Bayerische Einflussnahme oder Trickserei von anderer Seite?

Ein Artikel in SPIEGEL-Online

Ein Artikel in SPIEGEL-Online vom 05.05.20120 mit der Überschrift Atommüll in Bayern? Nein, Danke! ließ aufhorchen. Danach aktivierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder den Bundesinnenminister, damit dieser verhinderte, dass die Verordnung über die sicherheitstechnischen Anforderungen an die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle (Entwurf mit Stand 11.07.2019) am 18.03.2020 in der Kabinettssitzung beschlossen wurde. Die Behandlung im Kabinett ist offiziell wegen der Priorität von Maßnahmen zur Corona-Pandemie abgesetzt worden. Die für den 25.03.2020 vorgesehene Anhörung im Umweltausschuss wurde daraufhin abgesagt.

Corona vorgeschoben?

War Corona eine vorgeschobene Begründung und gab es wirklich eine bayerische Kungelei? Soll über die Sicherkriterien verhindert werden, sodass die Kristallinvorkommen in Bayern als mögliche Standorte für das Endlager nicht infrage kommen? Wie wahrscheinlich ist das?

Die sicherheitstechnischen Anforderungen in der sogenannten Öffentlichkeitsbeteiligung

Die sicherheitstechnischen Anforderungen waren Gegenstand einer Veranstaltung Mitte September 2019, die als Öffentlichkeitsbeteiligung deklariert war – siehe Sicherheitsanforderungen etc.: Lange nichts mehr gehört! Zur Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen zum Verordnungsentwurf wurde am 16.03.2020 vom zuständigen BMU-Referat S III 2 mitgeteilt, das Referat arbeite intensiv am Auswertungsdokument. Das ist sehr fragwürdig, da zwei Tage später die Kabinettsbefassung vorgesehen war. Eigentlich sollte für die Kabinettsvorlage die Auswertung schon längst geschehen sein. Die Auswertung liegt immer noch nicht vor. Eine entsprechende Nachfrage vom 22.04.2020 wurde noch nicht beantwortet.

SPIEGEL-Artikel inhaltlich dünn

Der SPIEGEL-Artikel ist relativ dünn bezüglich des konkreten Vorgehens, durch welche Regelung in den Sicherheitsanforderungen die bayerischen Kristallinvorkommen ausscheiden sollen. Allein durch die Nichtbehandlung im Kabinett ist schließlich nichts gewonnen. Auch eine zeitliche Verzögerung des Suchverfahrens findet dadurch nicht statt, denn zum Zwischenbericht Teilgebiete nach § 13 StandAG, der weiterhin für Ende September angekündigt ist, ist die Verordnung zu den Sicherheitsanforderungen ohne Bedeutung.

Soll die Leckrate die Stellschraube sein?

Als ein möglicher Ansatzpunkt, wie Kristallinstandorte in Bayern verhindert werden könnten, wird die Leckrate diskutiert (Art. 1, § 4 Abs. 4 Entwurf). Dazu muss man sich die relativ komplizierten Regelungen zum Gestein Kristallin im StandAG ansehen. Nach erster Durchsicht sind für Kristallin folgende fünf Fälle nach StandAG denkbar:

  1. Normaler einschlusswirksamer Gebirgsbereich im kluftlosen Kristallingestein 
  2. Mehrere einschlusswirksame Gebirgsbereiche im kluftlosen Kristallingestein
  3. Geringmächtiges kluftloses Kristallinwirtsgestein mit geotechnischen und technischen Barrieren  
  4. Überlagerung des klüftigen Kristallingesteins durch dichte Schicht (Salz, Ton)
  5. Behälterlösung in Kombination mit geotechnischer Barriere 

Der Behälter wird die wesentliche Rolle spielen

Bei den Konfigurationen 3 und insbesondere 5 spielt der Behälter neben der geotechnischen Barriere die wesentliche Rolle. An das Kristallin wird im Fall 5 lediglich die Anforderung gestellt, dass es den Behälter mechanisch schützt. Jedes Kristallingestein, das tiefer als 300 m liegt und eine gewisse Mächtigkeit aufweist, ist also geeignet. Hinzu kommt, dass von den meisten tiefen Kristallingesteinen aufgrund der geringen wirtschaftlichen Bedeutung nur wenige Daten vorliegen. All diese Kristallinvorkommen sind also entweder für Konfiguration 5 geeignet oder können wegen nicht hinreichender geologischer Daten nicht eingeordnet werden.

