Bitte von .ausgestrahlt
Auf Bitten von .ausgestrahlt hat endlagerdialog.de anlässlich der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Endlagerkommission eine Zusammenfassung der Blogbeiträge zur Arbeit der Endlagerkommission erstellt. Diese ist im Reader Atommüll-Kommission am Ende – Konflikte ungelöst, S. 39 – 47, abgedruckt und wird im Folgenden mit aktiven Links zu den erwähnten Unterlagen im HTML-Format zur Verfügung gestellt – in der Hoffnung, dass die URLs der Kommissionsunterlagen dauerhaft unverändert bleiben.
Kriterien aus der hohlen Hand – Eine kritische Würdigung der Arbeit der Endlagerkommission und der von ihr beschlossenen Such-Kriterien
Das vorliegende Papier entstand auf der Grundlage der regelmäßigen Verfolgung der öffentlichen Sitzungen der Endlagerkommission per Video- und Audiostream und häufiger Anwesenheit vor Ort. Um den Zeitbedarf in Grenzen zu halten, lag der Schwerpunkt in der Arbeitsgruppe 3 (AG3), die sich auf der Grundlage der Arbeitsaufgabe „Gesellschaftliche und technisch-wissenschaftliche Entscheidungskriterien sowie Kriterien für Fehlerkorrekturen“ im Wesentlichen mit den natur-, geowissenschaftlichen, technischen und am Rande den sozialwissenschaftlichen Aspekten der Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle beschäftigte. Dies bot sich insbesondere deshalb an, weil sowohl der in der Kommission vertretene Umweltverband als auch die vertretene Umweltstiftung die Arbeit der AG3 nicht mitgestaltet haben und so eine kritische Hinterfragung aus der Sicht der Umwelt nicht stattfand. Da den beiden Organisationen fachliche Ressourcen dafür zur Verfügung gestanden hätten, haben sie wohl aus verbands- bzw. stiftungspolitischen Gründen darauf verzichtet.
Weiterhin hatte diese Arbeitsgruppe insofern eine Sonderrolle, weil sie die Kriterien für die Auswahl der Standortregionen und Standorte entwickelte, die dann nach Standortauswahlgesetz (StandAG) Gesetzeskraft erlangen soll. Diese für den Auswahlprozess notwendigen Instrumente sind im StandAG noch nicht geregelt, entsprechende anfängliche Ansätze wurden aus der Fassung vom 17.10.2012 wieder herausgestrichen. Es ist nicht zu erwarten, dass im parlamentarischen Verfahren diese wissenschaftlich begründeten Kriterien von der Politik verändert werden. Dies könnte erst nach einer weiteren wissenschaftlichen Expertise geschehen, die aber als unwahrscheinlich einzustufen ist.
Die erste Sitzung der AG3 fand erst gut fünf Monate nach Konstituierung der Endlagerkommission statt. Aber bereits auf der zweiten Sitzung am 14.11.2014 bestand Konsens, dass für die zu entwickelnden Auswahlkriterien die Empfehlungen des Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd, 1999–2002) (Seite 83–199) Ausgangspunkt sein sollten. Obwohl allen Kommissionsmitgliedern diese Empfehlungen selbst in Papierform vorlagen, waren nicht alle AG3-Mitglieder bei der 3. Sitzung im Bilde. Es wurden – wie bei einer intensiven persönlichen Vorbereitung eigentlich zu erwarten – von den nicht wissenschaftlich vorgeprägten Mitgliedern keinerlei Verständnisfragen gestellt. Diese kamen erst vereinzelt später, woraus zu schließen war, dass das Gesamtverständnis nicht vorhanden war. Es wurde nicht am Text der AkEnd-Empfehlungen gearbeitet, sondern es musste mit Strg-C/Strg-V eine Kopie erstellt werden. Dies zeigte deutlich, dass die Arbeit der AG3 vorerst nicht auf Effizienz ausgerichtet war. Daraus ist zu erklären, dass selbst Anfang April 2016 wesentliche Kriterien insbesondere zu Günstige Konfiguration der Gesteinskörper, insbesondere von Wirtsgestein und einschlusswirksamem Gebirgsbereich inklusive Frage Deckgebirge immer noch nicht entschieden waren. Diese Fragestellungen wurden sehr spät aus der öffentlichen Verhandlung herausgenommen und in einer nicht-öffentlichen Kleingruppe (Appel, Wenzel, Fischer, Kanitz) besprochen. In der Sitzung am 14.04.2016 wurde zwar mündlich mitgeteilt, es hätte eine Einigung in den strittigen Punkten stattgefunden. Eine schriftliche Fixierung konnte aber nicht vorgelegt werden.
Die Einigung zum Deckgebirge kam auf der vorletzten Kommissionssitzung zustande. Das Deckgebirge ist danach explizit mit zu berücksichtigen. Dies stellt eine Verbesserung dar. Temperaturverträglichkeit und Mächtigkeit des ewG waren bis zur letzten Sitzung am 27.06.2016 strittig. Aus Vorsorgegründen wurde die zulässige Temperatur solange auf den niedrigen Wert von 100°C festgelegt, bis auf der Grundlage wissenschaftlicher Arbeiten höhere Grenztemperaturen erlaubt werden können. Bei der Mächtigkeit wurde eine mehrheitsfähige Formulierung gefunden, die aber nichts klarer macht.
Entsorgungsoptionen
Es wurde verschiedene Entsorgungsoptionen andiskutiert und einige – wie tiefe Bohrlöcher – intensiver geprüft. Auf ein einheitliches Kriterien- und Prüfraster wurde dabei verzichtet. Sicherlich wäre dies mit einigem Aufwand verbunden gewesen, hätte aber auch zu einer größeren Klarheit beigetragen. Relativ schnell wurden drei Kategorien
- A – mit Priorität verfolgte Lösung,
- B – Optionen zur weiteren Beobachtung und gegebenenfalls Erforschung und
- C – nicht weiter verfolgte Optionen
aufgestellt. Als alleinige Option in der Kategorie A ist die Endlagerung in tiefen geologischen Schichten mithilfe eines Bergwerks unter Einbeziehung der Rückholung/ Bergbarkeit deklariert worden. Nach Auffassung des Kommissionsvorsitzenden sollten die Optionen analog der Energie-Enquetekommission als Pfade bezeichnet werden. Dies hat sich nicht durchgesetzt, da der Begriff Pfade wohl wenig zutreffend ist.
Sicherheitsuntersuchungen
Die vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen stellen eine Neuerung gegenüber den AkEnd-Vorstellungen dar. Wenn die vom AkEnd präferierten Kriterien sich im Wesentlichen auf die Langzeitrisiken beziehen, benutzt die vorläufige Sicherheitsuntersuchung eine integrale Sichtweise sowohl auf Langzeitrisiken als auch auf Probleme während der Betriebsphase des Lagers.
