Veranstaltung „Sicherheit für die Ewigkeit?“
Am 20.04.2018 fand eine BGE-Veranstaltung im Rahmen der Reihe Betrifft Morsleben statt. Thema war Sicherheit für die Ewigkeit? Langzeitsicherheitsnachweis für Morsleben. In einem Vortrag wurde in die Problematik eingeführt. Nach Klärung von Verständnisfragen wurden dem Vortragenden Fragen in Interviewform präsentiert, die immer wieder bei den Führungen in der Infostelle Morsleben und Untertage gestellt wurden. Dieses Format war ein neuer, lobenswerter Ansatz. Zum Abschluss wurden Fragen aus dem Publikum diskutiert. Die Anzahl der BesucherInnen war für einen Freitagnachmittag mit strahlendem Sonnenschein erstaunlich hoch, erreichte aber nicht die Zahl der letzten Veranstaltung dieser Reihe – siehe hier.
Sprachgebrauch der 1980er Jahre
Beim Vortrag wurde der Sprachgebrauch der 1980er Jahre benutzt. So ging es um den Langzeitsicherheitsnachweis, der inzwischen international als safety case bezeichnet wird und ehrlicherweise mit Langzeitrisikobetrachtung übersetzt werden sollte – siehe Der doppelte Euphemismus „Langzeitsicherheitsnachweis“. Selbst auf die Interviewfrage hin, ob das mit dem Nachweis so stimme, wurden keine Abstriche beim Wording gemacht.
Strahlenschutz auf Dosisleistung reduziert
Weiterhin wurde der Strahlenschutz verkürzt auf die zulässige Strahlungsdosisleistung. Die beiden anderen Strahlenschutzgrundsätze – insbesondere der der Optimierung – wurden nicht diskutiert. Weiterhin wurde die abgeschätzte zusätzliche Dosis durch Freisetzungen von radioaktiven Stoffen aus dem Endlager über die nächsten Tausender Jahre mit der natürlichen Strahlenexposition verglichen. Da war der Betreiber 2004/2005 – damals das BfS – schon mal wesentlich weiter – siehe Beitrag Sicherheitsphilosophie für die Endlagerung – Entwürfe des BfS. In der Sicherheitsphilosophie (1. Entwurf und 2. Entwurf) wurde verdeutlicht, dass es neben dem natürlichen Strahlenrisiko um ein zusätzliches Risiko geht, über die die Gesellschaft – nicht die Experten – zu entscheiden haben. Die Experten machen lediglich die Risikoabschätzungen. Die Entscheidung, ob dieses Risiko vor dem Hintergrund von eventuellen Alternativen akzeptiert wird, trifft die Gesellschaft.
Berechnete Dosiswerte sehr fraglich
Weiterhin wurde nicht ausgeführt, dass die berechneten Dosiswerte lediglich als Indikatoren zu werten sind und nicht als Strahlenbelastungen in der Zukunft. Sie können so bei Rechtfertigung und Optimierung nicht ohne Weiteres angesetzt werden – siehe hier. Weiterhin wurde nicht dargestellt, dass zur Berechnung die sogenannte AVV angewendet wird, die schon seit 10 bis 15 Jahren als ungeeignet für Endlagerfreisetzungen eingestuft wird. Der Auftrag an die Strahlenschutzkommission, eine entsprechende Leitlinie zu erarbeiten, ist offensichtlich im Sande verlaufen – siehe Beitrag Endlagerkommission verhindert Dosisabschätzung und Jahresbericht 2017 der SSK. Neben den Ungewissheiten über die wirkliche Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus dem Endlager, die durch verschiedenste Szenarien abgebildet werden sollen, kommt die Ungewissheit zu den zukünftigen Ernährungsgewohnheiten des Menschen. Obwohl dieses Problem seit Jahrzehnten bekannt ist und es einige Ansätze gibt, diese durch heutige Ernährungsgewohnheiten in unterschiedlichen Klimazonen zu berücksichtigen, hat der Betreiber sich stur an die AVV gehalten.
