Die gesamte Republik scannen
In einem Artikel im Magazin Cicero mit dem Titel DER MANN FÜRS ATOMKLO wird Michael Sailers Vorstellung von einer neuen Endlagersuche wie folgt wiedergegeben:
Am Anfang werde die ganze Republik gescannt, dann würden die besten Standorte in Ton-, Granit- und Salzgestein vom Schreibtisch aus untersucht, und schließlich werde an wenigen Standorten gebohrt.
Da stellt sich eine Fülle von Fragen, die leider beim Cicero-Interview nicht zur Sprache kommen.
Was ist mit scannen gemeint?
Wenn damit die flächendeckende Untersuchung des Untergrunds der Bundesrepublik Deutschland gemeint ist, dann stimmt das mit Forderungen aus ganz anderer Richtung überein:
Doch an welchen Stellen müsste man suchen? Auf einer Deutschlandkarte zeigt Jens Gutzmer, wo die bisher bekannten Rohstofflagerstätten zu finden sind. Es sind die klassischen Bergbaureviere: Erzgebirge, Fichtelgebirge, Harz, Bayerischer Wald. Hier treten vergleichsweise alte Gesteine an die Erdoberfläche — und machen so die ihrem Inneren verborgenen Lagerstätten zugänglich. Wo dagegen jüngere Gesteine die älteren Zonen verdecken, hat es bisher wenig bis keinen Bergbau gegeben, in der Norddeutschen Tiefebene oder auf der Schwäbischen Alb zum Beispiel. Doch das heißt nicht automatisch, dass es dort nicht irgendwo interessante Vorkommen geben könnte. »Wir wissen, dass sich die gut mineralisierten Zonen unter den Deckschichten entlangziehen«, sagt Gutzmer. »Wir haben da nur nie danach gesucht.« Eine gezielte Exploration unter Überdeckung habe Geologen zum Beispiel auf die Spur des Lausitzer Kupferschiefers (siehe Kapitel zwei) gebracht. Er liegt rund einen Kilometer tief unter den Braunkohlelagerstätten der Region. In anderen Teilen des Landes könnten ähnlichen Untersuchungen vielleicht auch attraktive Funde bringen. »Da ist noch viel, viel Potenzial«, sagt Gutzmer. Er verweist auf Irland, wo die Regierung aus der Luft eine umfassende Suche nach Bodenschätzen gestartet habe. Im Boden verborgene Metalle steigern die elektrische Leitfähigkeit des Untergrundes sprunghaft. Mit elektromagnetischen Messsonden lässt sich das aus der Luft gut erkennen. Zwar hätten einige irische Bauern während der Überflüge ihre beunruhigten Rinder von den Weiden nehmen müssen, sagt Gutzmer, doch dafür verfüge die Regierung nun über eine detailreiche Übersicht, was wo zu holen sein könnte. »So etwas fehlt uns komplett«, stöhnt der Forscher resigniert.
Andere Fachleute sehen das ähnlich. Jörg Negendank, der frühere Chef des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam, fordert zum Beispiel: »Es ist dringend nötig, dass wir hier in Deutschland Karten im Maßstab 1:50 000 herstellen, die auch dreidimensional den tiefen Untergrund erfassen.« Die Geologischen Dienste der Bundesländer müssten sich mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zusammentun und wahrscheinlich auch noch einige Universitäten mit ins Boot holen. Das Projekt wäre aufwendig, keine Frage. Vielleicht auch deswegen mag sich Titus Gebel von der Deutschen Rohstoff AG dem Ruf nach einem staatlichen Explorationsprogramm nicht anschließen: …S. 189f in Seidler. Deutschlands verborgene Rohstoffe.
Reicht die elektromagnetische Untersuchung durch Überfliegung aus?
Sicherlich reicht zum Aufsuchen von untersuchungswürdigen Endlagergesteinsformationen eine elektromagnetische Untersuchung durch Überfliegung nicht aus. Hier sollte zusätzlich wohl die 3D-Seismik zur Anwendung kommen, wie sie bei der Suche nach Erdöl, Erdgas und von für Erdgasspeicher geeigneten Formationen verwendet wird.
Erste Erfahrungen mit der Auswertung von Daten in einer zusammenhängenden zeitgemäßen Art in Form von 3D-Modellen wurden bereits in dem Projekt Geologische Charakterisierung tiefliegender Speicher- und Barrierehorizonte gemacht. Hier kann angeknüpft werden.
Bis zu welcher Tiefe soll gescannt werden?
