffentlichkeitsbeteiligung

Die Reichweite dieser Onlinekonsultation war unter anderem deshalb so gering, weil

  1. wesentliche Punkte offensichtlich in geheimen Gesprächen mit den Staatlichen Geologischen Diensten festgezurrt wurden, worüber es nicht einmal öffentlich zugängliche Protokolle gibt – siehe hier – , und
  2. das BfE/BaSE es versäumt hat, geologische Grundkenntnisse mit wissenschaftsjournalistischen Methoden zu vermittel, obwohl nach § 5 StandAG dieses zum Aufgabengebiet des Amtes gehört – siehe auch Deutliche Defizite bei der Öffentlichkeitsbeteiligung.

Dazu sei auch die Arbeit von Alpiger, C. und A. Vatter.(2016). Evaluation regionaler Partizipationsverfahren bei der Standortsuche für Tiefenlager von radioaktiven Abfällen – Erster Zwischenbericht aus dem Forschungsprojekt „Partizipative Entsorgungspolitik“ empfohlen.

Ein Gedanke zu „Was bedeutet „wissenschaftsbasiert“?

  1. Wo stehen wir gesellschaftlich im politischen Prozess bezüglich Wissenschaftsbasierheit?

    Sehr deutlich zeigt das Format Sachverständigenanhörung im Bundestag, wo wir leider gesellschaftlich stehen und wie wichtig der oben zitierte Handlungsbedarf nach Wissenschaftsrat ist. Dazu Jörg Sommer in Wissen als Risiko:

    Tatsächlich ist das unterschiedliche Wissensniveau in demokratischen Prozessen immer wieder eine der größten Herausforderungen. Egal ob in gewählten Parlamenten, in freien Debatten oder in organisierten Beteiligungsprozessen: Fast immer wissen die Expert*innen erheblich mehr über den Sachverhalt, als diejenigen, die diskutieren oder entscheiden.

    Im Deutschen Bundestag hat man die Problematik aus Sicht der Abgeordneten charmant gelöst: Expertenanhörungen finden ausschließlich in Ausschüssen statt, dort müssen die Fachleute ihren Input vorab zu Protokoll geben und bekommen dann in der Regel noch zwei bis maximal drei Fragen gestellt – für die Antwort haben sie meist noch eine Minute Zeit. Kein Risiko für die Parlamentarier, allzu sehr beschämt zu werden, es sei denn, man stellt eine dämliche Frage. Da die Fragen aber in der Regel zwischen Abgeordneten und den von ihnen ausgewählten Expert*innen abgesprochen werden, ist auch dieses Risiko marginal.

    Ich habe solche, stark ritualisierten Prozesse oft genug mitgemacht, um zu wissen: Ausschussanhörungen haben in der Regel weniger mit Wissensvermittlung als mit Selbstbestätigung zu tun. Die Erarbeitung von Wissensgrundlagen sowie deren Verarbeitung im Parlament findet – durchaus effektiv – an anderen Stellen und zu anderen Zeiten statt. Ein zentrales Problem aber bleibt: Die Entscheidungsträger*innen müssen ihre Meinungsbildung am Ende immer auf Basis eines höchst selektiven Teilwissens treffen.

    endlagerdialog.de hatte bei der Anhörung zu den Sicherheitsverordnungen das Vergnügen, dieses hautnah mitzuerleben.

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