Robustheit der Langzeitrisikoprognosen
Vorgestellt wurde eine Grafik zur Robustheit der Aussagen über das zu erwartende Zusatzrisiko, die leider kaum lesbar war und nicht auf der BGE-Site zur Verfügung gestellt wurde. Eine Aussage war darin bemerkenswert: Im Fall des Entstehens neuer Wegsamkeiten im Hutgestein wurde ein relativ hoher Dosiswert abgeschätzt. Erklärt wird das mit dem Ausbleiben von Adsorption von Radionukliden an Tonbestandteilen. Dies zeigt deutlich, dass bei der Endlagerung auch bei den geologischen Barrieren Diversität gefragt ist. Salz allein ist schlechter als Salz in Kombination mit Ton. Leider wurde dieser Ansatz von der Endlagerkommission ohne Diskussion vom Tisch gewischt – siehe Absatz ewG-Modell des AkEnd in Beitrag Arbeit der Endlagerkommission – eine kritische Würdigung.
Kritik der Entsorgungskommission an den Langzeitrisikoabschätzungen
Eingegangen wurde auch auf die Kritik der Entsorgungskommission (ESK) an den Langzeitrisikoabschätzungen des Betreibers – siehe hier. Vergessen wurde dabei, dass die ESK lediglich Aussagen zum Endlager und nicht zum Zwischenlager in Morsleben gemacht hat – siehe hier. Das wollte die BGE auch in der Veranstaltung nicht einsehen, die vertretene Genehmigungsbehörde jedoch hat deutlich gemacht, dass selbstverständlich bei der Genehmigung der Endlagerung der bisher nur zwischengelagerten Abfälle über die anzuwendenden Sicherheitsanforderungen gesondert entschieden werden wird.
Genehmigungsbehörde erstellt ein eigenes hydrogeologisches Modell
Bei dem Schutz des Grundwassers in Helmstedt sieht der Betreiber bei Nachfrage kein Problem, da die Fließrichtung des Grundwassers in das Allertal und nicht über den Lappwald gerichtet ist. Aber ob die übertägige Wasserscheide auch im Untergrund ihre Bedeutung behält, ist nicht gesichert. Die Genehmigungsbehörde betonte, dass sie sich nicht einfach der Betreibermeinung anschließt, sondern ein eigenes hydrogeologisches Modell aufstellen werde.
Nach 100.000 Jahren Abfälle ungefährlich?
Der Betreiber erläuterte, dass im Falle des ERAM nach 100.000 Jahren die Abfälle keine Gefahr mehr darstellen werden und auf einer Haumülldeponie gelagert werden könnten. Die Nachfrage, wie hoch denn dann die Radiotoxizität sein wird und wieviel potenzielle Krebstote damit verbunden sind, konnte nicht beantwortet werden. Der Radiotoxizitätswert soll nachgeliefert werden. Offensichtlich ist diese Zeitaussage aus der Luft gegriffen, denn eine einschlägige Untersuchung nach der Methode Kirchner (Umweltgutachten 2000, Rdnr. 1324) zum ERAM ist nicht bekannt.
Schwierigkeiten bei den Streckenabdichtungen
Zur Sprache kamen auch Schwierigkeiten bei den in situ-Versuchen zu den Streckenabdichtungen sowohl im Salz als auch im Anhydrit. Der Betreiber erwähnte aber nicht, dass allein die Genehmigungsbehörde verlangt hat, dass entsprechende Versuche gemacht werden müssen. Nur durch diese Versuche ist klar geworden, dass die in den Langzeitrisikobetrachtungen angesetzten Barriereeigenschaften nicht eingehalten werden können. Auf Nachfrage konnte der Betreiber nicht angeben, wie die weitere Planung zu den Streckenabdichtungen aussieht und insbesondere wie der Zeitplan für die notwendigen neuen in situ-Versuche anzusetzen ist.