Vorläufige Sicherheitsuntersuchungen sollen schon in der Phase 1 erstellt werden. Zu befürchten ist, dass in diesen versucht wird, die durch das Endlager verursachte zusätzliche Dosisleistung für den Menschen als skalareGröße abzuschätzen und insgeheim als wesentliches Auswahlkriterium in den Auswahlprozess einzuspielen. Dem widerspricht, dass solche Abschätzungen zu relativ beliebigen Werten führen können und eine wissenschaftlich haltbare Methodik dafür bisher nicht öffentlich diskutiert wurde, obwohl seit 2009 nach Aussage des BMUB daran gearbeitet wird (SSK-Beratungsauftrag). Der Beratungsauftrag an die SSK wurde sogar mit dem Hinweis auf die Endlagerkommission ausgesetzt. Die bisherige Vorgehensweise nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift wird schon seit Jahrzehnten als unzureichend betrachtet. Im Planfeststellungsverfahren ERAM ist das als wesentliches Defizit erkannt worden.
Die Beurteilung eines Endlagers an einem Standort kann nicht durch eine skalare Größe geschehen, sondern muss durch multikriterielle Analyse insbesondere der geologischen Gegebenheiten erfolgen. Nur so kann das Risiko in seiner gesamten Bandbreite insbesondere auch im Bereich der Ungewissheiten und des Nichtwissens vergleichend abgewogen werden.
Weiterhin ist die Qualität der Ausgangsdaten zur Erstellung einer vorläufigen Sicherheitsuntersuchung in der Phase 1 wegen nicht erfolgter gezielter Erkundung vollkommen unzureichend. Allein der Standort Gorleben stellt hier eine Ausnahme dar. Insofern wird die Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben (VSG) eine erhebliche Rolle spielen. Diese Ungleichheit in den vorläufigen Sicherheitsanalysen bei der Auswahl auf der angeblich weißen Landkarte ist weder in der AG3-Diskussion erwähnt noch in dem Kapitel zur vorläufigen Sicherheitsanalyse (K‑Drs 211) benannt worden.
Sozialwissenschaftliche Kriterien
Die sozialwissenschaftlichen Kriterien wurde beim AkEnd in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang gebracht, bestehend aus den Anforderungen
- der Bereitschaft der Bevölkerung zur Beteiligung und
- einer möglichst positiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung.
Dieser sinnvolle Gesamtzusammenhang wurde von der Kommission nicht verfolgt und auch nicht durch einen anderen geschlossenen Ansatz ersetzt. Erst wenn das Werben um Beteiligungsbereitschaft vollständig scheitern sollte, war vom AkEnd Legalplanung vorgesehen. Nach Meinung der Kommission muss auf die Anforderung Beteiligungsbereitschaft verzichtet werden. Es wird sich eindeutig für die im StandAG vorgesehene ausschließliche Legalplanung ausgesprochen, die lediglich durch Rechte auf Nachprüfung relativiert werden. Dabei geschieht die Nachprüfung aber durch die gleichen Akteure, die als Vorhabenträger und als Regulierungsbehörde zu der nachzuprüfenden Entscheidung gekommen sind. Damit entfällt für die staatlichen Akteure der Druck, in der Bevölkerung für Beteiligung werben zu müssen. Die vorgesehenen geringen Klagemöglichkeiten werden diesen dauerhaften Druck nicht ausüben.
Sozioökonomische Potenzialstudien
Die Ausführungen zu den sozioökonomischen Potenzialstudien wurden vom AkEnd übernommen. Diese waren vom AkEnd auch wesentlicher Ausgangspunkt für eventuelle Ausgleichszahlungen, um diese Mittel in sinnvolle Bereiche zu lenken. Die AG3 plädierte eher dafür, die eventuell zur Verfügung zu stellenden Mittel der Region ohne weitere Vorgaben zukommen zu lassen.
Planungswissenschaftliche Kriterien
Hier wird im Gegensatz zum AkEnd zwischen ober- und untertägigen Kriterien unterschieden. Formuliert werden ausschließlich Abwägungskriterien, die in drei Gewichtungsgruppen eingeteilt sind. Die ober- und untertägigen Planungsaspekte können voneinander entkoppelt werden, wenn der Zugang zum Endlager durch eine Rampe geschaffen wird.
Geowissenschaftliche Kriterien
Interessant waren bei der Diskussion zu den geowissenschaftlichen Kriterien Informationen von ehemaligen AkEnd-Mitgliedern. Insbesondere waren zwei Aspekte dabei wichtig:
Wegfall der Deckgebirgsanforderungen
Im Salzgutachten der BGR von 1995 wurde die Rolle von Deckgebirgen als Barrieren betont:
Eine flächenhafte Überdeckung des Caprock einer Salzstruktur mit wasserhemmenden Unterkreidetonen und einer ungestörten Decke aus Sedimenten der Oberkreide und des Alttertiärs (z. B. Rupel-Tone) würde ein optimales geologisches Barriere-System darstellen.
Es stellt sich die Frage, weshalb dieser Aspekt bei den geowissenschaftlichen Kriterien des AkEnd keine Berücksichtigung gefunden hat? In der AG3 wurde ausgeführt, dies sei auf die Heraufsetzung des Nachweiszeitraums von 10.000 auf 1 Mio. Jahre zurückzuführen. In diesem längeren Zeitraum sei damit zu rechnen, dass mehrere Eiszeiten über den Endlagerstandort hinweggehen und die entsprechenden Deckgebirgsschichten davon abgeräumt würden.
Diese Erklärung ist wohl etwas zu kurz gegriffen. Für die Alttertiärsedimente ist dies durchaus plausibel nachzuvollziehen, ist das aber auch für die Unter- und Oberkreideschichten zutreffend?
AkEnd-Konzept nicht auf Kristallingestein anwendbar
In den AkEnd-Empfehlungen wird nicht explizit erklärt, dass sie auf Kristallingesteine nicht anwendbar sind. Dies wird schon offensichtlich durch die Tatsache, dass die Kriterien des AkEnd an der Modellvorstellung des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs (ewG) entwickelt wurden. Inhaltlich wird Kristallingestein aber im gesamten AkEnd-Papier mit durchgezogen, so zum Beispiel bei der Diskussion der Datenlage. Hier wird betont, dass bei Kristallingestein die Datendichte sehr gering ist (S. 80). So wurden in der BGR-Kristallinstudie von 1994 nur die an der Tagesoberfläche anstehenden Vorkommen berücksichtigt, die verdeckten Kristallinvorkommen aber nicht. Diese Aussage gilt auch heute noch, sodass eine Berücksichtigung dieser Gesteinsformation erhebliche Probleme mit sich bringen würde.