Rückhaltevermögen des Behälters muss erst sehr spät nachgewiesen werden

Der Nachweis, dass der Behälter ein entsprechend hohes, langfristiges Rückhaltevermögen hat, muss aber nach § 23 Abs. 4 StandAG erst beim Vorschlag des Vorhabenträgers an die Regulierungsbehörde über endgültigen Standort nach § 18 Abs. 3 geführt werden. D. h. Kristallinvorkommen werden es schwer haben, aus der Auswahl auszuscheiden.

Manipulationen bei den sicherheitstechnischen Anforderungen erst einmal folgenlos

Die Leckrate (Art. 1, § 4 Abs. 4 Entwurf Sicherheitsanforderungen) kann insofern auch erst sehr spät greifen – praktisch erst zum Schluss des Auswahlverfahrens. Damit ist eine Manipulation an den Sicherheitsanforderungen erst einmal folgenlos. Auch andere einseitigen Manipulationsmöglichkeiten werden leicht aufzudecken sein, wenn die Anforderungen dem Bundestag vorgelegt werden.

Bayern wird weiterhin mit potenziellen Endlagerstandorten im Kristallin leben müssen

Bayern wird also weiterhin mit potenziellen Endlagerstandorten im Kristallin leben müssen. Dabei beschränken sich die Kristallinvorkommen nicht auf die drei in der BGR-Kristallinstudie von 1994 bezeichneten – Fichtelgebirge, nördlichen Oberpfälzer Wald und Saldenburg. In dieser Studie wurden lediglich oberflächennahen Vorkommen betrachtet. Die Studie Reinhold, K.(2005). Tiefenlage der Kristallin-Oberfläche in Deutschland liefert weiteres Material.

Bayerische Einflussnahme oder Trickserei von anderer Seite?

Wenn die in dem SPIEGEL-Online geschilderte bayerische Einflussnahme zutrifft, so ist sie eher wirkungslos. Oder wurde hier von anderer Seite getrickst, um Bayern in schlechtem Licht erscheinen zu lassen? Wer hätte Interesse daran? Vielleicht der Fachbeamte, der im SPIEGEL-Artikel mit

In normalen Zeiten hätte eine solche Provokation große Wellen geschlagen!

zitiert wird? Mit der Festlegung im Koalitionsvertrag Bayern für die Legislaturperiode 2018-2023 auf Seite 31:

Wir denken beim Schutz unserer Heimat über Generationen hinaus. Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.

hat die bayerische Landespolitik damit aber selbst begonnen.

13 Gedanken zu „Bayerische Einflussnahme oder Trickserei von anderer Seite?

  1. Ministerentwurf der Verordnung über die sicherheitstechnischen Anforderungen an die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle jetzt veröffentlicht

    Nun ist die oben genannte Verordnung veröffentlicht und dem Bundestag zugeleitet worden – siehe hier.

    Misteriös ist, dass der Ministerentwurf das Datum 06.04.2020 trägt, also bereits sechs Wochen alt ist.

    Positiv ist zu bewerten, dass es eine Auswertung der sogenannten Öffentlichkeitsbeteiligung gibt. Um das Papier inhaltlich beurteilen zu können, gilt es jetzt, die knapp 130 Seiten durchzuarbeiten.

  2. Neues zu Kristallin

    Zur Eigenschaft von Kristallingestein als Barriere für Radionuklide gibt es einen neuen Artikel mit dem Titel Mineral reaction kinetics constrain the length scale of rock matrix diffusion.