Versagen der Abdichtung des Ostfeldes und das Radiumfass
Da insbesondere der Versuch zur Streckenabdichtung zum Ostfeld gescheitert ist, wurde die Frage gestellt, welche Strahlenbelastung prognostiziert wird, wenn diese Barriere vollständig versagt und wie groß der Anteil des Radiumfasses ist, das bisher lediglich zwischengelagert ist. Der Betreiber verwies hierzu auf die Langzeitrisikobetrachtungen nach EMOS und PROSA, wo auch dieser Fall betrachtet worden sei. Dabei wurde aber vorausgesetzt, dass aus dem Radiumfass keine Radionuklide freigesetzt werden, da es in einer Streckennische in einem eigenen Bohrloch gelagert ist. Da hier kein Hohlraum vorhanden ist, könne auch keine Freisetzung stattfinden.
Weiterer Zeitplan für die Schließung von Morsleben
Die grobe Zeitplanung für die Schließung des Endlagers Morsleben sieht wie folgt aus: Bis Mitte der 2020er Jahre wird der Planantrag nachgebessert sein, Ende der 2020er Jahre wird mit der Genehmigung durch die Planfeststellungsbehörde gerechnet, für die Schließung selber kommen noch einmal 15 Jahre in Ansatz. Insgesamt hängt dies jedoch sehr stark davon ab, wieviel Ressourcen seitens der BGE für Morsleben zur Verfügung gestellt werden. Dieses Projekt steht in Konkurrenz zu den Projekten Asse und Konrad. Nicht mehr erwähnt wurde die angeblich schleppende Bearbeitung der Unterlagen bei der Genehmigungsbehörde – siehe Beitrag ERAM-Planfeststellungsantrag: Wie weiter?
Exemplarische Langzeitrisikobetrachtung mit Bürgerbeteiligung
Bei den nicht ganz einfachen Langzeitrisikobetrachtungen wäre es angebracht, das Endlager Morsleben als Übungsbeispiel für mehr Bürgerbeteiligung zu verwenden. Wie wäre es mit auch den BürgerInnen verständlichen Risikostudien, wie es im Rahmen des Forschungsverbundvorhabens ENTRIA vorgeschlagen wurde, siehe Primat der Sicherheit – Ja, aber welche Sicherheit ist gemeint? und Projekttag „Endlagerung und Mathematik“?
Bericht der Betreiberin BGE
Heute wurde zu der Veranstaltung ein Bericht der BGE veröffentlicht, siehe hier.
Insbesondere findet sich darin die Grafik zur Robustheit der Langzeitrisikobetrachtungen, siehe Foliensatz Seite 16. Jetzt ist die Grafik gut lesbar, aber die Legende ist etwas irreführend. Weiterhin fehlen zu den abgebildeten Werten die Quellenangaben. Aus welchen Berichten und insbesondere von welchen Seiten stammen die Werte?
Außerdem wird der Radiotoxizitätswert der Abfälle nach 100.000 Jahren mitgeteilt. Er ist dann von etwa 3 Mio. Sievert auf 3000 Sievert gefallen. Pro Sievert Lebensdosis muss nach heutigen Erkenntnissen mit 5,0 % tödlichen Krebserkrankungen, 1,0 % nichttödlichen Krebserkrankungen und 1,3 % wesentlichen Erbschäden gerechnet werden, also insgesamt 7,3 % Schädigungen am Menschen. Bei einer Freisetzung der Abfälle in 100.000 Jahren mit einer Radiotoxizität von 3000 Sievert ist also potenziell mit 150 Krebstoten, 30 nichttödlich Krebserkrankten und 39 wesentlich Erbgutgeschädigten zu rechnen. Insgesamt werden potenziell 219 Menschen geschädigt.
Realistischere Schädigungsabschätzungen erhält man, indem man das Modell von Kirchner anwendet, das von einer spontanen Freisetzung in die Umwelt ausgeht und dann die Belastungspfade im Einzelnen betrachtet. Damit kam Kirchner im Fall des angenommenen Radiotoxitätsinventars beim Endlager Konrad zu einer notwendigen Isolationszeit der radioaktiven Abfälle von 10 Mio. Jahre (Kirchner, G. (1990). A New Hazard Index for the Determination of Risk Potentials of Disposed Radioactive Wastes. in: Journal of Environmental Radioactivity 11: 71-95):