Ewige Wiederholung der Kristallinproblematik
Die AG3 hat sehr viel Zeit auf die Diskussion der Kristallinproblematik verwendet. Bei praktisch jedem zweiten geologischen Kriterium wurde diese zeitaufwendig behandelt. Dies wurde nicht produktiv umgesetzt, sondern es handelte sich um einfache Wiederholung des schon öfter Gesagten, die schließlich immer wieder in einem ergebnislosen Abbruch endete. Dies ist mit ein Grund, weshalb trotz erheblichen Zeitaufwandes der Output der AG3 sich in engen Grenzen hielt. Eine Lösung ist auf der Grundlage des AkEnd-Konzeptes eben nicht oder nur mit Hilfskonstruktionen möglich. Erst zur 21. AG3-Sitzung wurde ein Papier vorgelegt, dass dem ewG-Modell des AkEnd ein Behälter-Modell zur Lösung des Kristallinproblems an die Seite stellte. Eine Abstimmung in der 26. Sitzung der Gesamtkommission sollte klären, ob Kristallin – wie das StandAG es eigentlich fordert – weiterverfolgt werden soll. Eine Klärung fand auf dieser Sitzung und auch später nicht statt. ewG- und Behälter-Modell stehen jetzt nebeneinander. Die Kristallinproblematik führte dann sowohl in der vorvorletzen und vorletzten Kommissionssitzung zur Androhung eines Sondervotums durch Bayern. In der letzten Kommissionssitzung wurde der Sachverhalt unter der Mindestanforderung Mächtigkeit des ewG nochmals verhandelt und nur durch Formulierungskünste einer mehrheitlichen Zustimmung zugeführt. Insgesamt sind die Formulierungskünste zum Kristallingestein bei der Standortauswahl schwierig umzusetzen.
Gesteinspezifische Kriterien
Recht frühzeitig drängte sich bei der Verfolgung der AG3-Arbeit der Eindruck auf, dass die geowissenschaftlichen Kriterien und insbesondere die Mindest- und Abwägungskriterien eher gesteinsspezifisch formuliert werden sollten. Als potenzielle Endlagergeologien in Deutschland mit sehr unterschiedlichen Kriterienmustern sind zu nennen: Salzstock, Salz in flacher Lagerung, Ton, Kristallin sowie Mischformen (sog. Konfigurationstyp Bb) wie zum Beispiel Kristallin unter Salz, Kristallin unter Ton, Salz unter Ton etc. Ein Auswahlverfahren mit der Benennung der drei bestmöglichen Salzstandorte, der drei besten Ton- und drei besten Kristallinstandorte im ersten Auswahlschritt (neun Standorte) wäre einfacher und damit auch transparenter vermittelbar als die Benennung von sechs bis acht obertägig zu erkundenden Standorten auf der Grundlage aller geologischen Endlagermedien (siehe auch Kommentar AK1-8 aus Fachtagung). Dies wurde aber nicht in Erwägung gezogen. Die gesteinsübergreifende Suche selbst im ersten Schritt scheint in Stein gemeißelt zu sein und führte zur ewigen, unproduktiven Wiederholung der Kristallindiskussion in der AG3.
Die Forderung nach gesteinsspezifischen Kriterien aus dem Fachworkshop hat sich lange als Anmerkung in den Arbeitspapieren gehalten. In der Sitzung der Kommission am 20.06.2016 wurde diese Anmerkung schließlich mit der Begründung gestrichen, dies sei in der AG3 ausführlich behandelt worden. Aus den Protokollen geht aber nicht hervor, wann sich über Vor- und Nachteile der Alternativen gesteinsübergreifende/gesteinsspezifische Kriterien auseinandergesetzt wurde.
ewG-Modell des AkEnd
Zwar wurde bei der Formulierung der Auswahlkriterien auf die AkEnd-Empfehlungen zurückgegriffen, das Grundmodell des AkEnd wurde aber nicht auf Weiterentwicklungsnotwendigkeit hinterfragt. In der 20. AG3-Sitzung wurde lediglich festgestellt, dass noch ein Text zur Erläuterung des Grundmodells einschlusswirksamer Gebirgsbereich (ewG) notwendig ist. Im Endbericht gibt es diesen Text nicht, nicht einmal eine Wiederholung der Definition aus dem AkEnd-Bericht.
Das ewG-Modell ist vom AkEnd aufgrund der Forderungen des Wasserhaushaltsgesetzes entwickelt worden. Es ist ein einfaches Modell, das lediglich einen Einschlussraum betrachtet (Einkompartimentmodell). Wie die Anhörung zu den Sicherheitsanforderungen auch der Kommission gezeigt hat, werden Endlagersysteme heutzutage durch Mehrkompartimentansätze modelliert. Es stellt sich damit sofort die Frage, ob dies auch schon bei der Standortauswahl anhand von Kriterien sinnvoll ist. Weiterhin sollte ein Endlager nicht nur dem Wasserhaushaltsgesetz Genüge tun, sondern es muss auch nachgeschaut werden, inwiefern grundlegende Prinzipien der kerntechnischen Sicherheit sinnvoll sind und umgesetzt werden können. Es stellt sich die Frage, ob für die geologische Barriere die Prinzipien der Diversität und/oder Redundanz anzuwenden sind. Ergibt sich damit eine Reduzierung des Risikos vor dem Hintergrund des Nachweiszeitraums von 1 Mio. Jahre und der damit verbundenen Unsicherheiten und Ungewissheiten? Eine entsprechende Anregung in Form einer Onlinekommentierung ID 1001 (siehe in AG3‑90) wurde bei der Aktualisierung von K‑Drs. / AG3‑91d auf K‑Drs. 209 ohne Behandlung gelöscht. Tauchte dann wieder in K‑Drs. / AG3‑91e auf, um in K‑Drs. 209a endgültig ohne jegliche Behandlung gestrichen zu sein. Eine der Diversität entsprechende Forderung nach einer zweiten unabhängigen geologischen Barriere (ID 1085, siehe in AG3‑90) wurde von der AG3 mit dem Verweis auf die Deckgebirgsdiskussion gestrichen. Die Deckgebirgsdiskussion hatte aber nicht eine zweite unabhängige Barriere zum Gegenstand, sondern allein den Schutz des ewG vor exogenen Prozessen. Eine zweite Barriere im Sinne der Diversität beinhaltet zudem nicht nur eine zusätzliche Barriere oberhalb des ewGs, sondern auch an den Seiten und nach unten. Diese Prinzipien der heutigen Sicherheitstechnik und insbesondere der kerntechnischen Sicherheit wurden zweimal von Herrn Brunsmeier in der Gesamtkommission angesprochen. In der Kommissionssitzung am 20.06. wurde dies wieder allein der Deckgebirgsdiskussion zugeordnet (Appel) bzw. schon durch die Forderung nach Robustheit als erledigt angesehen (Fischer).