    Was sagt die deutsche scientific community dazu – und zu den diversen Studien im Zusammenhang mit der deutsch-russischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet? Und CHRISTA?
    Ist es nicht Zeit, all diese Papiere in einem Kristallin-Symposium zu diskutieren?

  3. Nun die spannende Frage, wo hat sich im neuen Entwurf etwas im Bezug auf Kristallin geändert. Durchsucht man die Änderungen nach Kristallin explizit finden sich nur diese drei Stellen mit vermeintlich kleinen Änderungen:

    § 4 Abs. 3 (auch die Begründung)

    Begründung zu § 6 Abs. 1

    • Ich kann da lediglich die Streichung in § 4 Abs. 3 Nr. 1 sehen, die fachlich Relevanz hat. Danach müssen die „zur Abdichtung erforderlichen technischen und geotechnischen Verschlüssen“ bei der Bestimmung der Leckrate nicht mehr berücksichtigt werden.

      Das bedeutet eine gerinfügige(?) Bevorzugung des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs (in Salz, Ton und Kristallin) gegenüber der technischen/geotechnischen Variante (in Kristallin). Das ist fachlich nicht gerechtfertigt.

      Dass Kristallin aber dadurch wirklich Nachteile davonträgt, halte ich für recht gewagt!

      Siehe auch BI Lüchow-Dannenberg arbeitet schnell.

  4. Süddeutsche Zeitung lässt „Insider“ und „Beobachter“ über Kristallingestein zu Wort kommen

    In einem Artikel der Süddeuschen Zeitung vom 09.09.2020 mit dem Titel Die Furcht vor dem Endlager kommen „Insider“ und „Beobachter“ zu Wort:

    Insider gehen aber fest davon aus, dass die BGE nicht nur den Bayerischen Wald und das Fichtelgebirge als potenzielle Endlager-Standorte in der Debatte belassen will. Sondern auch viele andere in sie aufnehmen will, an die bisher kein Experte und kein Politiker gedacht hat. Im Prinzip könne es alle Regionen nördlich der Donau treffen, sagen Beobachter.

    Hat da jemand den obigen Beitrag gelesen? Oder hat er an der Veranstaltung des BUND e. V. am 27.10.2019 in Ulm teilgenommen? Oder hat er die BGR-Studie Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland – Untersuchungswürdige Regionen mit potentiellen Wirtsgesteinsformationen aus dem Jahr 2004 gelesen, Stichwort „Baden-Baden-Nürnberg-Erbendorf“-Linie auf Seite 72?

    Man muss nicht „Insider“ oder „Beobachter“ sein, es reicht eine Mitgliedschaft im Umweltverband! Und dann ist man schon besser als die „Experten“.

  5. Söder bezieht sich auf das Bayerische Landesamt

    Ministerpräsident Söder bezieht sich in seinen Aussagen, dass Bayern aus geologischen Gründen für die Endlagerung hochradioakiver Abfälle nicht geeignet sei, auf Arbeiten des Landesgeologischen Dienstes. Deshalb wurde am 30.09.2020 folgende Anfrage an das Landesamt gerichtet:

    Ministerpräsident Söder führt in der Diskussion um Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Bayern immer wieder die Arbeiten Ihres Amtes an. Soviel ich im Gedächtnis habe, gab es bereits eine Vorlage von Ihrem Amt zu dieser Frage bei der Endlagerkommission.

    Ich bitte Sie mir die Unterlagen, worauf sich Herr Söder bezieht, zukommen zu lassen.

    • Da vom Landesgeologischen Dienst bisher kein Bescheid vorliegt, wurde folgende Rückfrage an das Amt gesendet:

      …der unten stehende Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz wurde in der gesetzlich festgelegtenFrist nicht beschieden. Teilen Sie mir mit, was die Gründe sind und wann ich mit einem Bescheid rechnen kann….

