Loccumer Protokoll 25/12
Im Tagungsband zur Veranstaltung der Evangelischen Akademie Loccum mit dem Titel Endlagersuche: Auf ein Neues? im Juni 2012 ist ein BfS-Papier unter Wolfram König: Wo stehen wir mit der Endlagersuche heute? abgedruckt. Im Folgenden soll auf sieben Passagen daraus exemplarisch eingegangen werden.
1. Vergleichende Endlagersuche
Nach einigen Ausführungen zur AkEnd-Arbeit wird festgestellt:
Der Weg der vergleichenden Standortsuche wurde bis heute in Deutschland nicht beschritten.
Das ist, wenn nicht falsch, dann doch irreführend. Im Zuge der Suche nach einem Standort für ein Integriertes Entsorgungszentrum inklusive Endlager wurde von der KEWA (Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungs-Gesellschaft mbH) eine vergleichende Standortuntersuchung unter anderem mit Kriterien für Endlager durchgeführt. Diese von der Industrie – die KEWA war ein Gemeinschaftsunternehmen von Hoechst, Bayer, Nukem und Gelsenberg – durchgeführte vergleichende Suche wurde erst mit der 4. Atomgesetznovelle abgewürgt. Die Endlagerung wurde als Staatsaufgabe deklariert, die Standortuntersuchungen wurden auf Gorleben beschränkt. Siehe Dr. Hornke (KEWA) Leserbrief; NLfB (1994) Ablauf der Standortsuche; KfK: Statusbericht Wiederaufarbeitung und Abfallbehandlung 1975 und 1977, weiterhin Artikel Der fatale Gorleben-Fehler.
Leider wird von der technisch-wissenschaftlichen Bundesoberbehörde BfS an keiner Stelle ausgeführt, warum aus erkenntnistheoretischen Gründen und aufgrund des Strahlenschutzgrundsatzes der Optimierung die vergleichende Suche enorme Vorteile gegenüber der Langzeitrisiko-Argumentation an einem einzelnen Standort hat. Dieser wissenschaftsbasierte Ansatz wird nicht entwickelt, obwohl das die Aufgabe des BfS wäre. Es ist ja schließlich keine politische Institution.
2. Umfassende Information und Bürgerbeteiligung
Für die Asse wird derzeit mit umfassender Information und Bürgerbeteiligung geprüft, ob und wie die Abfälle zurückgeholt werden können.
Hier ist festzuhalten, dass die Informationen nicht umfassend, sondern eher selektiv sind. Alle Versuche und Aktivitäten des Vorbetreibers der Asse werden entweder ins Negative gesetzt oder verschwiegen. Es wird keine problemorientierte Information, sondern eine imageorientierte PR-Arbeit geleistet, die weder den journalistischen Sorgfaltspflichten noch der Verantwortung staatlichen Handels entspricht. Eine Bürgerbeteiligung im eigentlichen Sinne findet nicht statt. Es gibt lediglich ein nicht öffentliches Gremium, die Asse-Begleitgruppe. Weder sind die Sitzungen öffentlich, noch gibt es öffentlich verfügbare Protokolle.
Und wie sieht es bei Morsleben aus, dem ebenfalls gescheiterten Endlagerprojekt? Die Planungen zur Schließung wurden im Geheimen durchgeführt. Hier hat das BfS über Jahre nicht eine einzige Informationsveranstaltung angeboten. Anders der Vorbetreiber der Asse, der in der Regel jährlich eine solche Veranstaltung anbot. Das BfS hat zu Morsleben erst im Zuge der öffentlichen Auslegung des fertigen Planantrags Veranstaltungen angeboten.
3. Parteipolitik und Standortauswahlverfahren
Die Chance zum parteiübergreifenden und gesellschaftlichen Konsens für ein Standortauswahlverfahren kann und muss jetzt genutzt werden. Dabei stehen wir vor zahlreichen Herausforderungen, ich möchte diese im Folgenden kurz umreißen.
Ganz offensichtlich wird das Standortauswahlverfahren allein als politisches und gesellschaftliches Problem gesehen. Eine wissenschaftliche Rolle, die das BfS aufgrund der im Atomgesetz festgelegten Zuständigkeit derzeit wahrnehmen müsste, wird nicht gesehen.