Datenlage und verpasstes Bottom-up-Verfahren
Bereits in den AkEnd-Empfehlungen wurde dargestellt, dass die Datenlage zur Geologie in Deutschland sehr unterschiedlich ist und deshalb beim Auswahlverfahren auf der Grundlage von Kriterien eventuell Standorte oder Standortregionen trotz geowissenschaftlicher Extra- und Interpolationsmethoden wegen mangelnder Datenverfügbarkeit zurückgestellt werden müssen. Dies ist in der AG3 erst sehr spät und erst nach intensivem Drängen aus Mecklenburg-Vorpommern aufgegriffen worden.
Positiv muss verzeichnet werden, dass eine entsprechende Umfrage zur Datenverfügbarkeit sich sowohl an die BGR als auch an die Landesgeologischen Dienste der Länder wendete. Hier wurde erstmals ein Stück weit auf die dezentrale geologische Kompetenz in der Bundesrepublik zurückgegriffen. Die geologische Fachkompetenz der AG3 und damit der Endlagerkommission beschränkte sich im Wesentlichen auf zwei Geologen, Herrn Appel und Herrn Kleemann. Nur selten wurde Herr Bräuer von der BGR einbezogen. Insgesamt sind die geologischen Aspekte der Standortauswahl auf sehr dünner fachlicher Basis gegründet.
Eine frühzeitige, öffentliche und transparente Einbindung der Fachkompetenz der Länder durch die Endlagerkommission – unter Ausschaltung der politischen Ansagen – hätte ein Bottom-Up-Verfahren starten können. Die Kommission hat aber durch Rückzug hinter die Beton- und Glasfassaden des Deutschen Bundestages in Berlin und der Gebärdung als Expertenkommission ein Top-Down-Verfahren gewählt, das in seiner Einseitigkeit kaum zu überbieten ist.
Die unterschiedliche Datenverfügbarkeit wird im gesonderten Kapitel 6.5.8 behandelt. Schließlich hat man sich darauf geeinigt, dass sogenannte Felduntersuchungen (der Begriff „Nacherkundungen“ sollte vermieden werden) auch in der Phase 1 durchgeführt werden können. Das Kapitel wird aber nicht so konkret, dass es die extremen Datenlücken und damit schwierige Gleichbehandlung bei Kristallin benennt. Der AkEnd-Bericht war da konkreter und damit ehrlicher.
Fachworkshop Kriterien
Der Rückzug der Kommission in die Gebäude des Bundestages konnte auch nicht durch Veranstaltungen der Kommission und der AG3 korrigiert werden. Bezüglich der hier hauptsächlich betrachteten AG3-Arbeit sei auf den Fachworkshop Ende Januar 2016 inklusive der Möglichkeit der Onlinekommentierung der Kriterien hingewiesen. In der 19. AG3-Sitzung wurde in Aussicht gestellt, dass die Kommentare aufgrund ihrer Fülle kaum berücksichtigt werden könnten. Im Widerspruch dazu hat der Vorsitzende der AG3, Michael Sailer, bei den Arbeiten an den geowissenschaftlichen Kriterien in der 20. und 21. Sitzung peinlich darauf geachtet, dass die Kommentare zur Kenntnis genommen und teilweise in vollem Wortlaut verlesen wurden. Wie oben geschildert, bestätigt diese Ausnahme aber nur die Regel.
Datenlücken und Benachteiligung von Gorleben
Die Landesgeologischen Dienste sehen aufgrund der Datenlücken Schwierigkeiten bei der Auswahl der obertägig zu erkundenden Standorte, was von der BGR so nicht mitgetragen wird. AG3 schlägt vor, dass Standortregionen mit zu geringer Datendichte benannt werden müssen. Diese werden dann vorerst zurückgestellt und nicht obertägig erkundet. Dies ist konform mit AkEnd, jedoch war AkEnd nicht mit dem Gorlebenproblem konfrontiert. Da Gorleben im StandAG als Standort zur Auswahl benannt wurde und hier keine zu geringe Datendichte greifen kann, ist dieser Standort benachteiligt. Lediglich einmal wurde erwähnt, dass man es – mit Gorleben und der hohen Datendichte und ‑qualität an diesem Standort sowie anderen Standorten, wo praktische keine Daten vorliegen – mit einer enormen Bandbreite bei Datendichte und ‑qualität zu tun hat. Die Kommission hat keinerlei Anstrengungen unternommen, um die Benachteiligung von Gorleben in Bezug auf Veränderungssperre, vorläufige Sicherheitsanalyse und Datenlücken bei Anwendung der Auswahlkriterien zu verhindern.
Ausschlusskriterien
Großräumige Vertikalbewegungen
Wurde auf 1 mm pro Jahr begrenzt und damit vom AkEnd unverändert übernommen, was auch durch Fußnotenverweis transparent gemacht wird. Beim AkEnd wird allerdings noch erläutert, dass sich damit eine Hebung von 1.000 m in 1 Mio. Jahren ergibt. Eine Relation zur Mindesttiefe wird nicht hergestellt. Weshalb man 1 mm/a ansetzt und zum Beispiel nicht 0,1 mm, wurde in der AG3 nicht diskutiert. Es wurde lediglich in den Raum gestellt, ob es in Deutschland Gebiete gibt, die damit ausgeschlossen werden.
Aktive Störungszonen
Dieses Kriterium wurde aus AkEnd praktisch ohne Änderung übernommen. Es wurde nur um aseismische und atektonische Vorgänge erweitert, die zu ähnlichen Sicherheitseinbußen führen können.
Einflüsse aus gegenwärtiger oder früherer bergbaulicher Tätigkeit
Dieses Ausschlusskriterium gab es in dieser Form nicht beim AkEnd. Hierin findet sich in der Abbildung 2.1 Bergtechnische Möglichkeiten und Konzepte der Endlagerung in tiefen Gesteinsformationen auf Seite 34 noch der Begriff ehemaliges Gewinnungsbergwerk. Offensichtlich sollte damals vermieden werden, die Schachtanlage Konrad zu problematisieren.
Der Nachsatz Auffahrung, Betrieb und Offenhaltung des Erkundungsbergwerks Gorleben bleiben davon unberührt. wurde in der vorletzten Kommissionssitzung durch eine gorlebenneutrale Formulierung ersetzt.
Seismische Aktivität
Hier wurde die alte DIN 4149 durch die neue DIN EN 1998‑1/NA 2011‑01 ersetzt. Darin haben die Erdbebenzonen > 1 etwas andere Ausdehnungen, die aber kaum eine Rolle spielen werden (siehe AkEnd Seite 90 und gfz-potsdam.de).
Vulkanische Aktivität
Dieses Ausschlusskriterium wurde vom AkEnd übernommen inklusive des Sicherheitssaums von 10 km um gefährdete Gebiete. Die Festlegung der vulkanisch aktiven Gebiete in einem Zeitraum von 1 Mio. Jahre basiert auf einer Expertenumfrage.