Der AkEnd ging von einer Endlagerung in einer Tiefe von 300 bis 1.500 m unter der Erdoberfläche aus. Ist das noch zeitgemäß? Selbst wenn man ein Bergwerk zur Einlagerung einrichtet, sollten 2.000 m möglich sein. Bei der WISMUT wurde diese Tiefe in etwa erreicht. Erdgasspeicher werden als Kavernenspeicher in 1.000 m betrieben, so zum Beispiel von der EWE im Salz unter Rüdersdorf bei Berlin. Damit könnte sich auch das Salzkissen unter Berlin-Spandau bis Berlin-Mitte unter dem Bundestag als geeignet herausstellen. Die geologischen Landesämter mit ihrem vielfältigen regionalen Wissen sollten selbstverständlich einbezogen werden. Das zentralisierte Wissen der BGR reicht für einen breiten pluralistischen Ansatz nicht aus.
Bei der Tiefenlage ist auch die zu erwartende Temperaturerhöhung aufgrund der mit den Abfällen eingebrachten Wärmeleistung zu berücksichtigen. Ist eine Temperaturerhöhung am Salzspiegel bis zu 15 Grad geologisch verkraftbar? Besteht nicht das Risiko, dass damit ganz unbekannte Dynamiken in Gang gesetzt werden? Siehe hier S. 9.
Beim AkEnd kann folgende einfache Argumentation für die Tiefenlagerung nachgelesen werden:
Wegen der Tiefe und des damit großen Abstands der endgelagerten Abfälle zur Biosphäre können gesellschaftliche Veränderungen, Änderungen der oberflächennahen Nutzung des Standortes oder klimatische Veränderungen die Isolation der Abfälle nicht gefährden.
S. 20
Dagegen steht:
..Giftige Biozide müssen zum Beispiel verhindern, dass Mikroorganismen in den neu erzeugen Felsklüften und in den Leitungen wuchern. Denn selbst in drei Kilometer Tiefe ist die Erdkruste alles andere als unbelebt – im Gegenteil. Erst langsam entdecken Wissenschaftler diese sogenannte tiefe Biosphäre.
„In der Tiefe existieren viele Mikroorganismen in einem Gleichgewicht. Sobald Luft und Wasser in dieses System hereinkommen, vermehren sich die sehr schnell und die Rohre wachsen zu“, sagt Ingo Knapp vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam. Seidler S. 135
Man sollte ehrlicherweise lediglich eine Isolation von der Anthroposphäre und nicht von der Biosphäre anstreben, denn die Endlagerung weit unter 3.000 m wird – wie die Transmutation – wohl die nächsten Jahrzehnte eine Illusion bleiben.
Soll auch der Standort Gorleben gescannt werden?
Die immer wieder postulierte Gleichbehandlung erfordert es, dass auch am Standort Gorleben mit denselben Methoden, mit der gleichen instrumentellen Ausrüstung gescannt wird. Sollten die Ergebnisse nicht das wesentliche Defizit – die fehlende Tonabdeckung – zeigen, wäre das ein Hinweis darauf, dass die eingesetzte Scan-Methode nicht ausreicht, um geologische Umgebungen als für die Endlagerung untersuchungswürdig oder nicht untersuchungswürdig einzustufen.
Und was sagen die BürgerInnen?
Selbst mit einem Konsens auf der Ebene der Spitzenpolitik ist eine neue Endlagersuche nicht zu machen. Erst müssen die BürgerInnen überzeugt werden. Und dies kann nicht in und wohl auch nicht nach Geheimverhandlungen geschehen. Sie sind sehr kritisch eingestellt, und das zu Recht. Sie spüren, dass mit der sogenannten Endlagersuche etwas nicht stimmt. Sie registrieren das anhand der vielen Euphemismen und auch Anti-Euphemismen (= Malismen?) wie Langzeitsicherheitsnachweis, Endlager, Eignungshöffigkeit und Größtes Umweltproblem Deutschlands. Sie merken, dass es sich statt um pluralistisch wissenschaftsbasierte Ansätze allein um Wahlkampfsprüche von PolitikerInnen und plumpe „Sprachregelungen“ wissenschaftlicher Bundesbehörden handelt.
Da ist es müßig, Schuldzuweisungen zu formulieren an SPD, CDU, CSU, FDP, GRÜNE, LINKE, BMU, BMWi, BfS, BGR, GRS, nse etc. etc. etc. Aber JournalistInnen tun das gern.