4. Die Gorleben-Frage
Gorleben sollte in dieses neue Verfahren einbezogen werden, dabei muss allerdings gewährleistet sein, dass Gorleben keine Vorteile im Standortvergleich mit anderen Standorten hat.
Das Suchverfahren sollte ja wissenschaftsbasiert sein. Das BfS spricht sich dafür aus, Gorleben in die Suche einzubeziehen, ohne es in irgendeiner Weise zu begründen. Bei einem wissenschaftsbasierten Verfahren sollte man erwarten, dass die zuständige wissenschaftlich-technische Bundesoberbehörde wissenschaftliche Argumente vorbringt.
5. Das Bundesamt für Strahlenschutz und die DBE
Deswegen ist es aus Sicht des Bundesamtes für Strahlenschutz wichtig, dass wir in dem Prozess durchgehend erkennbare Verantwortungsstrukturen haben und der Betreiber, der von Anfang an Verantwortung für das Verfahren getragen hat, sich der Kritik stellt. Wir haben heute schon das Problem in den bestehenden Endlagerprojekten, dass wir als Bundesamt für Strahlenschutz lange Zeiten als Betreiber vor Ort nicht erkennbar waren. Es war erklärtes politisches Ziel der Politik bis teilweise in das letzte Jahrzehnt hinein, dass die Betreiberfirma DBE, unsere Generalunternehmerin, das Gesicht vor Ort ist und nicht das Bundesamt für Strahlenschutz. Wir wissen heute, dass diese Entscheidung nicht glücklich war, da dadurch für die Bevölkerung nicht deutlich wurde, wer eigentlich der Entscheider ist und die Verantwortung bei den Projekten trägt.
Hier vermisst man gänzlich, dass die Zuständigkeiten für die Betreibung von Endlagern weltweit nur in Deutschland und den USA beim Staat liegen, siehe Papier der Blue Ribbon Commission vom Januar 2012. Außerdem ist es eigentlich – bei den heutigen Besitzverhältnissen bei der DBE, wo die Abfallbesitzer vertreten sind – naheliegender, diese als Betreiber durch Beleihung einzusetzen, wie es nach Atomgesetz möglich wäre. Dies würde wesentliche Rollenkonflikte beseitigen.
6. Bündelung der Kompetenzen
Die Lösungsvorschläge meines Amtes orientieren sich dabei an den fachlichen Herausforderungen. Es muss sichergestellt sein, dass das erforderliche Know-how für die Endlagersuche zur Verfügung steht, eine Bündelung der in Deutschland vorhandenen Kompetenz ist dabei geboten, um die große Herausforderung eines Standortauswahlprozesses meistern zu können.
Diesen fatalen Fehler sollte man nicht begehen. Es ist dafür zu sorgen, dass das Endlager-Know-how zumindest auf zwei Institutionen verteilt wird, nämlich auf den Verfahrensbetreiber und den Regulierer/Überwacher. Die Konzentration an einer Stelle würde der Willkür Tür und Tor öffnen.
7. BfS-Forschungsprojekt „Vergleichende Sicherheitsanalyse“
Schließlich erarbeitete das Bundesamt für Strahlenschutz mit dem Forschungsprojekt „Vergleichende Sicherheitsanalysen“ (VerSi) Möglichkeiten zum Vergleich von Sicherheitsanalysen für Endlagerstandorte in unterschiedlichen geologischen Formationen.
Hier gibt sich das BfS das erste Mal als wissenschaftliche Institution zu erkennen. Es werden aber keinerlei Folgerungen aus diesem Projekt für ein Suchverfahren entwickelt. Sind zum Beispiel die hier genannten Rahmenbedingungen zielführend? Die Rolle als wissenschaftlich-technische Bundesoberbehörde wird nicht wahrgenommen. Die Ausgestaltung des Suchverfahrens wird der Politik überlassen, die damit sichtlich überfordert ist.
Schlussfolgerungen
Insofern ist es naheliegend, neben dem BfS als Betreiber eine Institution zu bestimmen, die die wissenschaftliche Leitung und die umfassende, nicht selektive Information sowie Beteiligung der Bevölkerung übernimmt.