Grundwasseralter
Dieses Ausschlusskriterium ist aus den AkEnd-Empfehlungen übernommen worden. Dabei ist diskutiert worden, was kein Tritium/Kohlenstoff‑14 in der AkEnd-Formulierung vor dem Hintergrund sich verändernder Nachweisgrenzen bedeutet. Deshalb wurde etwas umformuliert: nicht über dem natürlichen Hintergrundniveau.
Mindestanforderungen
Gebirgsdurchlässigkeit
Dieses Kriterium wurde vom AkEnd übernommen. Der Zahlenwert von 10‑10 m/s wurde nicht plausibel gemacht. Es wurde nicht klargestellt, warum nicht 10‑8 m/s oder 10‑12 m/s genommen wurden. Liegt hier ein analytisch wissenschaftlicher Ansatz oder ein Expertenurteil vor?
Da Kristallingesteine zwar eine entsprechende Gesteindurchlässigkeit aufweisen, aber durch Klüfte die Gebirgsdurchlässigkeit von 10‑10 oft nicht eingehalten werden kann, wurden sowohl im Kriterium als auch in der Erläuterung für Kristallin Sonderregelungen formuliert. In der Formulierung des Kriteriums wurde die Überdeckung des Kristallins mit dichten überlagernden Schichten angesprochen, in der Erläuterung wird die Möglichkeit von homogenen Bereichen ohne Kluftsysteme betont. Dies führt aber bei Kristallingesteinen zu erheblichen Anforderungen an die zur Verfügung stehenden Daten. Ob dies im Suchverfahren erfüllt werden kann, ist recht zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist das frühzeitige Ausscheiden von Kristallinvorkommen.
Mächtigkeit des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs
Auch hier wird der Wert von 100 m des AkEnd übernommen. Begründet wird der numerische Wert nicht. Die Frage, warum nicht 50 oder 200 m angenommen werden, bleibt unbeantwortet. Weiterhin spielt auch hier Kristallingestein eine Sonderrolle. In der Erläuterung wird dies aufgegriffen mit zweierlei Lösungsansätzen: Aufsuchen entsprechend großer Homogenbereiche oder Nachweisführung über Kombinationswirkung mit Behälter und geotechnischer Barriere.
Insbesondere der Vorstoß von Niedersachsen (K‑Drs. 209h), ein Teil der Erläuterung zum Kristallingestein auch in das Kriterium aufzunehmen, führte zur Androhung eines Sondervotums durch Bayern in zwei Kommissionssitzungen. Ein etwas anderes Vorgehen schlug Sachsen vor (K‑Drs. 249b, nicht im Internet veröffentlicht, endlagerdialog.de eingescannt). Eine Entscheidung zu dieser Mindestanforderung fiel erst auf der letzten Kommissionssitzung am 27.06.2016. Mehrheitliche Zustimmung fand eine Formulierung, die nichts klarer macht. Es bleibt das ungelöste Kristallinproblem, das wahrscheinlich die nächsten Jahre die Endlagerdebatte – getragen von den Länderinteressen – bestimmen wird.
Minimale Tiefe des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs
Bei dieser Mindestanforderung wurde von Appel mit K‑Drs. AG3‑43 bereits am 9.10.2015 eine Änderung gegenüber AkEnd speziell für Salzstöcke vorgeschlagen. AkEnd forderte eine minimale Tiefe von 300 m unter Gelände (Teufe) ohne Differenzierung nach Gesteinsart. Der Vorschlag von Appel sah vor, dies für Salzstöcke auf 600 m zu erhöhen, wovon jeweils mindestens 300 m auf die Salzschwebe über dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich und das nichtsalinare Deckgebirge entfallen müssten. Im gleichen Papier schlug er neue Abwägungskriterien zum Deckgebirge bei Salzstöcken vor.
Weiterhin wurde in K‑Drs. AG3‑45 von Appel beim Abwägungskriterium Minimale Teufe des ewG die gesteinsunabhängige Festlegung des AkEnd (S. 108) mit > 500 m = günstig und 300–500 m = bedingt günstig in folgender Weise differenziert: Ton 500–700 m = günstig, 700–900 m = bedingt günstig; Salzstöcke > 800 m = günstig, 600–800 m = bedingt günstig.
Nach der „Vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben“ (VSG) liegt die Oberkante des ewG in Gorleben bei 840 m Teufe. Damit würde nach diesem Kriterium der Standort Gorleben noch knapp als günstig eingestuft werden.
In K‑Drs. AG3‑70 ergänzt Appel seine Argumentation u. a. zu der Mindestanforderung der minimalen Teufe bei Salzstöcken. In K‑Drs. AG3‑72 bekräftigen Kanitz und Fischer nochmals ihre Position und formulieren:
… Andererseits ist die geforderte Festlegung der Mächtigkeit von Salzschwebe und Deckgebirge willkürlich und ebenso unbegründet wie die Behauptung, dass direkter Kontakt des Salzspiegels mit Grundwasser sicherheitstechnisch nicht akzeptabel sei.
Diese Fragestellungen wurden u. a. wie bereits oben geschildert aus der öffentlichen Verhandlung herausgenommen und in einer nicht-öffentlichen Kleingruppe (Appel, Wenzel, Fischer, Kanitz) besprochen. In der Sitzung am 14.04.2016 wurde zwar mündlich mitgeteilt, es habe eine Einigung in den strittigen Punkten stattgefunden; eine schriftliche Fixierung konnte aber noch nicht vorgelegt werden.
In dritter Lesung konnte schließlich ein Kompromiss verabschiedet werden. Danach gilt für Salzstöcke die Sonderregelung, dass die Salzschicht über dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich mindestens 300 m betragen muss. Für Tonstein muss gewährleistet sein, dass Prozesse von außen, wie zum Beispiel eiszeitliche Rinnenbildung, nicht zum Abräumen des Deckgebirges soweit führen dürfen, dass der einschlusswirksame Gebirgsbereich durch Dekompaktion gefährdet wird.
Maximale Tiefe des Einlagerungsbereichs
Der Wert des AkEnd von 1.500 m wurde nicht übernommen, da dieser Parameter von vielen Gegebenheiten abhängt. Hier spielen Endlagerkonzept, bergtechnische Machbarkeit in den unterschiedlichen Wirtsgesteinen und Arbeitssicherheit eine bedeutende Rolle. Um dem Vorhabenträger bei der Suche wenigstens eine Richtschnur vorzugeben, wurde in der Erläuterung eine Einlagerungstiefe zwischen 500 und 1000 m empfohlen. Warum für Kristallingestein hier nicht der AkEnd-Wert übernommen wurde, blieb offen.
