LAST CALL: Sicherheitsverordnungen nach §§ 26 und 27 StandAG

Erste Sitzungswoche des Bundestages nach der Sommerpause

Der Bundestag kommt in der kommenden Woche zu seiner ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause zusammen. In dieser Woche müssen die eventuellen Änderungen zu den Sicherheitsverordnungen nach §§ 26 und 27 StandAG eingebracht werden.

Öffentliche Anhörung ohne fundamentale Kritik?

Die öffentliche Anhörung dazu fand in der 77. Sitzung des Umweltausschusses statt. Trotz erheblicher Bedenken von endlagerdialog.de, die man auf gut 10 Seiten – siehe auch hier – nachlesen kann, war damals das Resümee der Vorsitzenden des Ausschusses (zitiert nach Wortprotokoll):

Ich will für den weiteren Prozess sagen, ich habe nicht den Eindruck, dass es – wie sehr oft bei Gesetzesvorlagen – wirklich fundamentale Kritik gibt und man sagt, das geht aber gar nicht mit diesem Entwurf. Und ich glaube, das liegt auch daran, dass dieser Verordnungsentwurf in der Tat die Empfehlungen der Kommission sehr, sehr weit aufgegriffen hat. Das ist wirklich sehr ausführlich und ich denke, wir werden an der einen oder anderen Stelle im Ausschuss noch diskutieren. Ich erwarte mir einen sehr konstruktiven Prozess bis zum Beschluss.

Das ist damit darauf zurückzuführen, dass in der Anhörung kaum kritische Stimmen zu Wort kamen.

Kritische Sichtweisen waren kaum zu erwarten

Vertreten waren zwei Institutionen, die maßgeblich an der Formulierung der Verordnungen beteiligt waren, dafür bezahlt wurden und weiterhin aus BMU-Mitteln finanziert werden wollen. Weiterhin war ein Jurist unter den Sachverständigen, der eingangs richtig mitteilte, dass er zu den bei den Verordnungen im Vordergrund stehenden Sachfragen nichts sagen kann. Der Vertreter des Nationalen Begleitgremiums – Nichtfachgremium von anerkannten Persönlichkeiten und Bürger*innen – war nicht einmal aufgefallen, dass aus der sogenannten Öffentlichkeitsbeteiligung nicht alles wenigstens in der Auswertung erwähnt wurde – siehe hier.

Zeit für konstruktiven Prozess nur in der kommenden Woche

Man kann nur hoffen, dass wirklich noch im Ausschuss diskutiert wird und ein konstruktiver Prozess zustande kommt. Viel Zeit bleibt nicht, der Prozess muss in der 80. Sitzung des Umweltausschusses am 09.09.2020 laufen. Da die Sitzung geheim ist, ist auch die Tagesordnung nicht öffentlich. Bei der Durchsicht der in der kommenden Woche stattfindenden Plenumssitzungen Nr. 172, 173 und 174 stehen die Sicherheitsverordnungen nicht auf den Tagesordnungen.

Unverändert in Kraft treten?

Man kann nur hoffen, dass sich das noch ändert. Sollten die Verordnungen in der kommenden Woche nicht behandelt werden, werden sie – wie vom BMU vorgeschlagen – in Kraft treten. Das wäre äußerst bedenklich. Das sei an zwei Beispielen kurz ausgeführt.

Beispiel Dosis mit Grenzwert aber ohne Definition und Untergrabung der Wissenschaftlichkeit

Es werden Grenzwerte für die sogenannte effektive Dosis festgelegt, wobei die Definition zurzeit noch fieberhaft erarbeitet wird – siehe IFG-Verfahren 192837 und 192836. Die hier begrenzte sogenannte effektive Dosis ist nicht zu verwechseln mit der Dosis im üblichen Strahlenschutz, sondern sie ist lediglich ein Indikator. Die Definition dieses Indikators und damit der Sinn oder Unsinn eines konkreten Grenzwerts hängt sehr stark davon ab, welche Modelle als Berechnungsgrundlage angewendet werden. Aber nicht nur die Grenzwertsetzung ohne Definition ist zu bemängeln, sondern auch dass seitens der Verordnung den Wissenschaftler*innen, die mit der Erarbeitung der Berechnungsgrundlage beauftragt sind, mit der Festlegung (Art. 1, § 7, Abs. 1):

Bei der Abschätzung sind die Lebensbedingungen zum Zeitpunkt der Antragstellung für den gesamten Bewertungszeitraum zu unterstellen.