Dies entspricht auch der Erkenntnis der Risikokommission, die in ihrem Abschlussbericht grundsätzlich die Trennung der wissenschaftlichen Risikobewertung vom Risikomanagement empfohlen hat. Dazu muss nicht eine neue Wissenschaftsinstitution geschaffen werden, sondern es könnte zum Beispiel eine entsprechende Abteilung am Bundesinstitut für Risikobewertung begründet werden. Hier ist auch schon Sachverstand im Bereich der Risikokommunikation vorhanden, die auch bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle von enormer Bedeutung ist.
Greenpeace präsentiert eigenen Vorschlag zur Endlagersuche
Umgang mit Atommüll erfordert Bürgerbeteiligung von Anfang an
Pressemitteilung Greenpeace.de
Für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Müll legt Greenpeace heute erstmals ein eigenes Konzept vor. Unverzichtbare Voraussetzungen für ein glaubwürdiges Verfahren sind der politische Ausschluss von Gorleben und die historische Aufarbeitung aller bisherigen Entscheidungen zur Atommüll-Lagerung. Die Öffentlichkeit muss bereits bei der Prozessentwicklung beteiligt werden. „Der bestmögliche Endlager-Standort kann nur in einem möglichst unstrittigen und transparenten Verfahren gefunden werden, sagt Heinz Smital, Kernphysiker und Atomexperte von Greenpeace. Mit Gorleben ist das nicht möglich. 35 Jahre Manipulationen, um den mangelhaften Salzstock durchzusetzen, verhindern eine faire und ergebnisoffene Suche.
Die Verhandlungen von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) mit den Bundesländern und Parteien über ein Endlagersuchgesetz sind gescheitert. Der bisherige politische Prozess ist intransparent und interessengeleitet, der von Altmaier versprochene Neuanfang nicht erkennbar.
Die von Greenpeace vorgeschlagene Suche beinhaltet ein zehnstufiges Verfahren mit weit reichender Öffentlichkeitsbeteiligung. Ein Endlagersuchgesetz erfolgt als Schritt Nummer fünf. Am Ende könnte auf diese Art der bestmögliche Endlagerstandort für hochradioaktiven Müll in einem breiten Konsens gefunden werden.
Mit einem Endlagersuchgesetz zu Beginn des Verfahrens macht Altmaier den fünften Schritt vor dem Ersten, sagt Tobias Münchmeyer, Atomexperte von Greenpeace. Er versucht Entscheidungen mit Folgen für Tausende von Jahren am Tisch seiner Wohnküche auszudealen. Das macht den Prozess weder transparent, noch ergebnisoffen oder gar fair, sagt Tobias Münchmeyer, Atomexperte bei Greenpeace.
Ethikkommission soll Nationale Atommülldebatte starten
Greenpeace schlägt als Einstieg in den Suchprozess ein Gremium nach dem Vorbild der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung vor, die sich unter dem Vorsitz von Klaus Töpfer und Matthias Kleiner beim Atomausstieg im Jahr 2011 bewährt hat. Dieses soll ethische Prinzipien und Ziele sowohl für einen glaubwürdigen Prozess als auch für eine verantwortliche Atommülllagerung formulieren.
Anschließend folgt eine intensive nationale Debatte an allen potentiellen Endlager- und heutigen Zwischenlagerstandorten. Sollte das Ergebnis für eine untertägige Lagerung sprechen, müssen mindestens sechs Standorte erkundet werden- jeweils zwei auf Ton, Granit- und Salzböden. Die Kosten tragen die Abfallverursacher.
Über den Greenpeacevorschlag wurde bereits unter GREENPEACE e. V. schlägt Verfahren zur Endlagersuche vor ausführlich berichtet. Den Vorschlag mit der Ethikkommission sehe ich inzwischen kritisch – siehe Endlagerdebatte: Was sagen die am stärksten Betroffenen? unter der Zwischenüberschrift Ethikkommission Sichere Energieversorgung?