Fläche des Endlagers
Die Werte für Salz von 3 km2 und für Tonstein/Kristallin von 10 km2 wurden nicht einfach übernommen. Unter Berücksichtigung einer möglichen Rückholung/Bergung kommt ein Gutachten zu folgenden erforderlichen Flächen: Salz (Einlagerungstemperatur 200°C) 1,3 km2, Salz (100°C) 2,3 km2, Tonstein (100°C) 6,6 km2, Granit (100°C) 3,6 km2. Die Kommission weist darauf hin, dass der tatsächliche Flächenbedarf leicht deutlich größer sein kann. Schließlich kommt sie in der Erläuterung zu dem Schluss, dass bei der Standortsuche die AkEnd-Werte als konservative Werte beibehalten werden sollten.
Diese Aussagen zur Mindestfläche gelten nur für die Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle. Sollen weitere Abfälle eingelagert werden, ergibt sich ein mehrfacher Flächenbedarf.
Erkenntnisse zum einschlusswirksamen Gebirgsbereich hinsichtlich des Nachweiszeitraums
Hier wurde die AkEnd-Formulierung übernommen. Nur der Begriff Integrität wurde ergänzt, was wohl lediglich eine Zusammenfassung der Punkte Gebirgsdurchlässigkeit, Mächtigkeit und Ausdehnung darstellt.
Abwägungskriterien
Kriteriengruppe 1: Güte des Einschlussvermögens und Zuverlässigkeit des Nachweises
Anforderung 1: Kein oder langsamer Transport durch Grundwasser im Endlagerniveau
Die Vorstellungen des AkEnd wurden übernommen. Schon der AkEnd sah Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Kristallingesteinen. Hier spielt die Gebirgsdurchlässigkeit eine wesentliche Rolle. Deshalb wird für Kristallin neu aufgenommen: und führt ggf. zu einem anderen Sicherheitskonzept.
Anforderung 2: Günstige Konfiguration der Gesteinskörper, insbesondere von Wirtsgestein und einschlusswirksamem Gebirgsbereich
Dies ist weitestgehend vom AkEnd übernommen worden. Beim Indikator Grad der Umschließung wurden weitere Aussagen zum Konfigurationstyp Bb gemacht, sodass der Typ Bb teilweise in die Kategorie weniger günstig fallen kann. Der Indikator Anschluss an hohes hydraulisches Potenzial wurde reduziert auf Potenzialbringer bei Tonstein.
Anforderung 3: Gute räumliche Charakterisierbarkeit
Bei dieser Anforderung kam es zu einer interessanten Änderung gegenüber den AkEnd-Empfehlungen. Dieser machte folgende Einstufung: für Salzstöcke: große ovale Strukturen = günstig, kleine rundliche bzw. schmale gestreckte Strukturen = weniger günstig.
Die Landesgeologie in Schleswig Holstein teilte dazu mit, dass diese Einstufung auf der Grundlage der Ergebnisse des Projektes InSpEE (Informationssystem Salzstrukturen: Planungsgrundlagen, Auswahlkriterien und Potenzial-abschätzung für die Errichtung von Salzkavernen zur Speicherung von Erneuerbaren Energien) nicht mehr haltbar sei. Dies wurde von der BGR (Bräuer) in der AG3-Sitzung vom 05.04.2016 bestätigt. Die Einstufung wurde daraufhin ersatzlos gestrichen.
An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass einige geowissenschaftliche Kriterien offensichtlich eher Pi-mal-Daumen-Ansätze sind und nicht die Qualität von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen mit halbwegs solider theoretischer Basis erreichen. Die Geowissenschaften können heutzutage eben nicht mehr leisten. Trotzdem werden sie bei der Problematik der Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle mit all ihren Lücken und Hilfskonstruktionen gebraucht. Leider werden sowohl in den AkEnd-Empfehlungen als auch bei den von der Kommission vorgeschlagenen Kriterien nicht zu jedem Einzelkriterium Begründungen geliefert, die erkennen lassen, wie und wie gut die Verankerung im theoretischen Umfeld ist. So kann etwa beim oben genannte Kriterium zur Einstufung von Salzstöcken nach AkEnd nicht erschlossen werden, auf welches Erklärungsmodell dieses zurückgeht.
Ansonsten wurden hier die AkEnd-Empfehlungen übernommen. Die ungünstigste Kategorie wurde von weniger günstig in ungünstig umbenannt. Ergänzt wurde noch der Indikator Variationsbreite der Gesteinstypen im ewG.
Anforderung 4: Gute Prognostizierbarkeit der langfristigen Stabilität der günstigen Verhältnisse
AkEnd wurde übernommen. Lediglich die tabellarische Darstellung wurde aufgeblasen, indem die sicherheitsrelevanten Merkmale Mächtigkeit, Ausdehnung und Gebirgsdurchlässigkeit einzeln aufgeführt werden. Dies stand beim AkEnd im Begleittext. Die ungünstigste Kategorie wurde auch hier von weniger günstig in ungünstig umbenannt.
Kriteriengruppe 2: Absicherung des Einschlussvermögens
Anforderung 5: Günstige gebirgsmechanische Voraussetzungen
Diese Anforderung wurde vom AkEnd übernommen und dort auch ausführlicher behandelt. Die konkrete Zuordnung zu günstig, bedingt günstig und weniger günstig anhand von Kurven Teufe als Funktion der Gebirgsdruckfestigkeit wurde aufgegeben. Grund ist wohl die Einschätzung, dass der Autor der zugrunde liegende Studie Zweifel an der Tragfähigkeit der Argumentation zum Ausdruck gebracht hat. Gebirgsmechanisch hat Kristallingestein wesentliche Vorteile.
Anforderung 6: Geringe Neigung zur Bildung von Wasserwegsamkeiten in Wirtsgesteinskörper / einschlusswirksamem Gebirgsbereich
Dies wurde vom AkEnd praktisch unverändert übernommen.
Kriteriengruppe 3: Weitere sicherheitsrelevante Eigenschaften
Anforderung 7: Gute Bedingungen zur Vermeidung bzw. Minimierung der Gasbildung
Gegenüber dem AkEnd wurde darauf verzichtet, den Druckabbau durch Gasverteilung als Kriterium zu benennen, da hierbei die Gebirgsdurchlässigkeit eine wesentliche Rolle spielt, aber im umgekehrten Sinn wie unter Anforderung 1. Das heißt: Durchlässige und poröse Gesteine sind hier vorteilhaft. Weiterhin wird im Text neu der Zweiphasenfluss (Gas/Wasser mit Radionukliden) bei Vorhandensein von Gas als beachtenswert erwähnt. Dies spielt bei Morsleben eine wichtige Rolle und wird seit der Problematisierung im Erörterungstermin in Studien untersucht. Ansonsten wird AkEnd übernommen.