  6. Zur Einflussnahme Bayerns liegt jetzt eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vor – siehe hier.

    Daraus geht hervor:

    Auf Leitungsebene des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) wurde folgendes Gespräch geführt: Am 2. Juni 2020 hat ein Informationsaustausch von Herrn Staatssekretär Dr. Kerber mit Frau Staatsrätin Karolina Gernbauer zur Verordnung über die sicherheitstechnischen Anforderungen an die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle stattgefunden.

    Neben dem IFG-Antrag an das BMU mit Titel Einfluss der Bayerischen Landespolitik anlässlich der Kabinettsentscheidung zu den Sicherheitsverordnungen wurde ein weiterer IFG-Antrag zu Unterlagen zum Gespräch am 02.06.2020 gestellt.

  7. Akteneinsicht durch NBG wegen Einflussnahme auf Sicherheitsverordnungen

    Zu TOP 6 Fragen aus der Öffentlichkeit der 45. NBG-Sitzung wurden folgende Fragen eingereicht:

    …in der NBG-Sitzung am 26.09.2020 habe ich den Antrag an das NBG gestellt, Akteneinsicht in der Frage der Beeinflussung der Kabinettsentscheidung zu den Sicherheitsverordnungen durch Bayern durchzuführen.

    1) Welche Akten welcher Institutionen wurden eingesehen?
    2) Wie hat Bayern versucht, Einfluss zu nehmen?

    • NBG macht keine Akteneinsicht

      Die Frage wurde auf der 45. Sitzung nicht behandelt. Im Nachgang wurde am 17.12.2020 mitgeteilt:

      Wir haben hierzu nochmal Rücksprache mit den Co-Vorsitzenden gehalten. Ihre Anfrage ist tatsächlich in der Sitzung nicht aufgerufen worden. Das NBG verfügt nicht über Akteneinsichtsrechte gegenüber Institutionen der Bundes- und Landesregierungen. Insoweit wurden auch keine Akteneinsichten vorgenommen.

      Ggf. stehen Ihnen Informationsansprüche nach dem Informationsfreiheitsgesetz oder – soweit Sie journalistisch tätig sind – aus dem Presserecht zu.

      Nach IFG läuft zurzeit ein Widerspruchsverfahren – siehe IFG-Antrag 201697.

  8. Versuchte Einflussnahme des BMI auf die Verordnung zu den Sicherheitsanforderungen

    Beim wiederholten Nachbohren beim IFG-Antrag an das BMU wurde ein Schreiben des BMU an das Kanzleramt vom 06.04.2020 zur Verfügung gestellt, in dem der Versuch der Einflussnahme mit folgender Formulierung festgehalten wurde:

    Das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat ist fachlich nicht betroffen, hat aber gleichwohl Änderungswünsche geäußert. Danach sollte die Verordnung die Standortsuche in Granit ausschließen. Dies widerspricht den Bestimmungen des Standortauswahlgesetzes und muss deshalb unbeachtlich bleiben.

    endlagerdialog.de hatte sich schon einmal in dieser Sache an das BMI mit einem IFG-Antrag gewendet. Auf der konretisierten Basis ist heute ein weiterer Antrag gestellt worden.

    • Das klingt nach der Art von Foulspiel, von der man nur hoffen konnte, dass sie in der Realität des Endlagersuchverfahrens nicht vorkommt. Es wäre erschreckend, wenn Mitarbeiter des Seehofer-Ministeriums versucht hätten, Teile von Bayern vorzeitig aus dem Rennen zu nehmen, und sich damit über den eindeutig dokumentierten Willen des Bundestages hinwegzusetzen, der die gleichwertige Einbeziehung aller drei Wirtsgesteinsarten vorgegeben hat. Wenn sie dazu die geschützte Kommunikation zwischen den Ministerien genutzt hätten, statt Argumente in das transparente Verfahren nach Standortauswahlgesetz einzubringen. Besonders erschreckend aber wäre es, wenn das Innenministerium, das sich gerne als „Verfassungsressort“ bezeichnet, nicht wüsste oder nicht respektierte, dass eine gesetzliche Regelung nicht per Verordnung ausgehebelt werden kann. Kaum zu glauben.

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