Zu ergänzen sind Zitate von Niklas Luhmann aus Soziologie des Risikos, der in weiser Voraussicht bereits formulierte:
Tatsächlich enthielt die gestrige PM keine Neuigkeit. Und Greenpeace verkennt, dass die Ethikkommission 2011 der Bundeskanzlerin eine mit Fukushima geplatzte Ideologie auf salonfähige Weise zu entsorgen hatte, während in Atommüll-Fragen noch längst nicht begriffen oder eingeräumt ist, dass die „Endlagerung“ auf wenigstens mittlere Sicht keine technische, keine demokratische und auch keine finanzierbare Option darstellt, folglich „zwischengelagert“ werden müsste – mit weitgehend anderen Prämissen.
Ob sich Greenpeace dieser hochwahrscheinlichen Dimension bewusst ist, lässt sich bezweifeln, wenn in der PM die Findung eines „bestmöglichen Endlagerstandorts“ in Aussicht gestellt wird.
Es darf auch niemanden trösten, wenn die Kosten solcher Suche den Verursachern aufgedrückt würden, weil hochwahrscheinlich unsinnige Ausgaben durch nichts zu rechtfertigen wären – und die Kosten schlussendlich den Verbrauchern in Rechnung kämen.
Luhmanns generelle Kritik an Ethikkommissionen ist bleibend beachtlich, nur wäre er womöglich heute in Anbetracht der kruder gewordenen Polemik gegen moralische Ansprüche („Gutmenschen“-Schelte) weniger rigoros, zumal sich durchaus zwischen lobbyistischen, wissenschaftlichen und Gemeinwohlinteressen, zwischen kurz- und langfristigen Interessen unterscheiden lässt, wenn man denn wollte.
Die Ethik ist ein weites und beschwerliches Feld, das immer bestellt werden müssen und teils auf vergifteten Böden. Unterließe es man es, wie es Luhmann – aus welchen Gründen auch immer – für pragmatischer gehalten zu haben scheint, wäre die Welt kaum weniger Maskenball, aber allemal brutaler, wenn zur Maxime würde, die Maske fallen zu lassen. Schon deshalb ist die Ethik stets pragmatischer als der Abgesang auf die Ethik. Desgleichen mit der Hoffnung.
Fast identische Ausführungen wie im Loccumer Protokoll wurden vom BfS in einem Interview mit dem Titel „Am Ende wird es immer Widerstand geben“ gemacht, das am 28.12.2012 in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt war. Aber zu der Frage, ob Gorleben bei einem neuen Suchverfahren einbezogen werden sollte, wird hierin wenigstens eine Begründung abgegeben:
Das hört sich erst einmal wenig fachlich, sondern eher politisch an. Insbesondere wenn man den dritten Satz betrachtet. Lässt man diesen erst einmal weg, dann kann man auch ein fachliches Argument für die Einbeziehung Gorlebens entwickeln. Es geht ja – entsprechend des Optimierungsgrundsatzes des Strahlenschutzes – um das Auffinden der bestmöglichen Endlagergeologie. Und das kann eben auch Gorleben sein, trotz der langen Liste der inzwischen bekannten Defizite des dortigen Salzstocks. Denn niemand ist sich sicher, wie es an anderen Standorten aussieht. Haben die in der Salzstudie von 1995 benannten Standorte, wo zum Beispiel auf intakte Deckgebirgsschichten geachtet wurde, wirklich keine Löcher in der Tonschicht? Das könnten erst weitere Untersuchungen erbringen. Das ist wohl auch der Ansatz des Gartower Kompromissangebots.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist natürlich: Will man in Deutschland vollständig auf Freiwilligkeit oder Vetorecht der Region verzichten? International ist solch eine Notbremse – mit meist verdeckten Einschränkungen – durchaus üblich.
Doch offensichtlich ist das BfS noch nicht einmal bei der vergleichenden Endlagersuche richtig angekommen. Die oben entwickelte fachliche Argumentation wird im weiteren Verlauf des Interviews durch folgenden Satz sofort wieder zunichte gemacht:
Eine komparative Endlagersuche kann niemals zu dem Ergebnis führen, ob ein Standort geeignet ist oder nicht. Sie kann lediglich die Aussage erbringen, Standort 1 ist unter den angesetzten Bewertungskriterien besser geeignet als der Standort 2. Dass dies von der zuständigen wissenschaftlich-technischen Bundesoberbehörde nicht erkannt wird, ist enttäuschend.