Anforderung 8: Gute Temperaturverträglichkeit
Diese Anforderung war bis zur letzten Kommissionssitzung strittig. Niedersachsen sprach sich für eine generelle Grenztemperatur – also auch im Salz – von 100°C aus. Dies fand nicht die allgemeine Zustimmung. Ein anderer Vorschlag sah die Streichung dieser Anforderung und Verschiebung in die vorübergehenden Sicherheitsuntersuchungen vor. Die geheim tagende Kompromissarbeitsgruppe in der letzten Kommissionssitzung kam zu der schließlich mehrheitlich zugestimmten Formulierung, dass die Kommission aus Vorsorgegründen empfiehlt, von einer vorläufigen Grenztemperatur an der Außenfläche der Endlager-Behälter von 100°C auszugehen, solange nicht die maximalen physikalisch möglichen Temperaturen in den jeweiligen Wirtsgesteinen durch Forschungsarbeiten zuverlässig festgelegt worden sind.
Anforderung 9: Hohes Rückhaltevermögen des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs gegenüber Radionukliden
AkEnd wird übernommen.
Anforderung 10: Günstige hydrochemische Verhältnisse
Die Vorstellungen des AkEnd wurden weitgehend übernommen, sind aber schon dort recht vage formuliert. Lediglich Ionenstärke und Sorption/Ausfällung werden im Kommissionspapier nicht mehr erwähnt.
Neue Anforderung: Hohes Rückhaltevermögen der Gesteine im Deckgebirge von Salzstöcken gegenüber Radionukliden
Dies wurde (in K‑Drs. AG3‑70 und K‑Drs. AG3‑72) diskutiert, aber schließlich nicht weiterverfolgt, da nach Aussage von Herrn Appel in der letzten Kommissionssitzung diese Anforderung wegen der neuen Anforderung zum schützenden Aufbau des Deckgebirges entbehrlich ist.
Neue Anforderung: Schützender Aufbau des Deckgebirges
Diese Anforderung wurde von Herrn Appel zur weiteren Ausgestaltung der Mindestanforderung Erkenntnisse zum einschlusswirksamen Gebirgsbereich hinsichtlich des Nachweiszeitraums (Erhaltung der Integrität) eingebracht. Es folgte eine lange und kontroverse Bearbeitung dieses Themas meist in kleinen Arbeitsgruppen. Die wesentlichen Gegenargumente waren: „Dies ist bereits mit der Mindestanforderung Erhaltung der Integrität gesichert.“ „Das Deckgebirge kann relativ kurzfristig durch Eiszeiten abgeräumt werden.“ „Ein Abwägungskriterium für nur ein Wirtsgestein, nämlich Salzstöcke, ist nicht gerechtfertigt.“
In der Kommissionssitzung am 20.06.2016 lag ein Kompromisspapier von Appel/Kanitz vor (K‑Drs. 209i), das alle Wirtsgesteine behandelt. Ziel ist der Schutz des ewG vor Subrosion und Erosion sowie den daraus erwachsenden Folgen wie Dekompaktion. Es wird ausgeführt, dass die konkrete Formulierung für alle Endlagersystemtypen aufgrund mangelnder Informationen noch nicht geleistet werden kann. Diese müssten in abgeschlossenen oder noch laufenden Forschungsvorhaben gesammelt werden. Die konkrete Formulierung müsse deshalb dem Vorhabenträger überlassen werden. Für den Endlagersystemtyp Salzstock und Salz in flacher Lagerung wird festgelegt, dass als Deckgebirge nur der nichtsalinare Anteil zu betrachten ist, da ein dauerhafter Schutz vor Auflösung nicht von einem wasserlöslichen Gestein geleistet werden kann: Es kann nicht garantiert werden, dass die angreifende Süßwasserströmung auf Dauer gering ist. Weiterhin wird in der Regel bei Eiszeiten nicht das gesamte Deckgebirge abgeräumt, sodass mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Teile des Deckgebirges weiterhin Schutzwirkung entfalten können. Mehr Schutz ist besser.
Das Deckgebirgskriterium soll in die Gewichtungsgruppe 2 eingestuft werden. Zu dieser Anforderung stand noch die dritte Lesung in der Sitzung am 27.06.2016 an. In dieser wurde dies neben anderen Punkten in einer nicht-öffentlichen Arbeitsgruppe verhandelt. Das Ergebnis war, dass wegen der strittigen Eingruppierung in eine Gewichtungsgruppe rigoros der Begriff Gewichtungsgruppe aus dem Endbericht der Kommission gestrichen wurde. Stattdessen steht dort jetzt der Begriff Kriteriengruppe. Weiterhin wurden die wichtenden Aussagen zu den Abwägungskriterien vollständig aus dem Bericht gestrichen. Damit erhalten alle Abwägungskriterien jetzt formal die gleiche Wichtigkeit. Die Abwägungskriterien zum schützenden Aufbau des Deckgebirges wurden sodann der Kriteriengruppe 3 zugeordnet. Weiterhin wurde die Formulierung zum nichtsalinaren Deckgebirgsanteil verändert in: Bei Endlagersystemen mit Steinsalz als Wirtsgestein, insbesondere bei Steinsalz in flacher Lagerung, sind die nichtsalinaren Gesteinskörper im Deckgebirge von besonderer Bedeutung für den Schutz gegen Subrosion. Eine geowissenschaftliche Begründung für die Umformulierung wurde nicht geliefert. Offensichtlich wurde hier ein Weg gewählt, der durch „insbesondere“ den Salzstock Gorleben nicht allzu negativ erscheinen lässt.
Aggregation bei der Abwägung
Bei den Abwägungskriterien stellt sich die Frage der Auswertung. Wie sollen die unterschiedlich erfüllten Kriterien zu einer Rangfolge der Standorte führen? Lange Zeit wurde in der AG3 dazu auf das AkEnd-Verfahren oder auf landläufig bekannte Aggregationsverfahren bei multikriteriellen Entscheidungen verwiesen und als verbal-argumentativ pauschaliert. Die dafür einschlägigen wissenschaftlichen Ansätze wurden nicht herangezogen. Etwas überraschend wurde sich in der 18. AG3-Sitzung dafür ausgesprochen, das stark hierarchische AkEnd- Aggregationsverfahren nicht anzuwenden. Dieses sah vor, dass zum Beispiel bei guter Erfüllung der Abwägungskriterien der Gewichtungsgruppe 1 nicht mehr die weiteren Kriterien der weiteren Gewichtungsgruppen ausgewertet werden sollten. Nun soll nach AG3 ohne weitere Vorgaben allein verbalargumentativ eine Rangfolge unter Berücksichtigung aller Abwägungskriterien erstellt werden. Anzumerken ist, dass im Gutachten zu den planungswissenschaftlichen Kriterien (K‑MAT 65) der Kommission empfohlen wird, in der Phase 1 und 2 eine multikriterielle Bewertungsmatrix zu benutzen. Dies wird jedoch wegen mangelnder Transparenz und Nachvollziehbarkeit abgelehnt.