Vorgaben gemacht werden, die nicht der wissenschaftlichen Diskussion entsprechen.

Schlupflöcher zur Entlassung von Teilgebieten – keine wissenschaftsbasierte Vollständigkeit

Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Untersuchungsräume (Art. 2, § 3, Abs. 2):

Für jedes Teilgebiet, jede Standortregion und jeden Standort ist mindestens ein Untersuchungsraum auszuweisen.

Dies ermöglicht Schlupflöcher zur Aussortierung von unliebsamen Teilgebieten. Bei einem Wirtsgestein im Teilgebiet müssen alle offensichtlichen vorläufigen Sicherheitskonzepte untersucht werden und nicht nur das, das am vielleicht wenigstens geeignet ist. Beim Vorliegen mehrerer Wirtsgesteine in einem Teilgebiet sind nicht nur die offensichtlichen Sicherheitsuntersuchungen jedes einzelnen Wirtsgesteins durchzuführen, sondern auch solche, die auf die Kombination der Wirtsgesteine basieren. Nur so kann Diversität zum Tragen kommen.

Die laxe Formulierung mindestens ein Untersuchungsraum widerspricht vollständig dem Anspruch der Wissenschaftsbasierheit, denn in der Wissenschaft versucht man in angemessener Form vollständig zu sein.

3 Gedanken zu „LAST CALL: Sicherheitsverordnungen nach §§ 26 und 27 StandAG

  1. Die Verordnung wird glatt durchgehen. Wer sollte denn noch kritisch diskutieren?

    Das Fundamentalproblem steckt im Prozeß. Man konnte Experten unterschiedlicher Organisationen in den Umweltausschuß einladen, ohne fundamentale Kritik erwarten zu müssen, denn das Grundinteresse der Experten ist dasselbe: Ein geologisches Endlager soll errichtet werden. Das ist qua StandAG Fakt und deshalb nicht zu kritisieren, Wenn man aber alle wissenschaftlichen Argumente und Gegenargumente bei der Entwicklung einer Sicherheitsbewertungsverordnung zulassen will – einschließlich derer, die die Schwachstellen der geologischen Endlagerung betreffen – braucht man jemanden, der ein Interesse daran hat, diese überhaupt erst einmal auf den Tisch zu legen. Dieser Akteur fehlt. Man wollte ihn nicht haben. Und jetzt steht man da, mit den unaufgelösten Konflikten zwischen Experten/Ministerium/Behörde/NBG auf der einen Seite und Zivilgesellschaft auf der anderen.

    Die Vorsitzende des Umweltausschusses hat selbstredend damit kein Problem, denn der Prozeß wurde von ihr wesentlich mit ausgearbeitet. Kritik unerwünscht.

  2. Trotz nichtöffentlicher Sitzung ist die Tagesordnung öffentlich

    Im obigen Beitrag wird ausgeführt, dass zur nichtöffentlichen 80. Sitzung des Umweltausschusses es auch keine öffentlich zugänglich Tagesordnung gibt. Das ist falsch!

    Die Tagesordnungen des Umweltausschusses sind hier zu finden. Zur 80. Sitzung gibt es eine Tagesordnung mit 18 Punkten und eine Ergänzung mit dem TOP 19: Verordnung über Sicherheitsanforderungen und vorläufige Sicherheitsuntersuchungen für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle.

  3. Inkrafttreten der Sicherheitsverordnungen

    Die Sicherheitsverordnungen sind am 14.10.2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und somit heute, 15.10.2020, in Kraft getreten – siehe hier.

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