Damit erhält der Vorhabenträger die weitreichende Aufgabe, ohne Anleitung diese Rangfolge festzulegen. Wurde die Ersetzung von quantitativen durch rein qualitative Auswahlkriterien (Vorschlag aus Fachworkshop) seitens der AG3 noch wegen zu großer Entscheidungsfreiheit für den Vorhabenträger abgelehnt, hat dies bei der Nichtvorgabe eines Aggregationsverfahrens keine Rolle mehr gespielt. Dies bekommt eine Zuspitzung, wenn man die richtige Feststellung von Herrn Renn auf der AG1-Sitzung am 01.04.2016 berücksichtigt, dass eine solche Abwägung keine wissenschaftliche Aufgabe ist. Auch wenn Renns Vorschlag, dies der Öffentlichkeit zu überlassen, zu weitgehend ist, sollte man bedenken, wie in anderen Feldern mit solchen Problematiken umgegangen wird. So hat die Risikokommission in Abgrenzung der wissenschaftlichen Aufgabe der Risikoabschätzung und der nichtwissenschaftlichen Aufgabe des Risikomanagements empfohlen, grundsätzlich Risikoabschätzung und ‑management institutionell zu trennen. Eine solche Trennung ist aber bei der Standortauswahl nicht vorgesehen, denn die Rollentrennung Vorhabenträger und Regulierungsbehörde bildet das nicht ab.
Fazit
Eine systematische und damit wissenschaftliche Herangehensweise wurde bei der Kriterienaufstellung und der Gestaltung des Auswahlprozesses insgesamt nicht verfolgt.
So wurde nicht auf die Erfahrungen insbesondere der Länder bei der untertägigen Lagerung von chemotoxischen Abfällen Bezug genommen, obwohl hier die gleiche Problematik zu lösen ist. Lediglich der Wärmeeintrag ist bei den hochradioaktiven Abfällen zusätzlich zu berücksichtigen und stellt die eigentliche Herausforderung dar. Sicher führt eine Betrachtung der untertägigen Sondermüllentsorgung nicht zu einem hohen Sicherheitsstandard, bezieht aber die Ländererfahrungen und Verwaltungspraktiken ein und könnte die Sicherheitsstandards auch in diesem Bereich erhöhen.
Weiterhin wurde nicht auf die Systematik des Strahlenschutzes zurückgegriffen, obwohl hier ein originäres Strahlenschutzproblem vorliegt. Stattdessen wurden Nachhaltigkeit und Zukunftsethik bemüht, welche aber keine wirklichen Konsequenzen erfordern.
Der Strahlenschutz mit seinen drei Grundsätzen „Rechtfertigung“, „Optimierung“ und „Dosisbegrenzung“ hätte direkte Konsequenzen für die Endlagerung. „Rechtfertigung“ bedeutet, dass bei der Nutzung/Erzeugung radioaktiver Stoffe eine Nutzen‑/Risikoabwägung zu machen ist. Da die Endlagerung mit einem hohen Risiko verbunden ist, insbesondere wenn man die Unsicherheiten und das Nichtwissen bei der notwendigen Prognose über mehrere Millionen Jahre berücksichtigt, spielt der Nutzen eine wesentliche Rolle. Wenn die hier im StandAG gefundenen Regelungen für den Atommüll bis zum vereinbarten Ausstieg gelten, so gelten sie nicht für eventuell neu produzierten Atommüll. Dafür sind dann gesonderte Regelungen mit höheren Anforderungen zu finden, da sie unter einer anderen Rechtfertigung stehen.
Der Grundsatz „Optimierung“ führt bei der Priorität für geologische Barrieren bei der Endlagerung zwingend zu einer komparativen Suche nach möglichst guten geologischen Situationen. Da geologische Situationen ortsfest sind, bleibt nur eine komparative Standortsuche als einzige Möglichkeit. Dies wurde gerade von den Industrievertretern in der Kommission immer wieder bestritten.
Der Strahlenschutzgrundsatz „Dosisbegrenzung“ ist bei der Endlagerung nicht anwendbar. Er beinhaltet ja immer einen Vergleich einer Zusatzdosis mit einem gesellschaftlich festgelegten Grenzwert, der eine gewisse Schädigung im Vergleich zum Nutzen zulässt. Da aber eine Dosisprognose über mehrere Millionen Jahre nicht möglich ist, kann auch nicht mit einem Grenzwert verglichen werden. Die abgeschätzte Dosis über die nächsten Millionen Jahre kann aber wohl als Indikator beim Vergleich unterschiedlicher Standorte und Endlagersysteme verwendet werden. Die Absolutwerte sind hingegen bedeutungslos und können nicht zum Beenden der Suche nach Auffinden eines sogenannten sicheren Standorts herangezogen werden.
Geht man dann von den Strahlenschutzgrundsätzen zu der dadurch bestimmten kerntechnischen Sicherheit über, kommt man systematisch zu der Forderung nach Redundanz und Diversität geologischer Barrieren. Das heißt, die Forderung nach einer unabhängigen zweiten Barriere, wenn sie denn in der Geologie Deutschlands auffindbar ist, entspricht der Anwendung der kerntechnischen Sicherheit auf das Endlagerproblem. Hier gilt genau das Motto, das Herr Kanitz in Bezug auf die schützende Wirkung des Deckgebirges vertreten hat: „Mehr Schutz ist besser!“ Aber ein Abwägungskriterium zur Diversität fehlt.
Weiterhin sind die gefundenen Kriterien für den Standortauswahlprozess in den meisten Fällen wissenschaftlich nicht wirklich nachvollziehbar. Es fehlen die Aussagen, welche Kriterien wie wissenschaftlich analytisch hergeleitet werden können, welche auf Expertenmeinungen beruhen und welche auf gesellschaftliche und damit politische Entscheidungen zurückzuführen sind.
Das größte Defizit ist die ungelöste Kristallinproblematik. Die Schwierigkeiten dieses Wirtsgesteins bei der Anwendung des Modells des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs führten nicht zu einem systematischen Ansatz, sondern lediglich zu Formulierungskünsten, die bei der konkreten Suche schwer umzusetzen sind. Hinzu kommt die mangelhafte Datenlage bei Kristallingestein in Deutschland. Beide Punkte waren aus dem AkEnd bekannt und trotzdem hat die Kommission eine wirklich rationale und operationalisierbare Lösung weder gesucht noch gefunden.
Die Arbeit in der AG3 war hingegen geprägt von der ewigen Auseinandersetzung zwischen Niedersachsen, was zur Entlastung des Standorts Gorleben für eine Berücksichtigung aller drei Wirtsgesteine Salz, Ton und Kristallin gekämpft hat, und der Position des Industrievertreters, der den Standort Gorleben möglichst gut aussehen lassen wollte.
Es wurde weitgehend versäumt, entsprechend der Vorgabe im StandAG zur Einbeziehung von Gorleben eine faire Behandlung dieses Standorts beim Auswahlverfahren zu gewährleisten. Stichworte sind Veränderungssperre, Qualität und Dichte der geowissenschaftlichen Daten und vorläufige Sicherheitsanalyse bzw. ‑untersuchung.